IASLonline NetArt: Theorie


Thomas Dreher

NetArt: Einführung



Webness und (Post-)Avantgarde

Für eine "Webness" 1 veranschaulichende und problematisierende Kunst sind nach Steve Dietz folgende Kriterien zentral 2:

(1.1) interactivity,
(1.2) connectivity,
(1.3) computability.

Lev Manovichs Kriterienkatalog 3 widerspricht diesen Kriterien nicht, sondern ergänzt sie:

(2.1) database,
(2.2) interface,
(2.3) spatialisation,
(2.4) navigation.

Die beiden Kataloge 1.1 bis 1.3 und 2.1 bis 2.4 enthalten Kriterien der Bestimmung der Möglichkeiten des Web, die eine "new media avant-garde" 4 aufzeigen und erweitern kann. Der Beobachter kann im Internet von Künstlern auf neue Weise in vorhandene Kommunikationssysteme integriert werden 5, oder es werden neue Kommunikationssysteme – zum Beispiel neue Browser als Interfaces für Datenzugriffe – entwickelt, die zeitgenössische Kriterien der Webness in Frage stellen.

So problematisiert Maciej Wisniewskis (Meta-)Browser Netomat (s. Lektion 7.) die Struktur von Informationssystemen ("databases" 6), die analog zu Archiven, Dateien oder Seiten gegliedert sind, mittels eines Datenstroms, der keine Gliederungen erkennen läßt. Das Interface Netomat problematisiert mittels ungegliedertem Datenstrom das herkömmliche Verständnis von Navigation im Internet.

Außerdem können etablierte Gebrauchsweisen von (kunstextern entwickelten) Medien und Intermedia auch in Netzprojekten durch eine Vorgehensweise, die im Kunstkontext spätestens seit Pop Art üblich ist, zur Debatte gestellt werden: Künstlerische Modelle thematisieren Weisen der (Relationen zwischen Beobachter- und) "Beobachtungsoperationen" 7, die (kunstextern) etablierten Gebrauchsweisen von Medien und Intermedia nahekommen oder entsprechen.

An die Strategie künstlerischer Postavantgarde, die etablierten Beobachtungsweisen der Popkultur in gewählten Medien und Medienkombinationen thematisiert, schließen einige Neztprojekte an (s. Kap. Medienformen). Durch die Ausdifferenzierung von webspezifischen Verfahren entstehen jedoch Alternativen zu postavantgardistischen Strategien, die neue Medienmöglichkeiten durch Modelle des Umgangs mit Vernetzung freilegen.

Um Voraussetzungen für den Übergang von einer künstlerischen Postavantgarde zu einer "new media avantgarde" zu erhalten oder zu verbessern, versuchen Netzaktivisten durch Texte und Netzaktionen die Spielräume im Internet zu erhalten und zu erweitern. Ohne diese Spielräume wären alternative Netzaktivisten künstlerischer und anderer Art nicht möglich. Netzaktivisten entwickeln in ihrem Umgang mit Software, der Netzorganisation und der Netzdaten Strategien zur Behauptung und Erweiterung der Spielräume gegen kommerzielle Interessen international operierender Korporationen 8 (und deren Einfluss in ICANN). Damit wandeln Aktivisten 9 und Künstler die Frage nach Modellen für Gebrauchsweisen etablierter Netzmöglichkeiten in Fragen, wer beeinflußt wie die Prozesse der Durchsetzung bestimmter Netzmöglichkeiten, und wie können diese Instanzen in ihrer Einflussnahme gestört oder ersetzt 10 werden.


NetArt-Typologie der Interaktion

Hans Dieter Huber schlägt für "Arbeiten der Netzkunst...drei verschiedene Kategorien" vor:

(3.1) "reaktive,
(3.2) interaktive und
(3.3) partizipative Arbeiten". 11

Entscheidend an Hubers Ansatz ist die Unterscheidung von Stufen der Interaktivität auf einer Skala zwischen (3.1) geschlossenen Systemen mit Klick- und Scrollfunktionen, (3.2) Systemen, die sich nach Veränderungen durch Useraktivität wieder in ihren Urzustand begeben, und (3.3) Systemen, die ohne Useraktivität und die Spuren, die diese in ihren Archiven und Systemzuständen hinterlässt, nur leere Hülsen bleiben würden. 12

Hubers Vorschlag einer dreiteilig gestuften Skala der Aktionsmöglichkeiten von Usern provoziert zur Rekonzeptualisierung, um Kriterien der Unterscheidung zwischen "reaktiven, interaktiven und partizipativen Arbeiten" genauer bestimmen zu können.

Systeme, deren Funktionen nur aktiviert werden können, und die nach dem vorprogrammierten Rechenprozess wieder in ihren Anfangszustand zurückkehren, lassen sich als <geschlossen> bezeichnen.

Systeme, die User zu linearem Nachvollzug der programmierten Funktionen führen, lassen sich als <reaktiv> bezeichnen, wenn sie Usern vorprogrammierte Spielräume für die Verarbeitung systemexterner Daten offerieren können und diese Verarbeitungsprozesse Spuren in systeminternen Archiven hinterlassen.

Wird der Begriff Interaktion als Bezeichnung für wechselseitige Echtzeitreaktionen – für direkte Reaktionen auf Aktionen der jeweils anderen Seite – verstanden, so überschneidet sich die Bedeutung des Begriffs Interaktion mit der Bedeutung des Begriffs <Partizipation>, sofern es sich nicht um <derivative Interaktion> handelt, die aus einem Wechselspiel von programmierten Reaktionen auf Aktionen mehrerer User in einem (Spiel-)System besteht.

Auf einer Skala ansteigender Offenheit für Useraktivitäten werden folgende vier Stufen unterschieden:

(4.1) <geschlossene Systeme> mit abrufbaren, in ihren Anfangszustand zurückkehrenden User-Funktionen (bei Huber: reaktive Arbeiten. Vgl. Alexej Shulgins Remedy For Information Desease (1996));

(4.2) <reaktive Systeme> mit Speicher für Zustandsveränderungen, zum Beispiel für Resultate von abrufbaren Funktionen, die systemexterne Webdaten nach Usereingaben suchen und bearbeiten (bei Huber: interaktive Arbeiten. Vgl. Mark Napiers The Shredder (1998), s. Lektion 2.);

(4.3) <(derivativ) interaktive Systeme> mit Möglichkeiten für User, auf Aktionen anderer User zu reagieren und/oder miteinander zu interagieren, und dabei momentane oder dauerhaft gespeicherte Zustandsveränderungen innerhalb eines Systems/Programms zu erzeugen. Programmierte Möglichkeiten, Operationen aufeinander folgen zu lassen, regulieren Spielräume für Relationen zwischen Aktion und Reaktion (bei Huber: partizipative Arbeiten. Vgl. Graphic Jam von Andy Deck und Mark Napier (1999, s. Lektion 3.) als Beispiel für derivative Interaktion, re-m@ail von Blank & Jeron (s. Lektion 4.) als Beispiel für Interaktion);

(4.4) <partizipative Systeme>, die Interaktion auf der Ebene der System- / Programmkonstituierung ermöglichen (meist nur für begrenzte Teilnehmer und begrenzte Zeit, z. B. schriftliche Rollenimprovisationen, vgl. Antoinette LaFarge & The Plaintext Players-Silent Orpheus (1997)).

Die Typen 4.3 und 4.4 lösen die oben genannten Probleme der Unterscheidung zwischen Interaktion und Partizipation: Der Begriff <Interaktion> steht in Typ 4.3 entweder für derivative, von einem System geleitete oder für relativ freie, von einem System ermöglichte beziehungsweise regulierte Interaktion. Der Begriff <Partizipation> wird in Typ 4.4 für systemkonstituierende Interaktion eingesetzt. In Typ 4.3 handelt es sich um von einem System (und Speicher für Zustandsveränderungen) geregelte, aufeinander folgende Aktionen, die je nach System direkt hintereinander erfolgen müssen oder auch in (längeren) Zeitabständen erfolgen können. Während Typ 4.3 aus programmierten Systemen besteht, die als Plattform für Interaktionen zwischen Usern taugen, findet im Typ 4.4 Interaktion auf der Programmierebene in der Weise statt, dass das Werk durch die Interaktion erst in seiner Gestalt festgelegt wird. Unvermeidbar ist, dass auch diese Programmierebene programmierte Funktionen voraussetzt, die nicht verändert werden.

Am Beispiel des HyGrid (1995-98) von SITO Synergy Projects (s. Lektion 1) lässt sich zeigen, wie die Frage der Differenzierung der Aktionsmöglichkeiten von Usern zum Problem einer Kunstkritik der Netzprojekte werden kann.

Das "HyGrid"-System besteht aus der Programmierung von Möglichkeiten der Zustandsveränderung in Form von Kombinationsweisen von Quadraten. User können Verschiebungen der Kombinationen im kreuzförmigen Fünf-Quadrate-Feld durch Neubestimmungen der Mittelquadrate mittels Clicks auf Außenquadrate erzeugen: Angeklickte Außenquadrate erscheinen im Mittelfeld wieder.

User können zu Partizipanten werden, die Bildbeiträge einsenden, in denen auch deren Kombinationsmöglichkeiten mit anderen Beiträgen bestimmt wurde: Teilnehmer können durch "weirdlinks" ein Quadrat als Brücke zwischen zwei bis vier Quadraten einsetzen. Die Beiträge kehren dann in in dem Programm, das Verbindungen im Fünf-Quadrate-Feld herstellt, nur in bestimmten Kombinationen wieder.

Beobachtern erscheint das System der verschiebbaren Quadrate als ein Wechselspiel von Kombinationssystem und Kombiniertem in einem Transformationssystem, das Anordnungen reorganisiert. Die Einheit von Kombinationssystem und Kombiniertem, die sich mit jedem neuen Beitrag verändert, kann den Eindruck erwecken, die nicht abgeschlossene Kollaboration von Partizipanten durch eingesandte Graphik konstitutiere das System. Da die Kombinationsmöglichkeiten endlos durchspielbar sind, kann der Eindruck entstehen, es handele sich um ein unausschöpfbares Variationssystem, das sich mit weiteren Graphik-Beiträgen ändert, da sich mit der Einfügung eines neuen Beitrags ins Kombinationssystem auch der System- bzw. Programmzustand ändert, weil die Rechenprozesse zur Realisierung von Kombinationen andere werden. Diese Rechenprozesse verändern allerdings nicht das Programm des "HyGrid"-Systems, sondern sind im Gegenteil in ihm vorgesehen.

"HyGrid" ist offensichtlich ein System des Typs 4.3, das für Beobachter und Partizipanten Aspekte enthält, die in Typ 4.4 die Medienform konstituieren. Es handelt sich jedoch nicht um eine Kopplung der Typen 4.3 und 4.4, sondern um eine Ebenengliederung einerseits in interne, auf der Systemebene programmierte Möglichkeiten der Beobachtung nach der Art von 4.3 und andererseits in Aspekte impliziter Beobachtung, die in Beobachter- und Beobachtungsoperationen aktualisiert und realisiert werden können, und die als Folge einer Programmierung nach Art von 4.4 naheliegend wären. 13

Die interne Beobachtung konstituiert in "HyGrid" eine Systemebene, die Beiträge ins System zu integrieren ermöglicht. Das System erzeugt durch Geschlossenheit Offenheit für neue Beiträge, wenn es eine programmierte Art der Rekombination vorhandener Beiträge mit neuen Beiträgen ausführt. Das "HyGrid"-Kombinationssystem provoziert auf der Ebene impliziter Beobachtung den Eindruck, als kommuniziere jeder Beitrag mit anderen Beiträgen, und als verändere jeder weitere Beitrag diese Kommunikation, als nähme ein User mit seinem Beitrag an dieser kommunikation direkt teil.

In den in 4.4 genannten Beispielen ist Partizipatives auf der Produktionsebene zeitgebunden, das heißt: Teilnahme kann innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens stattfinden. Auf der Rezeptionsebene kann die simultane oder unmittelbar nacheinander folgende Präsentation von Beiträgen verschiedener Autoren den Eindruck kommunizierender, in wechselseitigen Relationen stehender Beiträge erzeugen. "HyGrid" öffnet Rezeptionsmöglichkeiten der direkten Kommunikation zwischen Beiträgen auf der Programmebene durch mittelbar Partizipatives und Dauerhaftes des Typs 4.3.

In "Silent Orpheus" von "The Plaintext Players" können Beobachter in einem begrenzten Zeitrahmen auch den Partizipationsprozess des schreibend Improvisierens (unmittelbare Partizipation der Koautoren) verfolgen: An diesem Prozess ist aber nur eine begrenzte Menge als Partizipanten beteiligt. Die Vorführung des Schreibprozesses in "Silent Orpheus" teilt in Partizipanten und Nicht-Partizipanten/Zuschauer.

Es ist offensichtlich in einigen Fällen sinnvoll, die Skala mit den Stufen 4.1 bis 4.4 auf den Ebenen des internen und des impliziten Beobachters, also auf der Programm- und der Rezeptionsebene, anzuwenden und die Relationen zwischen beiden Ebenen zu klären.

Dies erfordert, der Explikation der Stufen 4.1 bis 4.4 auf der Programmebene, wie sie oben fixiert wurde, auch eine Explikation auf einer Rezeptionsebene mit den Stufen 5.1 bis 5.4 hinzu zu fügen:

(5.1) Der Beobachter aktiviert einzelne Funktionen und kann die aufgefundenen Daten als Teile eines geschlossenen Systems rekonstruieren.

(5.2) Der Beobachter gibt Daten für systemexterne Netzverbindungen ein und operiert mit den systeminternen Transformationen dieser Daten, zum Beispiel, indem er sie im Speicher ablegt. Die durch die programmierten Weisen der Generierung von Daten erzeugten und gespeicherten Oberflächen können für Beobachter auch als Hinweise auf Benutzungsweisen anderer Beobachter lesbar sein.

(5.3) Beobachter erkennen die Operationen anderer Beobachter entweder in direkter <interface interaction> oder durch Speicherfunktionen später und können darauf in der im System angelegten Weise mit <interface operations> und "interface communication" 14 reagieren.

(5.4) User agieren entweder selbst als Akteure in einem partizipativ entstehenden System und/oder sie beobachten die Relationen zwischen (entstandenen oder gerade entstehenden) Beiträgen anderer Beobachter. Beobachter können Beiträge anderer User als zueinander in einem quasi-partizipativen, weil wechselseitigen (<kommunizierenden>) Verhältnis stehend verstehen und erst im Laufe einer Rekonstruktion der Systemzusammenhänge realisieren, ob diesem quasi-partizipativen Verhältnis Partizipation auf der Produktionsebene (s. Typ 4.4) entspricht/entsprach.


Medienformen

Der Begriff "Gattung" steht für konventionalisierte Kombinationsweisen von Formen. Vielfach aufgegriffene und als Gattungsspezifika bekannte Weisen der Formkombination nützen die Möglichkeiten der Formen tragenden Medien nur teilweise. 15 Explikationen der Kombinationsweisen in Form von Gattungsregeln können normativen Geltungsanspruch erhalten, der den Ausschluß von Medienmöglichkeiten sanktionieren soll. Solche Ansprüche erhoben früher im Kunstkontext die Kritik und die Ästhetik, indem sie Gattungsregeln (die zugleich der Zu- und Abschreibung des Status Kunst dienten) festzuschreiben versuchten.

In der gegenwärtigen Medienlandschaft ergeben sich Restriktionen von Medienmöglichkeiten eher indirekt durch Distributionssysteme und Vermarktungsstrategien, als durch Regeln und normative Ansprüche erhebende Diskurse.

Die Geschichte der Etablierung von Ausschlußverfahren für Kunsthandel und Kunstmuseen mittels Kunsttheorie und Kunstkritik wird seit den sechziger Jahren von einer institutionellen Kritik und von Kontext Kunst vorgeführt und kritisiert. In den Kunstdiskurs über Intermedia Art bettet sich eine Kontextkritik ein, welche die kunstexternen Hemmschwellen der Entwicklung künstlerischer Alternativen in Bereichen der experimentellen Medienkombinationen und der Integration Neuer Medien (Fotografie, Film, Video, Computer etc.) thematisiert. Es geht nicht nur um eine Kritik kunstinterner Institutionalisierungsprozesse, sondern auch um eine Kritik der kunstexternen Vorbedingungen, die Gebrauchsweisen neuer, kunstextern entwickelter Medien begrenzen.

Restriktionen durch gewinnorientierte Medienpolitik von Konzernen liefern Ansätze für eine Kritik der künstlerischen Arbeitsbedingungen, die den Verlauf der Planung und Realisierung von Netzprojekten beeinflussen. Zu diesen Arbeitsbedingungen gehören im Internet Restriktionen der Möglichkeiten zur Weiterentwicklung vorhandener Programme, zur Entwicklung alternativer Programme auf der Basis erhältlicher Programm(teil)e, des Datenzugriffs und der Speicherung. Diese Restriktionen können auch die Entwicklung und Realisierung alternativer NetArt-Projekte verhindern.

Durch wiederholte künstlerische Anwendung bestimmter Weisen der Medienkombination können auch in NetArt Gattung(skonvention)en entstehen. Dann wird die Möglichkeiten eruierende Frühphase durch eine traditionsgebundene, weil durch wiederholten (und erfolgreichen) Mediengebrauch von Vorcodierungen nicht mehr freie Phase ersetzt. In dieser Phase ist der Konflikt unvermeidbar, dass Werke mit Formen, die an den künstlerischen Mediengebrauch anschließen, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit den schwieriger zu rezipierenden Werken entziehen, welche alternative Weisen der Konzeptualisierung ihrer Medienvoraussetzungen offerieren.

In einer weiteren Phase der Vorcodierung von Netzprojekten durch sich etablierenden künstlerischen Mediengebrauch können Künstler, analog zur Entwicklung der Gattung Malerei, diese Vorcodierungen thematisieren: Eine Spätphase in der Gattungsgeschichte – die Thematisierung von etablierten Wechselbeziehungen zwischen kunstexternen Medien- und Kunstcodes durch Kunst – kann es auch bei der Netzkunst geben.

Zur aktuellen Phase der Entwicklung von NetArt: Kritik kann in der Phase der Entstehung von Gattungskonventionen, in die die Geschichte der Netzkunstprojekte bald gelangen kann, die Aufmerksamkeit von Werken, welche den Akzent auf Anschlussformen an Etabliertes legen, ab- und auf experimentelle Werke der NetArt hinlenken. Kritik kann sich aber auch der Schaffung von Öffentlichkeit für leicht popularisierbare Werke und damit der Schaffung von Spektakeln widmen. Eine populistisch orientierte Kritik kann Netzprojekten Aufmerksamkeit verschaffen, die einfacher zu rezipieren sind, weil sie dominant von Anschlussformen an Gattungsnormen 16 und/oder an Codes beziehungsweise narrative Elemente der Pop Kultur 17 geprägt sind: Am Prozess der Ausbildung von webimmanent sich von Anschluss zu Anschluss ausprägenden Gattungsnormen können webexterne kulturelle Codes beteiligt sein, die teilweise in älteren kunstin- und -externen Medien entstanden sind und aus diesen übertragen werden. Auch können Zeichen aus webimmanenten kunstexternen Codes in künstlerische Netzprojekte nicht nur in kritischer Absicht integriert werden, sondern auch, um an die netzinternen Brechungen der Pop Kultur (bzw. die Kultur der Unterhaltung und der Massenmedien) anschließen zu können.

In den Kritiken von Netzprojekten sind derzeit Prozesse der Scheidung wie der Durchdringung erkennbar einerseits von Aufmerksamkeit heischender Aufzählung künstlerischer Aktion(sform)en im Netz und andererseits der Differenzierung von Kriterien für Netzkunst, einerseits von populistischen Versuchen der Erweiterung des Userinteresses und andererseits von Binnendifferenzierung. Von einer Trennung zwischen öffentlichkeitswirksam Vorcodiertes aufbereitenden Projekten und experimenteller "new media avantgarde", einer Dichotomisierung in E(rnst) und U(nterhaltung), kann noch nicht gesprochen werden.

Kritiken von Netzprojekten sind webextern derzeit in Büchern über Neue Medien und Anthologien mit Symposienbeiträgen und überwiegend in Feuilletons und Zeitschriften für ein Computer-Fachpublikum, kaum aber in Kunstzeitschriften zu finden. Über Meldungen und kurze Features geht die Thematisierung von NetArt in Kunstzeitschriften nur selten hinaus. Dieser Marginalisierung von NetArt, die neue Entwicklungen bietet, steht eine ausführliche Darstellung und Kritik ausstellbarer Medienformen gegenüber, obwohl hier die neunziger Jahre bestenfalls konzeptuell überzeugende Anschlussformen an Intermedia Art (Video, Performance, Kontext Kunst) vorzuweisen haben, die wie die Malerei Gefahr laufen, in einer Vielfalt unergiebiger Spielformen unter zu gehen.

Derzeit spielen in der Kritik von NetArt auf Seiten der Computerzeitschriften Aspekte der Programmierung, andererseits auf Seiten der Feuilletons und der Kunstzeitschriften Aspekte des Anschlusses an Bekanntes, das heißt in den Massenmedien Popularisiertes, eine große Rolle, während die konzeptuelle Seite von Netzprojekten (als künstlerische Modelle für Weisen der Welt- und Medienbeobachtung) auch in webinterner Kritik (noch) nicht ausreichend gewürdigt wird. Die "Lektionen in NetArt" sehen ihre Aufgabe in einer Kritik, die an ausgewählten Netzprojekten Relationen zwischen Medien(formen), Beobachtungs- und Beobachteroperationen reflektiert, was bislang nur ansatzweise geschah.

Die Frage, die die Zukunft von NetArt entscheidet, lautet: Bricht NetArt aus der oben skizzierten, auf Erfahrungen mit etablierten Kunstgattungen abstrahierten Verlaufsform von Medienformgeschichten aus, und bleibt eine Medienfragen konzeptualisierende "Intermedia Art", oder gibt NetArt die Offenheit der Medienkombinationsmöglichkeiten und der Reflexion(smodelle) zu Gunsten einer begrenzten Vielfalt von Gattungen auf, in der (oder denen) sich konventionalisierte Weisen der Medienkombination und etablierte Weisen der Medienbeobachtung wie Aspekte von "Virtualitätsgattungen" behandeln lassen. 18 Für die weitere Entwicklung von NetArt ergeben sich die beiden Möglichkeiten, erstens den Weg von Intermedia Art fortzusetzen und durch die Reflexion von Medienbeobachtung sowie durch die Konzeptualisierung von alternativen Medienkombinationen die Schließung der Kopplungen zu Medienformen zu vermeiden, oder zweitens diese Schließung durch die Konventionalisierung von Gattungen voran zu treiben.


Schichtung und Verflechtung

Mike Sandbothe schreibt über die intermedialen Veflechtungen von Bild, Schrift und Sprache im Internet:

Indem das World Wide Web diese Dienste [IRC, MUD, MOO] in sich integriert, nimmt es einerseits die durch sie ermöglichte sprachanaloge Verwendungsweise von Schrift auf. Andererseits aber wird Schrift in den für das World Wide Web charakteristischen Hypertextdokumenten am Leitfaden des Bildes neu organisiert. 19
Sandbothe analysiert diese "digitalen Verflechtungen" von "Bild, Sprache und Schrift im Internet" 20 mittels Wolfgang Welschs Analyse des Begriffs der "Transversalität". 21 Zwischen Transversalität durch Links, die potentiell alle Webpages zu einem Hypertext verbinden, und Manovichs Auffassung von "database" als netzrelevante "symbolische Form" sind Bezüge (re)konstruierbar.

Im Datenfluss des Internet sind Ausgrenzungen geschlossener Systeme Konstruktionen, die Grenzen zwischen System und Umwelt setzen. Die Gliederung der Netzdaten von Kommunikationssystemen in Subsysteme ("databases" mit "folders") konstituiert eine Geschlossenheit, die Offenheit für vielfältige Querbeziehungen durch Links ("Verflechtungen") zwischen systemin- und -externen Subsystemen ermöglicht: Schichtung und Verflechtung bedingen sich im Netz unter bestimmten Bedingungen wechselseitig. Schichtung ermöglicht Binnenbezüge zwischen verschiedenen Ebenen und Außenbezüge durch Links zwischen verschiedenen Ebenen beziehungsweise Subsystemen verschiedener Systeme. Die Struktur der Gliederung in Ebenen aus Subsystemen/Folders wiederum soll sichern, dass die Binnenbezüge durch Außenbezüge nicht in Frage gestellt, sondern bereichert werden.

Schichtung ermöglicht in Netzprojekten Verflechtung, so zum Beispiel in Subsystemen, die Zustandsveränderungen durch Zugriffe auf externe Daten ("Verflechtung") und Ablagerungen der Datentransformationen in Archivsystemen (Schichtung von der Datenzugriffsebene bis zur Archiv-/"database"-Gliederung) ermöglichen. 22

Verflechtung impliziert für die Struktur von Netzprojekten:

(6.1) Links zwischen Subsystemen (bzw. "folders") von "databases" und Links zwischen Website-in- und -externen Subsystemen heben, indem sie auf (Relationen von In- und Exklusion bei) Überschneidungen von Bedeutungsfeldern verweisen 23, nicht das "database"-System der getrennten Einheiten und der Baumstrukturen (bzw. der einseitig gerichteten Verzweigung) auf.

(6.2) "Verflechtung" als vielseitig gerichtete Verzweigung in der Zeitdimension, als "Nebel" im Sinne von Jean-François Lyotards Problematisierung des Radioempfangs bei Autofahrten 24, thematisiert Wisniewskis "Netomat" als Datenfluss, der eine Navigation durch Selektion additiver Einheiten aus "databases" 25 verhindert.

"Verflechtung" kann also sowohl dazu dienen, Relationen zwischen "databases" zu schaffen (s. 6.1), als auch Datenfluss-Präsentationen konstituieren, die sich nicht in "Kontexturen" und Kontextur-Relationen integrieren lassen (s. 6.2). Die Frage bleibt, ob es das Internet nicht ermöglicht, Modelle für Übergänge zwischen polykontexturalen Kommunikationssystemen und "Rhizomen" zu schaffen. Sollte dies zu einer Diskussion von Passagen zwischen Systemen und "Rhizomen" führen, dann könnte das, was jetzt als Disjunktion erscheint, in eine Diskussion über die Konstruktion von überleitenden Verfahren und Prozessen, von Zwischenschichten, überführt werden. 26

Die Lernumwelten von "databases" können als "Nebelgebilde" erfasst werden. An diesen "Nebelgebilden" können Systeme ihre Adaptionsfähigkeit erproben und sich je nach Lernfähigkeit - mit unterschiedlich schweren Folgen für die eigene Organisation - rekonstruieren. Die vom System wie von Usern wählbare Datenumwelt kann bei sich selbst organisierenden Systemen zum Anlass einer Systemregenerierung durch Selbstde- und -rekonstruktion werden. Systeme können in Umwelten auch weitere Systeme erkennen und sich mittels "(Inter-)Penetrationen" durch und mit deren Organisationsstrukturen (re)konstruieren. 27

(6.3) In Umgebungen mit Charakteristika von "Nebelwolken" (s. 6.2) betten sich selbst organisierende, ihre Adapations- und Lernfähigkeit durch Neu- und Umschichtungen sowie Neu- und Umbildungen ihrer Kontexturen (re)konstruierende Systeme ein, oder letztere kooperieren durch Interpenetrationen mit anderen Systemen. Useraktivitäten können so in diese Systeme eingebaut werden, dass sich maschinelle und menschliche Organisation (z. B. in Open Source Programmierung) durchdringen können.


NetArt versus Kunstbetrieb

Da die Organisationsweise 6.3 noch Zukunftsmusik ist, werden im Folgenden Konsequenzen aus den geschlossenen Strukturen 6.1 und den offenen Nebelgebilden 6.2 für die Organisation künstlerischer Netzprojekte und die Geschichte künstlerischer Medienformen erörtert.

Verhindert werden können restriktive Codierungen von Medien(kombinations)formen nicht nur durch "Nebelgebilde" konstituierende Verflechtungen (s. 6.2), sondern auch durch Relationen zwischen Schichtung und Verflechtung (s. 6.1). Diese Relationen führen, wenn sie hinreichend komplex sind, zu einer hohen Variabilität – höher als es der Spielraum für Formenvielfalt in Kunstgattungen zuließ. Durch erweiterte Variabilität von Kopplungen können etablierte Variabilitätsgrenzen von Medienformen überschritten werden. Mit einer hohen Variabilität von Kopplungen lässt sich auch die Schließung von Kopplungsmöglichkeiten zu neuen Medienformen verhindern.

Die von Seiten der Künstler forcierte Kritik an Rahmenbedingungen des Kunstbetriebs kulminierte in Kontext Kunst. Hauptthema dieser Kritik war der Status setzende Anspruch, zu dem sich die Kollaboration zwischen händlerischen, ausstellenden und theoriebildenden Instanzen verdichtet. Zusammenhänge zwischen Medien, Medienkombinationen und Medienformen sowie zwischen Werkumgebung, Werk (als Kommunikationssystem) und Useraktivitäten/Beobachteroperationen lassen sich im Internet konzeptualisieren. Diese Konzeptualisierung kann Versuche der Übertragung von Strategien der Etablierung von Kunstgattungen im Netz blockieren beziehungsweise scheitern lassen. Dies hat zur Folge, dass sich auch der normative Anspruch, mit dem im Kunstbetrieb Werken (mit Medienformen, die Bestandteil institutionalisierter Selektionskriterien geworden sind) der Status Kunst verliehen wird, nicht in NetArt übertragen läßt. 28

Die Versuche der Reinstitutionalisierung von Selektionskriterien, die bestimmten Medienformen den Status Kunst zuweisen, und die Rekonzeptualisierung von Medienkombinationen der Intermedia Art sind konträre Entwicklungen. Da im Internet der Kunsthandel als allen anderen vorgeschaltete, als erste Öffentlichkeit schaffende Instanz ausfällt, scheitern Versuche der Reinstitutionalisierung des Kunsthandels mit Netzprojekten. 29 So können die Prozesse der Institutionalisierung von Selektionskriterien der Medienformen, die den Status Kunst als Anspruch erheben, nicht anlaufen, oder sie erscheinen als Fehlstart.

Medienformen der Kunst wie Fotografie, Film und Video entstanden aus neuen, kunstextern entwickelten Medien. Schon bei diesen medienformen wurde der Kunststatus verleihende Anspruch, der den Gattungskriterien der Präsentationsformen Malerei, Skulptur und Zeichnung zugeschrieben wird, fragwürdig. Außerdem gilt Objektkunst als Anfang einer künstlerischen Konzeptualisierung der Kriterien, die erfüllt sein müssen, wenn der Status Kunst zuerkannt werden soll. Da die Funktion der institutionellen Rahmenbedingungen von Kunst (Kunstmuseen und Kunsthandel), deren Thematisierung in dieser Konzeptualisierung eine entscheidende Rolle spielt, für NetArt nicht erneuert werden kann, stellen sich folgende Fragen: Muss die Konzeptualisierung von Kriterien der Kunst-Bestimmung (in Form einer Investigation des Kunstkontextes, zum Beispiel den Ausstellungsbedingungen) bei NetArt durch eine Analyse auf der Basis einer Medienphilosophie erneuert werden? Wird aus der postästhetischen Rolle der letzten Entwicklung ausstellbarer Kunst als Lieferant von Modellen für (Weisen der) Kunst- und Weltbeobachtung nicht eine Kunst, die die Wechselseitigkeit von (Weisen der) Medien- und (Weisen der) Weltbeobachtung (inklusive der Art World) in Modellen und Theorien reflektiert? 30 Führen die Medienkombinationen, programmierbaren Funktionen und Datenflüsse des Internet zur Forcierung der intermedialen und kontextreflexiven 31 Ansätze durch neue Möglichkeiten der Schichtung und Verflechtung? Geschieht diese Erweiterung intermedialer Ansätze in einem Kontext, der sie nicht mehr blockiert, sondern durch seine eigene Konstitution - Datenflüsse und ihre Organisation für Beobachteroperationen - forciert?


Indices für Medienkombinationen

Die "Lektionen in NetArt" erhalten Indices (s. u.) für Medienkombinationen, -funktionen und -formen der Netzkunst. Die Einteilbarkeit in Index-Gruppen ist noch kein ausreichender Hinweis für die These, dass sich bei gewissen Formen der Netzkunst bereits der (im Kapitel über Medienformen angesprochene, Präsentationsformen konventionalisierende Prozess) der Differenzierung in Gattungen abzeichnet. Die Indices charakterisieren intermediale Formen als Interface- Funktionen, die Möglichkeiten für Beobachteroperationen offerieren. Wenn diese Indices hinter den im Verzeichnis der Lektionen in NetArt aufgeführten Titeln von Netzprojekten mehrfach wiederkehren, und wenn die so indicierten Netzprojekte nicht Sphären ohne Zusammenhänge bilden, sondern verwandte und auf der Basis von Vergleichen kritisierbare Medienkombinationen aufweisen, dann zeichnen sich Entwicklungen von Gattungen in der Netzkunst ab: Die Entstehung von Gattungskonventionen ist derzeit bei NetArt erst ansatzweise erkennbar.

Die Indices beschreiben Werkformen so, dass sich in der Liste der "Lektionen" die Netzprojekte möglichst mit einem Index ausreichend charakterisieren lassen. Wenn ein Index dafür nicht ausreicht, können mehrere Indices im Verzeichnis der "Lektionen in NetArt" für einzelne Netzprojekte verwendet werden. Die Möglichkeit, neue Indices bei Bedarf einzuführen, wird nicht ausgeschlossen. So lässt sich die Offenheit von "Intermedia Art" für Neukombinationen durch die Integration neuer Funktionen und Medien sowie für Zwischenformen durch Rekombinationen auch bei NetArt berücksichtigen.

Indices:

- (AK): Additive Kombinationen netzex- und -interner Aktivitäten.

- (AL): Programme, die künstliche Umgebungen und in sie eingebettete Wesen mit Eigenschaften kreieren, die Lebewesen analog sind ("Artificial Life").

- (AN): Darstellung von Aktivitäten im Netz, die netzextern und kunstrelevant sind ("Art on the Net").

- (AS): Abzuspeichernde Systeme, die Programme für die Navigation im Netz und / oder die Transformation gesammelter Webpage-Daten enthalten, aber weder Archivsysteme besitzen noch Browserfunktionen übernehmen.

- (AT): Atavare (virtuelle Akteure).

- (BA): Abzuspeichernde Browser ("Browser Art").

- (CP): Programme, deren Funktionen sich nicht mehr abschalten lassen und die andere Funktionen stören.

- (DS): Datensysteme, die aus Datenerhebungen und Auswertungen bestehen, zum Beispiel Umfragen und ihre Auswertungen.

- (ED): Eine-Datei-System, das nur eine dem User zugängliche Datei (inklusive abhängige Dateien) enthält.

- (ES): Systeme, in denen mehrere User via e-Mails untereinander (und mit Netzeigenschaften) kommunizieren.

- (FN): Neue oder ungewöhnliche Formen der Vernetzung.

- (GS): Game Software.

- (IS): Informationssysteme, die vorhandene Websites und -pages nach bestimmten Kriterien durch Links und / oder durch Archivsysteme verbinden.

- (KB): Systeme für kollaborative Bildproduktion mit / ohne Archivsysteme(n).

- (KS): Kommunikationssysteme konstituierende Kombinationen netzex- und -interner Aktivitäten.

- (ND): Netdesign in verschiedenen Anwendungsbereichen und Selbstpräsentationen von Designern und Typographen.

- (TP): Textbasierte Projekte: Texte, in die Illustrationen, Kurzfilme und Soundfiles eingeblendet sein können, mit Website-in- und -externen Links (Hyperfictions).

- (TR): Telepräsenz mit Webcams zur Steuerung von Robotern.

- (TT): Telepräsenz-Projekte zur Echtzeitsteuerung ferner Teile, die auf Webcams verzichten.

- (TV): Telepräsenz und virtuelle Parallelwelt zur Steuerung von Robotern.

- (TW): Telepräsenz mit Webcams.

- (VA): Virtuelle Architektur, die dreidimensionale Körper statisch oder bewegt simuliert und nicht materialisierbar sein muss.

- (PA): Systeme offerieren Möglichkeiten für ungewöhnliche, Daten transformierende Zugriffe auf externe Webpages mit Archivsystemen, in denen die bearbeiteten Webpages gespeichert sind und werden ("Parasite Art").

In dieser Aufstellung sind mit "(AN) Art on the Net", "(GS) Game Software", "(ND) Netdesign" und "(VA) Virtuelle Architektur" Indices enthalten, die nicht so sehr Kriterien der NetArt erfüllen, als ihre nähere künstlerische Umgebung kennzeichnen. Ginge es hier allein um Indices für NetArt, wären diese vier Indices nicht enthalten. Es erscheint jedoch wenig sinnvoll, aus den "Lektionen in NetArt" Websites zu exkludieren, die entweder wichtige, nicht rein webinterne Entwicklungen von intermedialer und computergestützter Kunst zeigen beziehungsweise anwendungsbezogene Kunstpraxis im Web vorführen: Bei "(AN)" ist an Spielprogramme gedacht, die Programmfunktionen enthalten, die auch in Websites mit VRML u. a. übernommen werden können, oder deren Design virtueller Umgebungen für die Gestaltung von VRML-Welten in Websites anregend sein kann. Bei "(KA)" ist an Vorstellungen von Kinetischer Kunst, Performance Art, Theater und experimentellem Film gedacht. Unter "(ND)" lassen sich Entwicklungen grafischer Webpage-Gestaltung thematisieren, ohne Anwendungsbereiche (e-Commerce etc.) auftragsgebundener Programmierung aus dem Einzugsbereich des für NetArt Relevanten auszuschließen. Anders als für die mit "(GS)" und "(KA)" zu indizierenden Projekte gelten für Websites, die "(ND)" relevant sind, uneingeschränkt Kriterien der "Webness" (s. Anm.1). Unter "(VA)" lassen sich Möglichkeiten der Simulierung plastischer, architekturrelevanter oder -naher Formen thematisieren, die auch Experimentalcharakter haben können und nicht realisierbar sein müssen. Aus der Simulierung von 3D-Formen können sich neue Anwendungen für NetDesign und NetArt ergeben, die Kriterien der "Webness" erfüllen.


Dr. Thomas Dreher
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Übrigens: Drehers Homepage bietet zahlreiche kunstkritische Texte, u.a. zur Konzeptuellen Kunst und Intermedia Art.


Fußnoten:

1 Für eine Problematisierung von "Webness" eignen sich Netzprojekte, die eine verlustlose Übertragung auf Datenträger wie CD-ROM oder DVD ausschliessen, da die Datenflüsse des Internet und dessen Möglichkeiten für Useraktivitäten vorausgesetzt werden. Über "Webness": Markoff, John: Where have all the artists gone? In: Leopoldseder, Hannes/Schöpf, Christine (Hg.): Cyberarts 2000. International Compendium Prix Ars Electronica. Österreichischer Rundfunk (ORF), Landesstudio Oberösterreich/Wien 2000, S.18; o. A.: Statement of the World Wide Web Jury. In: Leopoldseder, Hannes/Schöpf, Christine (Hg.): Prix Ars Electronica 96. International Compendium Prix Ars Electronica. Österreichischer Rundfunk (ORF), Landesstudio Oberösterreich/Wien 1996, S.70; o. A.: Prix Ars Electronica: .Net. In: URL: http://prixars.aec.at/history/net/index_e.asp.

Aus der Bestimmung von "Webness" ergeben sich Kriterien für die Unterscheidung zwischen "NetArt" und "Art on the Net": s. Blank, Joachim: What is netart;-)? In: URL: http://www.hgb-leipzig.de/theorie/netlag.htm zurück

2 Dietz, Steve: Why Have There Been No Great Net Artists? In: Walker Art Center. Gallery 9. Web Walker Daily. Issue #23. 23.4.2000. URL: http://www.walkerart.org/gallery9/webwalker/ww_042300_main.html zurück

3 Manovich, Lev: Computing Culture. Defining New Media Genres. Symposium Program. Visual Arts Department. University of California, San Diego/Kalifornien 1998. In: URL: http://jupiter.ucsd.edu/~culture/main.html. Manovich formuliert seine Kriterien als Forschungsprogramm. zurück

4 Manovich, Lev: Avant-garde as Software (1999). Abladbar von: Manovich, Lev: Selected Articles...In: URL: http://www.manovich.net/texts_00.htm zurück

5 Im Folgenden (und in den Lektionen in NetArt) umfasst die Bedeutung der Begriff "Beobachter" auch die "Beobachterin". Dies geschieht aus praktischen Gründen, weil die Alternative "(der/die) BeobachterIn" mit ihren Deklinationen in Sätzen schwierig zu handhaben ist. Dasselbe gilt für die Begriffe Akteur, Autor, Besucher, Künstler, Teilnehmer/Partizipant, User und Zuschauer.

Der Begriff Beobachtung umfasst nicht nur sinnliche Wahrnehmung (Tast-, Seh-, Hör-, Geruchs- und Geschmacksempfindungen), sondern auch die kognitiven Prozesse der Bildung von Schemata der "Weltbeobachtung" (Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft. Frankfurt am Main 1997, S.1114,1118). Ohne die Bildung von Schemata, die aus dem Gedächtnis abrufbar sind, würden sich Sinnesdaten nicht zu Vorstellungen von Welt und Ereignissen in der Welt fügen. Beobachtung wird hier als theoretischer Begriff verwendet, der Weisen der Weltbildkonstitution meint, in denen sich Weltbeobachtung formiert und reformiert. Der Begriff Beobachtung steht für die kognitiven Prozesse, die Wahrnehmung ermöglichen (Beobachtung 1 + n. Ordnung), für sinnliche Wahrnehmung (Beobachtung 1. Ordnung) und die Beziehungen zwischen Kognitivem und Wahrnehmung (d. A. : Performance Art nach 1945. Aktionstheater und Intermedia. München 2001, Kap. 1.1.2, S.20-26, Kap. 4.1, S.395-399).

Den Begriff "Kommunikationssystem" verwendet Anna Couey bereits 1991 für Netzprojekte in "Cyber Art: The Art of Communication Systems". In: Matrix News. Vol.1/Nr.4, July 1991. zurück

6 Manovich, Lev: Database as a Symbolic Form (1998). Abladbar von: s. Anm. 4; Razumova, Inna: Interview with Lev Manovich. In: Switch. Vol.5/Nr.3. CADRE Laboratory for New Media. The School of Art and Design. San José State University. San José/Kalifornien 1999. URL: http://switch.sjsu.edu/web/v5n3/J-1.html. Vgl. Dietz, Steve: Archiving with Attitude. [Cohen, Janet/Frank, Keith/Ippolito, Jon-]The Unreliable Archivist and äda'web (In: Ders.: Gallery 9. Walker Art Center, Minneapolis/Mississipi 1999. URL: http://www.walkerart.org/gallery9/three/g9_ua_essay.html)

Die Website äda'web präsentiert ein "Kontextsystem" (Blank, Joachim/Jeron, Karl Heinz: Internationale Stadt Berlin. In: Institut für moderne Kunst Nürnberg (Hg.): Jahrbuch `98/`99. Nürnberg 1999, S.144), für das von Janet Cohen, Keith Frank und Jon Ippolito die "database" "The Unreliable Archivist" realisierten. Dabei wurde berücksichtigt, "that properties that must be fixed for a book can be fluid for a Web site". Nicht analog zu Seiten gegliederte Netzprojekte waren in "The Unreliable Archivist" jedoch nicht integrierbar – Jon Ippolito: "...we had to exclude the few ada'web projects that aren´t page-based, such as jodi´s %20Demo and Maciej Wisniewski´s Jackpot (1997) [s. Lektion 7.]." (Dietz, Steve: The Unreliable archivist. An e-mail interview, November 1998-January 1999. In: URL: http://www.walkerart.org/gallery9/three/g9_ua_interview.html)

Eine treffende Beschreibung von "database"-Systemen auf der Basis der Kybernetik zweiter Ordnung liefern Slayton, Joel/Wittig, Geri: Ontology of Organization as System Kapitel "Prehension" (In: URL: http://c5corp.com/research/ontology.shtml): "...the folder as a unity is self-referencing, establishing identity within the membranes of separation...Each localization of a folder presents a new prehension status for the folder and the organization to which it is a member." zurück

7 "Beobachtungs-" und "Beobachteroperationen": "Der Begriff <Beobachteroperation> bezeichnet körperliche Aktivitäten zur Wahrnehmung von Umwelt: So werden zum Beispiel optische Daten durch Körper- und Augenbewegung gewonnen. Mit dem Begriff <Beobachtungsoperation> werden kognitive Prozesse bezeichnet. Die <Beobachteroperation> dient dem Dateninput und die <Beobachtungsoperation> der Datenverarbeitung." (d. A.: Performance Art nach 1945, s. Anm.5, Kap. 1.1.2, S.20ff. mit Anm.12,14) Der Beobachter ist als User aktiv sowohl in Beobachteroperationen 1.) der Dateneingabe wie in Beobachtungsoperationen der Verarbeitung des von Ausgabemedien (Effektoren) Angezeigten und 2.) der Planung neuer Dateneingaben.

"Beobachtungsoperationen": Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, s. Anm.5, S.537ff. zurück

8 Z. B. der Anspruch auf die Verfügbarkeit von Programmen zur Integration in andere Programme und zur kollaborativen, öffentlichen Weiterentwicklung (s. IASL online, Lektionen in NetArt Nr. 3: d. A.: Andyland/Artcontext (Deck). Kapitel Copyright and "the open source movement". In: URL: http://iasl.uni-muenchen.de/links/lektion3.html); der Anspruch auf freie Wahl von Website-Titel und URL-Adressen (vgl. den Trademark- & Domainnamenkonflikt zwischen der schweizer Künstlergruppe etoy und dem amerikanischen Spielzeugwarenhersteller eToys Inc. (Bibliographie in: RTMark: press/The etoy Fund/ History. In: URL: http://rtmark.com/etoypress.html); der Anspruch auf die Verfügbarkeit von industriellen Erzeugnissen und Zeichen der Corporate Identity, die zum Bestandteil der Alltagskultur geworden sind, sowie der Anspruch auf kritische und künstlerische Rezeption dieser Erzeugnisse und Zeichen (vgl. IASL online, Lektionen in NetArt Nr.2: d. A.: Potatoland (Napier). Kapitel Napier gegen korporativ organisierte Restriktionen im Netz. In: URL: http://iasl.uni-muenchen.de/links/lektion2.html). zurück

9 Z. B. die Überlastung der Kapazitäten des Servers, der die Website von eToys Inc. trägt, durch Überforderung der Eingabefelder und der Mailboxen des Managements (durch Proteste) u. a. (s. Anm.8, vgl. etoy.CORPORATION TOYWAR. In: URL: http://www.toywar.com/; Grether, Reinhold: Wie die Etoy-Kampagne geführt wurde. In: Telepolis. 9.2.2000. In: URL: http://www.ix.de/tp/deutsch/inhalt/te/5768/1.html; Richard, Birgit: Cool Business. Etoy´s toy wars. In: Nettime. 5.12.2000. In: URL: http://www.nettime.org/nettime.w3archive/200012/msg00025.html) zurück

10 Z. B. praktiziert Paul Garrin in name.space eine andere Vergabe der "top level domain names" (TLD - international: .com., ..org, .mil, .net, .edu, .gov; national: ISO Codes: .au, .de, .uk u. a.), die allerdings (noch) nicht im ganzen Netz funktioniert, da nicht standardisierte Top-Level-Domains nicht registriert sind und nur von dafür eingerichteten Rechnern erkannt werden können. Garrins "PGMedia" versuchte auf juristischem Wege, die Beschränkungen dieser "domain names" durch Anklage gegen Network Solutions aufzuheben. Gerichte und Regulierungsbehörden entschieden aber gegen Garrins Antitrust-Vorwurf (s. Schultz, Pit: Ist es Kunst? Über die Funktionsweise und Hintergründe von "name.space". In: Telepolis, 9.4.1997. in: URL: http://www.ix.de/tp/deutsch/inhalt/te/1167/1.html; Henican, Ellis: Dot-Com Domain Game´s No Fair. In: Newsday. New York 1.10.2000, Sunday, S.A 4. Auch in: URL: http://www.newsday.com/columnists/stories/sunday/nd6410.htm).zurück

11 Huber, Hans Dieter: Internet. In: Hirner, René (Hg.): Vom Holzschnitt zum Internet. Die Kunst und die Geschichte der Bildmedien von 1450 bis heute. Kat. Kunstmuseum Heidelberg 1998, S.187ff. Ebenso in: URL: http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/huber/aufsaetze/internet.html. Vgl. Ders.: Digging the Net – Materialien zu einer Geschichte der Kunst im Netz. In: Hemken, Kai-Uwe (Hg.): Bilder in Bewegung. Traditionen digitaler Ästhetik. Köln 2000, S.166-169. Ebenso in: URL: http://www.hgb-leipzig.de/ARTNINE/huber/aufsaetze/digging.html zurück

12 Ob Hans Dieter Huber an Stufen der Interaktivität auf einer Skala dachte, oder an nicht auf einer Skala unterzubringende Unterschiede der Art (also weder Unterschiede des Grades noch der vergleichbaren Arten), expliziert er nicht. Das Interessante an seinem Vorschlag ist jedoch, daß er die Möglichkeit einer Skala von Stufen der Interaktivität aufzeigt. zurück

13 Interne, implizite und reale Beobachtung: Programmierte Möglichkeiten, auf Beobachteroperationen zu reagieren, sind Bestandteil der <internen Beobachtung>, während die <implizite Beobachtung> mögliche Beobachtungs- und Beobachteroperationen der Rezipienten bezeichnet, die auch ohne Kenntnis der Programmiersprache denkbar sind. Reale Beobachtung steht für Rezeptionsprozesse, die sich an Beobachteroperationen und an Dokumenten über Beobachtungsoperationen ablesen lassen (Eco, Umberto: Im Wald der Fiktionen. Sechs Streifzüge durch die Literatur. Harvard-Vorlesungen (Norton Lectures 1992-93). München 1994, S.9-37, bes. S.26f.; Lenk, Hannelore: Rezeptionsforschung. Eine Einführung in Methoden und Probleme. 2. Aufl. Stuttgart 1980, S.41ff.). zurück

14 Über <interface interaction>, <interface operation> und "interface communication": Manfred Faßler definiert: "Interface-communication means, that the actors could come from different cultural backgrounds, are bound to different symbolic orders and try to organize a process of communication that is not primarly aimed to stabilize a territorial social system, but to build a certain artificial continuity of understanding specific aspects." (Faßler, Manfred: Moments of Cyber-Modernity. Inter-Acting in Distributed Artificial Societies. Abladbar von: Ders./Weber, Stefan: CyberPoiesis. Neue Texte. In: URL: http://www.cyberpoiesis.net/texts_de.jhtml) Eine "artificial continuity of understanding" kann bei künstlerischen Netzprojekten auch dadurch zwischen Usern entstehen, dass sie die programmierten Funktionen so aktivieren, dass mehrere User aufeinander folgende Operationen in einer Art ausführen, die erkennen lässt, dass sie die programmierten Kooperationsmöglichkeiten anzuwenden in der Lage sind, während die Bedeutungsfelder der vorgeführten Zeichen von den Teilnehmern völlig verschieden verstanden werden können.

Besonders graphisch orientierte Netzprojekte wie z. B. "Graphic Jam" von Andrew C. Deck und Mark Napier (s. o., Typ 4.3) setzen keine Verständigungsbasis über verschiedene kulturell bedingte Auffassungsweisen von Zeichen (weder von visuellen Zeichen noch von in das Graphic Design integrierten Schriftzeichen) voraus: Netzprojekte können Folgen von Operationen verschiedener User als Sequenz kurz- oder langfristig speichern und müssen dabei nicht eine (oder das Entstehen einer) Kommunikationsbasis zwischen Usern im Sinne einer symbolischen Interaktion (eines Dialogs oder Diskurses) voraussetzen. Netzprojekte können vielmehr versuchen, Kommunikation im Sinne von symbolischer Interaktion durch den Austausch von Zeichen zu unterlaufen, deren Bedeutungsfelder nicht für die Aktionsfolgen relevant oder nicht mittels Lexika festgelegt sind. Zeichen ohne (quasi-)lexikalische Vorcodierung sind auch im Alltagsgebrauch nur schwer zu fassen, da sich Koordinaten für die Koordination der nur an Hand des Alltagsgebrauchs erkennbaren, weil nur implizit geregelten Codes ständig in zeitlichen und räumlichen Achsen verschieben. Häufig handelt es sich um den Austausch von visuellen Zeichen und damit um Zeichen, die meist nicht eindeutig stilistischen Codes (die sich laufend wandeln und für die es keine quasi-lexikalischen Instanzen gibt) und sozialen Codes, für die die präsentierten Zeichen zugleich stehen können, zugeordnet werden können.

Einerseits zeigen Speicher der von Beobachteroperationen/Useraktivitäten bewirkten Zustandsänderungen des Systems eines Netzprojektes immer schon semantisch und graphisch vorbelastete, weil vorcodierte Zeichen, andererseits sind die Bedeutungsfelder gesammelter Daten in einem sehr grossen, von den programmierten Funktionen vorgegebenen Spielraum austauschbar, wodurch die Konstituierung von Bedeutungszusammenhängen unmöglich werden kann. Nicht selten sind die Codes, die Bedeutungszuordnungen ermöglichen, selbst in ständiger Veränderung (z. B. stilistische Codes in Design und Mode) und werden deshalb verschieden dechiffriert, oder die Zeichen fallen zwischen Codes und lassen Möglichkeiten für Zuordnungen offen.

Die Prozessualisierung von Beobachteroperationen unter- oder außerhalb der Ebene sprachlich geregelter Kommunikation (symbolischer Interaktion) in einem mit Useraktivität sich ändernden Werk könnte eine der Hauptleistungen von "Intermedia Art", insbesondere von NetArt, sein - Mike Sandbothe: "Wir lesen das Bild als ein Zeichen, das uns nicht nur semantisch, sondern auch und vor allem pragmatisch, d. h. durch einen einfachen Mausklick auf das andere Zeichen, verweist." (Sandbothe, Mike: Transversale Medienwelten. Philosophische Überlegungen zum Internet. In: Vattimo, Gianni/Welsch, Wolfgang (Hg.): Medien - Welten Wirklichkeiten. München 1998, S.75. Abweichende Fassung in: URL: http://www.uni-magdeburg.de/iew/html/body_dgfe_seite.html)

Diese mit Sandbothe vorgebrachte Eingrenzung des Geltungsbereichs von Faßlers Begriff der "interface communication" impliziert für d. A. nicht, sogleich zu der von Sandbothe vorgeschlagenen pragmatischen Medienphilosophie überzugehen, sondern im Theoriedesign einer konstruktivistisch begründeten Medientheorie pragmatische - oder derzeit als <pragmatisch> diskutierte - Aspekte zu berücksichtigen: Semantische Bezüge, die eine "artificial continuity of understanding specific aspects" konstituieren ("interface communication"), kann es im Netz ebenso geben wie <interface interactions> zwischen Usern, die sich über semantische Fragen und Möglichkeiten interkultureller symbolischer Interaktion nicht klar werden müssen, um miteinander operieren zu können: <interface interactions> können aus aufeinander folgenden <interface operations> verschiedener User, aber auch aus "interface communications" bestehen, in denen User <operations> des Ab- und Aufrufens von programmierten Funktionen für Empfangen und Senden von Zeichensequenzen mit der Übermittlung semantisch vorbelasteter Zeichen, also mit symbolischer Interaktion, verbinden. zurück

15 Zu "Medium" als lose und "Form" (s. Anm. 18) als strikte bzw. feste Kopplung: Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, s. Anm.5, S.195ff. Medienformen sind striktere Kopplungen als Medien, die aber - zum Beispiel in Form von literarischen Gattungen oder Kunstgattungen - Möglichkeiten für Formvariationen zulassen. Strikte Kopplungen in Werkformen können Beispiele für Selektionen aus loseren Kopplungen sein, die im Rahmen einer Medienform zugelassen sind. "Intermedia Art" (s. Anm.18) variiert Kombinationen von Medienformen oder überschreitet die Grenzen der strikteren Kopplungen der Medienformen, um durch umfassende Kopplung von Formen Medien(kombinations)möglichkeiten zu exemplifizieren oder zu problematisieren.

Über "Form" und "Beobachtungsoperationen" (s. Anm.7) in digitalen Medien: "Form ist das interfaciale Geschehen bei der Nutzung immersiver digitaler Medien." (Faßler, Manfred/Weber, Stefan: CyberPoiesis. Forschungsdesiderate zu Theorie und Empirie der Netzmedialität. Abladbar von: Dies.: CyberPoiesis. Neue Texte, s. Anm.14) zurück

16 Vgl. Holger Friese-unendlich fast (1995), an "IKB (International [Yves] Klein Blue)"-Monochrome anschließend (Wember, Paul: Yves Klein. Köln 1969, S.11-14,72-75; Dreher, Thomas: unendlich, fast...: Holger Friese. In: URL: http://iasl.uni-muenchen.de/links/lektion10.html); John Simon Jr.-Every Icon (1997), an das "Grid" als Paradigma in der Malerei des 20. Jahrhunderts und als "emblem of modernity" anschließend (Krauss, Rosalind: Grids, You Say. In: Glimcher, Arnold/Hoffeld, Jeffrey (Hg.): Grids. Format and Image in the 20th Century Art. Kat. The Pace Gallery. New York 1978, o. P.) zurück

17 Vgl. die Website der schweizer Künstlergruppe etoy (1995); Napier, Mark: Distorted Barbie (1996). In: http://ezone.org/ez/e7/articles/napier/barbie.html zurück

18 Das erste, die Überschreitung von Gattungsgrenzen thematisierende Manifest der "Intermedia Art": Higgins, Dick: Intermedia (1966). Neu in: Higgins, Dick: Horizons. The Poetics and Theory of the Intermedia. Carbondale and Edwardsville 1984, S.18-28.

Abraham Moles über die beiden Möglichkeiten von "Intermedia Art": "Two directions are open for intermedia art. The one is a systematic, but careful, deeping of the difficult contrapunctual relationship between one or the other media. The other is the quest for new media: these media of the senses that have not been explored until now, either for lack of technical mastering, or out of intellectual prejudices." (Moles, Abraham: Intermedia Art. Theoretical analysis of the intermedia artform. Kat. The Solomon R. Guggenheim Museum. New York 1980, o. P.)

Josephine Bosma beschreibt NetArt als Konzeptualisierung der Pluralität von Medien (und damit von Medienfragen), nicht als eine "Virtualitätsgattung" (s. u.) unter anderen: "Net art has shown a conceptual overlap between all art forms through the variety of its manifestations and the uneasy definition of it as one artistic `style´." (Dies.: Between moderation and extremes. The tensions between net art theory and popular art discourse. In: Switch. Vol.6/No.1. CADRE Laboratory for New Media. The School of Art and Design. San Jose State University. San Jose/Kalifornien 2000. In: URL: http://switch.sjsu.edu/web/v6n1/articleb3.htm

"Virtualitätsgattungen": Faßler, Manfred: Cyber-Moderne. Medienevolution, globale Netzwerke und die Künste der Kommunikation. Wien/New York 1999, S.108,264.

"Intermedia" und "Transmedium": Mike Sandbothe beschreibt zwar das Internet als ein "Medienhybrid", erkennt aber zugleich in ihm "ein hochkomplexes und äußerst sensibel organisiertes Transmedium...". (Ders.: Transversale Medienwelten. In: s. Anm.14, S.59) Das Internet ist ein Transmedium aus programmierten und programmierbaren Rechenprozessen. Darin, wie programmierte Funktionen auf Interfaces erscheinen, werden nicht nur eine, sondern eine Vielfalt von "Zwei-Seiten-Formen" (bzw. Medium-Form-Brechungen, also Intermedia) erkennbar: "...the computer is the medium that can be any medium." (Biggs, Simon: Multimedia, CD-ROM, and the Net. In: Hershman Leeson, Lynn (Hg.): Clicking In. Hot Links to a Digital Culture. Seattle 1996, S.320) Im Sinne von Moles´ Darstellungen der Möglichkeiten von "Intermedia Art" (s. o.) ist das Internet das neue (Trans-)Medium, das Möglichkeiten für Schichtungen und Verflechtungen zwischen Teilen offeriert, die verschiedenen (visuellen, audiellen, schriftlichen) Medien angehören (Multi- und Intermedia). Von diesen Möglichkeiten der Umsetzung in Netzprojekten sind die Entwicklungen zu unterscheiden, die neue Medienformen als "Virtualitätsgattungen" auf der Basis der Durchsetzung von Gattungskriterien schaffen.

Zur Differenz "Medium"-"Form" (s. Anm.15) als "Zwei-Seiten-Form": "Form wird hier als Markierung einer Unterscheidung begriffen, also als Einheit mit zwei Seiten, von denen nur die eine bezeichnet wird und die andere unmarkiert bleiben muß." (Luhmann, Niklas: Die Gesellschaft der Gesellschaft, s. Anm.5, S.50-54,57-64,198,474,1148) Basis der "Zwei-Seiten-Form" ist "die Unterscheidung von Unterscheidung und Bezeichnung", also die "Unterscheidung in sich selbst": "Form ist immer Zwei-Seiten-Form." (Luhmann, Niklas: Zeichen als Form. In: Baecker, Dirk (Hg.): Probleme der Form. Frankfurt a. M. 1993, S.50f. mit Anm.15, S.53ff.) zurück

19 Sandbothe, Mike: Interaktivität - Hypertextualität - Transversalität. Eine medienphilosophische Analyse des Internet. In: Münker, Stefan/Rösler, Alexander (Hg.): Mythos Internet. Frankfurt am Main 1997, S.72. Eine zum Teil abweichende Fassung in: URL: http://www.uni-jena.de/ms/iht..html zurück

20 Sandbothe, Mike: Digitale Verflechtungen. Eine medienphilosophische Analyse von Bild, Sprache und Schrift im Internet. In: Beck, Klaus/Vowe, Gerhard (Hg.): Computernetze - ein Medium öffentlicher Kommunikation. Berlin 1997, S.125-137. Auch in URL: http://www.uni-jena.de/ms/digi/index.html zurück

21 Welsch, Wolfgang: Vernunft. Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft. Frankfurt am Main 1995/21996 (stw 1238), bes. Erster Teil, Kap. XI.5, S.367-371, Zweiter Teil, Kap. X-XVI, S.748-949. Hier besonders relevant: "Die Analyse muß bemüht sein, das gesamte Verkehrssystem sowohl der horizontalen wie der vertikalen Anschlüsse aufzudecken, in denen ein Paradigma sich bewegt. Dabei erweist sich, daß die binnensektoriellen und transsektoriellen - insgesamt: die interparadigmatischen - Verflechtungen meist nicht hierarchisch, sondern lateral organisiert sind. Ihr Zusammenhang hat eher die Struktur eines Gespinstes als die einer Schichtung." (ebda, S.601) zurück

22 Z. B. Blank & Jeron-Without addresses (1997, s. Lektion 4.); Mark Napier-Shredder (1998, s. o., Typ 4.2).

Zur "Differenz von System und Umwelt" in Systemtheorie: Luhmann, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main 1984/21987, S.22-27,35-48,72,80f. zurück

23 Relationen von In- und Exklusion bei Überschneidungen: Bar-Hillel, Yehoshua/Carnap, Rudolf: An Outline of a Theory of Semantic Information. Massachussetts Institute of Technology. Research Laboratory of Electronics. Technical Report No. 247. October 27, 1952, S.23f. zurück

24 Lyotard, Jean-François: Les Immatériaux. In: Parachute. September/October/November 1984, S.43: «Il faut régler plusieurs fois le récepteur radio de la voiture parce qu´on change plusieurs fois de zones d´émission radio. C´est plutôt une nébuleuse, où les matériaux (édifices, voirie) sont des états métastables d´une énergie.» Vgl. Lyotards Unterscheidung zwischen "Enzyklopädie" und "Nebelwolke", in: Ders. u. a.: Immaterialität und Postmoderne. Berlin 1985, S.57.

Eindrücke der "Nebelgebilde" und des Datenflusses können im Internet entstehen, wenn Ebenen und Ebenenverbindungen so am Interface durch Beobachteroperationen aktualisierbar werden, dass sie als Faltungen und Verschiebungen von Bedeutungsschichten in Beobachtungsoperationen (re)konstruiert/mental realisiert werden können. Auf der Ebene der Programmierung (des internen Beobachters) wird auch hier mit "digital particles" (s. u.) gearbeitet, deren Austausch im Datenfluss des Internet stattfindet. Das Internet kennt keine distinkten Rechnerkapazitäten, sondern nur Rechenverknüpfungen, die von Interface-Konstruktionen und Website-Systemen verschieden in Präsentationsformen (inklusive Userfunktionen) übersetzt werden.

"digital particles": "A data particle is a discrete element. In computing it is the smallest single unit which is not divisible." (Dietrich, Frank: Data Particles - Meta Data - Data Space. In: Switch. Vol.5/Nr.3. San Jose State University, San Jose/Kalifornien 2000. URL: http://switch.sjsu.edu/web/v5n3/B-1.html zurück

25 Beispiel für ein Netzprojekt in Form einer "database": Muntadas, Antonio-The File Room (1994). In: URL: http://www.cd.sc.ehu.es/FileRoom/documents/homepage.html zurück

26 Kontexturen, Polykontexturalität: Günther, Gotthard: Life as Poly-Contexturality. In: Ders.: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik. Bd. II. Hamburg 1979, S.283-306; Kaehr, Rudolf: PCL Glossary. Glossar der Polykontexturalitätstheorie. In: URL: http://www.techno.net/pcl/glossary/main.htm.

Rhizome: Deleuze, Gilles/Guattari, Félix: Tausend Plateaux. Berlin 1992 (i.O.m.d.T. Milles Plateaux. Paris 1980), S.11-42. zurück

27 Zur "strukturellen Kopplung" von System und Umwelt: Slayton, Joel/Wittig, Geri: Ontology of Organization as System. In: s. Anm.6. Vgl. o. A. [C 5]: Theory as product: rcsp research: Complexity as Social Entailment. In: URL: http://www.c5corp.com/projects/rcsp/complexity.shtml, Kap. Autopoiesis: "Continual structural change takes place in a unity, either through external interactions from the environment or through its own internal dynamics. The complexity of a persistent unity is increased within structural couplings. In a structural coupling, interactions between a unity and another unity, or the environment, will consist of reciprocal perturbations. In these interactions, the structure of the environment only triggers structural changes in autopoietic unities, it doesn´t determine or govern them, and vice versa for the environment."

Zur "strukturellen Kopplung": Maturana, Humberto R./Varela, Francesco J.: Der Baum der Erkenntnis. München 1987 (i.O.m.d.T. El árbol del concocimiento. Santiago de Chile 1984), S.85ff.,252ff. Vgl. Maturana, Humberto R.: Biology of Language. The Epistemology of Reality. In: Miller, Georg A./Lenneberg, Elizabeth (Hg.): Psychology and Biology of Language and Thought: Essays in the Honor of Eric Lenneberg. New York 1978, S.42ff. Neu in: http://www.informatik.umu.se/~rwhit/M78BoL.html#Coupling

Zu System-System-(Inter-)Penetrationen ("Intersystembeziehung zwischen Systemen"): Luhmann, Niklas: Soziale Systeme, s. Anm.22, S.289f.,296-300,558. zurück

28 Weibel, Peter (Hg.): Kontext Kunst. Kunst der 90er Jahre. Köln 1994, bes. S.75,87-99,124,160-177,239-256,289ff.

Über den Kunstbetrieb u. a.: Becker, Howard S.: Art Worlds. Berkeley/California 1982/21984, bes. Kap. 2, 4, 5, S.40-67, 93-164; Dreher, Thomas: Spektakuläre Kunstvermittlung und Alternativen. In: Gögger, Christian/Hoffmann, Justin/Königer, Maribel/Metzger, Rainer (Hg.): Für die Galerie. Dealing with Art. Künstlerwerkstatt Lothringer Straße. München 1992, S.11-35.

Hier besonders relevanter Verlauf der Etablierung unbekannter Künstler im Kunstbetrieb: In dem Geflecht aus Kunsthandel und Kunstmuseen kommt dem Kunsthandel bei der Etablierung neuer Künstler und Tendenzen eine Anschub gebende Funktion zu, auf die öffentliche Kunstinstitute in ihrer Auswahl auszustellender zeitgenössischer Kunst reagieren. Kunstmuseen sind bei der Auswahl des Ausstellungswerten nicht führend, sondern reagieren auf die Initiationen von Galeristen (und die Kunstkritik, die wiederum bis jetzt nur auf Galerieausstellungen reagieren konnte). Galeristen wiederum erhöhen ihren Einsatz an Informations- und Überzeugungsarbeit, durch den sie Künstler in Ausstellungen von Kunstmuseen zu lancieren versuchen, wenn der Verkauf bei <Sammlern der ersten Stunde> floriert: Von deren Kaufbereitschaft hängt alles Folgende ab, also sind Kritiker und Kuratoren in Prozessen der Etablierung neuer Künstler nachgeordnet.

Zur (Nicht-)Relation Museum - NetArt: Fuller, Matthew: Art meet Net, Net meet Art (2000). In: URL: http://www.tate.org.uk/webart/mat1.htm

Über soziale Funktionen der institutionalisierten Selektionskriterien: Harwood, Graham: Mongrel Tate Collection. In: URL: http://www.tate.org.uk/webart/mongrel/home/default.htm zurück

29 Peter Weibel: "Wenn ich anfange, Netzkunst zu verkaufen, zwinge ich sie auf einen wesensfremden Status zurück." In: Hadler, Simon: Kunst auf den Inseln der Nicht-Lokalität. In: URL: http://www.orf.at/orfon/kultur/990917-2172/2173txt_story.html.

Die Relationen zwischen NetArt und Kunsthandel wurden in folgenden Netzprojekten von Künstler(gruppen) konträr thematisiert:

Lialina, Olia-Art.Teleportacia: first real net art gallery. In: URL: http://art.teleportacia.org/art-ie4-main.html

Blissett, Luther-Art.Teleportaica. In: URL: http://www.0100101110101101.org/Art.Teleportacia/art-ie4-main.html

Über diese Netzprojekte und ihre Relationen zueinander: Castle, Nathan: art.com. Internet Art and Radicalism in the New Digital Economy. In: URL: http://www.internettrash.com/users/silus/essaytotal.htm

Die Website "artcart" präsentiert sich als "net art shop". Sie offeriert NetArt in verschiedenen Formen und weist den MoMA Online Store als "merchant partner" aus: Artcart. In: URL: http://www.artcart.de/index2.html

Über eine Website-Auktion: Baumgärtel, Tilman: Website-Auktion: The Thing unter dem Hammer. In: Telepolis. 12.5.1999. In: URL: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3372/1.html zurück

30 d. A.: Performance Art nach 1945, s. Anm.5, Kap. 5.1-5.3, S.417-438 zurück

31 Kontextreflexivität bezeichnet bei NetArt die Problematisierung des Zusammenhangs zwischen erstens der Situierung eines Netzprojektes in einer Netzumgebung (also der Art, wie sich ein Kommunikationssystem in die Datenflüsse des Internet einbettet), und zweitens den Möglichkeiten, die dieses Projekt für Beobachter- und Beobachtungsoperationen eröffnet. Die Netzumgebung konstituiert den netzinternen Kontext und der Beobachter am Interface den netzexternen Kontext. Der Beobachter lässt sich in Medientheorien als Akteur (mit Gedächtnis) entwerfen, der sich über seine Operationen am Interface in den netzinternen Kontext integriert. Die Ausrichtung von Netzprojekten an der Schaffung von Möglichkeiten für Beobachteroperationen (bzw. am Entwurf interner Beobachter (s. Anm.13)) wiederum lässt sich als netzinterne Rekonstruktion der Aktionsmöglichkeiten in netzexterner Beobachterposition am Interface beschreiben. Die Schnittstelle zwischen netzexterner Beobachterposition und netzintern programmierten Möglichkeiten für Beobachteroperationen ist auch und vor allem eine konzeptuelle Frage, nicht nur eine des Interface-Design, das Eingabe- (Manual) und Clickfunktionen (Maus) am Monitor miteinander korreliert. zurück


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