IASL 2007, 1 + 2



Aufsätze (Band 1)

  • Anke-Marie Lohmeier: Was ist eigentlich modern? Vorschläge zur Revision literaturwissenschaftlicher Modernebegriffe, S. 1-15.


  • Herkömmliche Begriffe literarischer Moderne sind von einem nachhaltigen Konsens mit ihrem Gegenstand, insbesondere mit dessen durchweg starker Reserve gegen den Prozess gesellschaftlicher Modernisierung bestimmt. Solche mangelnde Distanz zum Gegenstand hat den Blick auf das komplexe Verhältnis zwischen ästhetischer und gesellschaftlicher Moderne verengt und den Kontakt der Literaturwissenschaft zu neueren Theoriebildungen der philosophischen, sozial- und geschichtswissenschaftlichen Moderneforschung erschwert, wenn nicht unterbunden. Der Aufsatz skizziert Möglichkeiten einer Reformulierung des literaturwissenschaftlichen Modernebegriffs, die an diese Theoriebildungen anknüpft. Sie führt über eine Explikation des Begriffs gesellschaftlicher Moderne, die für einen präzisierenden Zugriff auf Positionen und Konzepte der ästhetischen Moderne operationalisiert werden.

    Traditional concepts of literary modernity are characterised by a lasting consensus with their subject matter, in particular with its strong reservations against the process of social modernisation. This lack of distance to the subject matter has narrowed perspectives on the complex relationship between aesthetic and social modernity, and obstructed if not prevented any contact between literary studies and newer theories arising from philosophical, sociological and historical research on modernity. The essay outlines possibilities for a reformulation of the literary concept of modernity that connects with these theories. This new approach begins with an explication of the concept of social modernity, which is then operationalised for more precise access to the positions and concepts of aesthetic modernity.

  • Annina Klappert: Hypertext als Paradigma kultureller Selbstbeschreibung, S. 16-65.


  • Im Hypertext-Diskurs fungiert das neue Medium Hypertext nicht nur als mediale Kategorie, sondern auch als neues soziales Paradigma. Es wird daher zum einen gezeigt, wie diese doppelte Kodierung in der Medienbeschreibung funktioniert, und zum anderen, wie der Hypertext-Diskurs selbst von sozialen Formen geprägt ist, wenn die Position des neuen Mediums in der >Gesellschaft< der Medien konkurrierend oder koexisierend bestimmt wird.

    In the discourse on hypertext, the new medium of the hypertext functions not only as a media category, but also as a new social paradigm. The paper shows how, first, this double coding functions in descriptions of the medium and, second, the hypertext discourse itself is shaped by social structures, in particular where the new medium is considered to compete or coexist within a >society< of media.

  • Rüdiger Schnell: Handschrift und Druck. Zur funktionalen Differenzierung im 15. und 16. Jahrhundert, S. 66-111.


  • Dieser Beitrag versucht anhand ausgewählter Textbeispiele zu belegen, daß sich wesentliche Funktionen des Drucks (literarischer Werke von noch lebenden Autoren) dem Mit- und Gegeneinander der beiden Medien (Handschrift und Druck) im 15./16. Jahrhundert verdanken. Während der Status literarischer Texte in der Handschriftenkultur oft diffus anmutet, bildet sich nun eine (auch reflektierte) funktionale Differenzierung aus: Öffentlichkeit vs. Privatheit; Anspruch auf literarische Perfektion vs. Sich-Bescheiden mit Unfertigem; Vollständigkeit vs. Vorläufigkeit.

    Based on selected text excerpts, this paper aims to prove that significant functions of printing (the literary works of living authors) can be attributed to competition and interaction between the two media (manuscripts and printing) during the 15th and 16th centuries. While the status of literary texts within the culture of manuscripts often appears diffuse, this period saw the development of a (consciously reflected) functional differentiation between, for example, the public vs. the private, standards of literary perfection vs. acceptance of incompletion, and completeness vs. temporariness.

  • Klaus Deinet: Heine und Frankreich - eine Neueinordnung, S. 112-152.


  • Heines Verhältnis zu Frankreich wird bis zu seinem Eintreffen in Paris im Frühjahr 1831 durch die Französische Revolution und die Herrschaft Napoleons in starkem Maße vorbestimmt, doch verändert sich sein Blick auf diese beiden Scharnierperioden des frühen 19. Jahrhunderts. Er verurteilt die die revolutionären Ereignisse begleitende Gewalt, verteidigt die Revolution aber als Tat des Widerstands gegen das Ancien régime. Faszination und Ambivalenz kennzeichnen auch sein frühes Napoleonbild: er berauscht sich an seinen Taten, wirft ihm aber Frevel an der Freiheit vor. Durch die Erfahrung des blutigen Juni-Aufstandes von 1832 erfährt Heines Hoffnung auf eine friedliche "Universalrevoluzion" einen Rückschlag: Er distanziert sich von den jugendlichen Amis du peuple wie von der Napoleon-Nostalgie der Massen.

    Until his arrival in Paris in the spring of 1831, Heine's relationship to France was strongly shaped by the French Revolution and Napoleon's reign. However, his perspective on these two key periods of the early 19th century was to evolve. While defending the revolution as an act of resistance against the "ancien régime", he went on to condemn the violence that accompanied the revolutionary movement. His early view of Napoleon was also characterised by fascination and ambivalence: Although he revelled in the leader's deeds, he accused him of immorally restricting freedom. The experience of the bloody June uprising of 1832 ultimately thwarted Heine's hopes for a peaceful "universal revolution", and he soon distanced himself from both the young amis du peuple and the Napoleon nostalgia of the masses.

  • Gesine Lenore Schiewer: Über Gewalt sprechen. Darstellungsperspektiven sexuellen Missbrauchs in Literatur und Justiz, S. 153-168.


  • Literarische Darstellungen teilen mit realen Berichten sexueller Gewalthandlungen das Medium der Sprache, denn letztere werden erst durch die Erzählung des persönlichen Erlebens und den Bericht des Tatgeschehens justiziabel. Sowohl in der Realität als auch in literarischen Texten wird meist jedoch ausgewichen, vage angedeutet oder ganz geschwiegen. Besondere Aufmerksamkeit verdient aus diesem Grund eine Studie von Arno Holz und Johannes Schlaf, in der verschiedene Erlebens- und Darstellungsperspektiven einer Vergewaltigung mit erzähltechnischen Mitteln präzise herausgearbeitet werden. In der Analyse der Erzählung Die kleine Emmi werden der Kontext gesellschaftlicher und juristischer Bedingungen des 19. Jahrhunderts berücksichtigt sowie die sprachlichen Gegebenheiten der Schilderung des Erlebens von Gewalt ausgelotet.

    Literary depictions of sexual violence and real accounts share the medium of language, as real violence can only be dealt with legally once personal accounts and crime reports have been documented. At the same time, a common characteristic of both literary treatments and real reports is that details are often circumscribed, vaguely alluded to or left out altogether. In light of this observation, special attention should be afforded a study by Arno Holz and Johannes Schlaf which uses narrative analytical methods to examine accounts and depictions of rape. In an analysis of the story Die kleine Emmi the language used to relate the experience of violence is explored within the context of the social and legal conditions of the 19th century.

  • Romana Weiershausen: Literaturgeschichte als Wissenschaftsgeschichte. Wissenschaftlicher Wandel und Literatur in der frühen Moderne: das Beispiel der Frauen, S. 169-191.


  • Am Beispiel literarischer Texte von Pionierinnen des Frauenstudiums im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wird untersucht, was die Literaturgeschichte zu einer allgemeinen Wissenschaftsgeschichte beitragen kann. Literatur erweist sich dabei auf drei verschiedenen Ebenen als relevant: als alternative Form akademischer Alltagsgeschichte, als Wissenschaftskritik und als Ergänzung der institutionalisierten Wissenschaft. Im Rahmen dieser Fallstudie wird Literatur als Möglichkeitsraum für studierende Frauen sichtbar gemacht, die um 1900 in eine männlich dominierte Sphäre eintreten. Zu konstatieren ist eine den zeitgenössischen Geschlechterdiskurs neu akzentuierende Positionsnahme von Frauen, die auf den wechselseitigen Bezügen zwischen Wissenschaft und Literatur in der Jahrhundertwende aufbaut.

    Based on literary texts written by pioneer women scholars in the late 19th and early 20th centuries, the essay explores how a history of literary studies can contribute to a general history of scholarship. Literary studies hereby prove relevant on three levels: as an alternative form of academic daily life, as a form of academic criticism and as an extension of institutionalised scholarship. Within the scope of this study, literature is also revealed as an avenue of opportunity for women students entering a male-dominated domain around 1900. We observe women taking on a new, accentuating position within the contemporary gender discourse - one that is built on reciprocal references between scholarship and literature at the turn of the century.

  • Dietz Bering: "Intellektueller" bei der frühen Gruppe 47. Sprachgeschichtliche Spurensuche, S. 192-226.


  • Von den Nazionalsozialisten als Schimpfwort verwendet, musste der Begriff "Intellektueller" nach 1945 mühsam rehabilitiert und gegen rechte und linke Attacken verteidigt werden. Dies wird am Beispiel von Beiträgen in der Zeitschrift Der Ruf und der frühen Gruppe 47 vorgeführt, die den Begriff des wehrhaften Intellektuellen modellierte und einflussreiche Intellektuelle wie Grass, Böll und Walser hervorbrachte.

    Used as a swearword by National Socialists, the term "intellectual" had to be painstakingly rehabilitated after 1945 and defended against attacks from both the political left and right. This process can be observed in articles appearing in the magazine Der Ruf and in early contributions by the Gruppe 47, which shaped the concept of the stalwart intellectual and brought forth influential intellectuals like Grass, Böll and Walser.






Aufsätze (Band 2)

  • Marcus Twellmann: Glauben an das Gesetz? Mendelssohn, Hamann und die Politische Ideologie, S. 1- 29.


  • Die zwischen Moses Mendelssohn und Johann Georg Hamann ausgetragene Kontroverse über das Verhältnis von Religion und Politik wird bei Carl Schmitt auf die von Thomas Hobbes getroffene Unterscheidung zwischen Gesinnungen und Handlungen hin perspektiviert. Die Vorstellung, Innen und Außen seien durch das Institut des Eids zu verklammern, wird von einem Misstrauen gegenüber Juden begleitet, denen seit alters her Eidunfähigkeit unterstellt wird. Obwohl er im Gegensatz zu Schmitt das Schwören verwirft, variiert auch Hamann dieses judäophobe Motiv.

    Carl Schmitt uses Thomas Hobbes's distinction between ethos and actions to put into perspective the dispute over the relationship between religion and politics carried out between Moses Mendelssohn and Johann Georg Hamann. The idea that the 'inner' and the 'outer' are interlocked in the institution of the oath is accompanied by a mistrust of Jews, who for centuries have been accused of incapacity to uphold oaths. Although, in contrast to Schmitt, Hamann dismisses oath-taking completely, he nevertheless represents a variation of this Judaeophobic motif.

  • Kurt F. Strasser: Uiber den Muth. Bernard Bolzanos aufgeklärte Reden in einem reaktionär geführten Staat, S. 30-54.


  • In einer Rede vor den Studenten der Prager Universität definiert Bernard Bolzano, der Professor für Religionswissenschaften, den Betriff "Mut", und zwar so, daß er auch den Widerstand gegen staatliche und geistliche Behören nicht ausschließt. Daß dies nicht ohne Folgen bleiben würde, machte er deutlich und erfuhr es später auch in eigener Person.

    In a speech given to the students of Prague University, Bernard Bolzano, the university's professor of the study of religions, defined the term "courage" in such a way that it did not exclude resistance against state and religious authority. He made it clear that this view would not be without consequences - ones he would later personally experience.

  • Klaus Deinet: Heine und die Julimonarchie, S. 55-92.


  • Die Julimonarchie bildete das politische Gegenüber, an dem Heine seine Beziehung zu Frankreich definierte. Trotz seiner oft bissigen Bemerkungen über Louis Philippe wird häufig übersehen, dass Heine das Julikönigtum keineswegs so negativ beurteilt hat, wie es die Geschichtsschreibung lange Zeit getan hat. Drei Phasen lassen sich unterscheiden: dem Beginn, in dem Heine in den Spott diverser Kritiker einstimmte und sich nur bedingt zu einem Ja, zum juste milieu aufraffen konnte, folgt um 1840 eine Phase, in der sich das Blatt seiner Einschätzung nach zugunsten Louis Philippes gewendet hat, weil es diesem gelungen war, Frankreich aus der Orientkrise herauszuhalten und einen Europäischen Krieg zu vermeiden; der späte Heine hat - ernüchtert durch die Erfahrungen des Juniaufstands von 1848 und die Rolle republikanischer Politiker nach der Februarrevolution - Louis Philippe ein positives Andenken bewahrt.

    The July Monarchy served as the political counterpart to Heine's definition of his own relationship to France. Despite Heine's often biting remarks about Louis Philippe, it is frequently overlooked that Heine in no way appraised the July kingdom as negatively as history would do for quite some time. One can discern three phases in Heine's views on this political phenomenon: the first, during which Heine joined in the derision of various critics, only partially able to muster a 'yes' in support of the juste milieu; followed by a phase around 1840 during which his estimation turned in Louis Philippe's favour because the king had been able to keep France out of the Orient crisis and avoid a European war; and finally, Heine's later works in which, sobered by the experience of the June uprising of 1848 and the role of republican politicians after the February Revolution, he held Louis Philippe in positive remembrance.

  • Ingo Stöckmann: Ästhetischer Pantheismus, Wille zur Kunst, schwebende Gestalt. Georg Simmels Naturalismus-Rezeption zwischen Kultursoziologie und Lebensphilosophie, S. 93-115.


  • Der Beitrag rekonstruiert erstmals Georg Simmels lebenslange Rezeption des Naturalismus zwischen früher Kultursoziologie und später Lebensphilosophie, wobei besonderes Gewicht auf den Nachlasstexten der Jahre 1913/14 liegt. Inhaltlich besteht die Signifikanz von Simmels Naturalismus-Beschäftigung darin, dass er - anders als die bereits früh einsetzenden Tendenzen zu seiner ‚Überwindung' (Hermann Bahr, Samuel Lublinski) - Naturalismus und ästhetische Moderne durchgängig auf ihre komplementären Momente hin deutet. Diese Deutung weist in zwei Richtungen: zum einen in eine kultursoziologische Analyse der modernen Wahrnehmung, zum anderen in die Formreflexionen der fortgeschrittenen ästhetischen Moderne nach 1900.

    The essay offers a first reconstruction of Georg Simmel's lifelong reception of Naturalism from his early cultural sociology to his later life philosophy, placing special emphasis on the literary estate texts from the years 1913 and 1914. With regard to content, Simmel's views on Naturalism are significant because - contrary to relatively early efforts to 'overcome' Naturalism (Hermann Bahr, Samuel Lublinski) - he continually points toward complementary moments between Naturalism and aesthetic Modernism. This interpretation leads in two directions: first, to a cultural-sociological analysis of modern perception, and second, to the reflections on form of advanced aesthetic Modernism after 1900.

  • Susanne Marten-Finnis / Markus Bauer: Jüdische Konfliktkultur und urbane Öffentlichkeit in Czernowitz, 1908-1922, S. 116-142.


  • Czernowitz, die multiethnische Hauptstadt der Provinz Bukowina in der Habsburger-Monarchie (heute Teil der Ukraine), spielt eine wichtige Rolle in vielen persönlichen und literarischen Erinnerungen. Sehr wenig ist aber über die intensiven Diskussionen bekannt, die für die bemerkenswerte Dynamik des öffentlichen Leben in der Stadt verantwortlich waren. In dieser Untersuchung wird diese Lücke geschlossen, indem die heftigen ideologischen Auseinandersetzungen in der jüdischen Gemeinde in den Kontext der Bürokratie der Monarchie, persönlicher Rivalitäten und externer Faktoren gestellt werden. Es wird gezeigt, dass die jüdische Gemeinde nicht wie in dem vorherrschenden, etwas idealisierten Bild harmonisch zusammenlebte, sondern Konflikte über die sprachliche und nationale Identität austrug.

    Czernovitz, the multiethnic capital of the Hapsburg province of Bukovina (now in Ukraine) is often featured in personal and literary reminiscences. Extraordinary little, however, is known about the culture of intense debate that contributed in no small measure to the city's public life and its remarkable cultural dynamism. In the present study we have undertaken to close this gap. We scrutinise the fiercest ideological battles that divided the Czernovitz Jewish community, examining them within the wider context of Hapsburg bureaucracy, personal rivalry, and external factors, and we demonstrate that, far from the prevailing and somewhat idealised picture of harmonious co-existence, the Jewish community was in fact divided over issues such as linguistic and national identity.

  • Desiree Hebenstreit: Der Volksbegriff und seine Bedeutung für die kommunistische Arbeiterliteratur der Weimarer Republik. Eine Unteruichung anhand der Romanreihe Der Rote Eine-Mark-Roman, S. 143-160.


  • Der Beitrag widmet sich der Bedeutung des Volksbegriffs für die zehnbändige Reihe Der Rote Eine-Mark-Roman. Aufbauend auf Vorstellungen von politischer Machtergreifung und Machtausübung war im Laufe des 20. Jahrhunderts das politische Subjekt des Volkes konstruiert worden, das im Rahmen der nationalsozialistischen Ideologie als 'Rasse' und in der kommunistischen Ideologie als ‚Klasse' bzw. ‚Masse' verstanden wurde. Als zentrale Kategorie politischen Diskurses wurde der Volksbegriff mit agitatorischen Texten in den literarischen Diskurs übertragen, wo er sowohl für die erzählerische Ebene des Textes als auch für seine Wirkungsgeschichte eine wesentliche Rolle spielt.

    The essay focuses on the significance of the concept of 'the people' in the ten-volume series Der Rote Eine-Mark-Roman. Founded on conceptions of political seizure and exercise of power, a notion of the political subject of the people was constructed in the course of the 20th century, which was understood as 'race' within the context of National Socialist ideology and 'class' or 'mass' in Communist ideology. As a central category of political discourse, this concept of the people was transferred to literary discourse in fomenting works, where it played a significant role both on the narrative level of the text and in the history of the text's influence and effects.

  • Remigius Bunia: Fingierte Kunst. Der Fall Esra und die Schranken der Kunstfreiheit, S. 161-182.


  • Die bisherigen Entscheidungen der Gerichte zum >Verbot< des Romans Esra gehen von einer Erkennbarkeit realer Personen im fiktionalen Roman aus. Oft wird bestritten, dass in Romanfiguren reale Menschen wiedererkannt werden können. Der vorliegende Beitrag zeigt jedoch, dass aus fiktionstheoretischer Perspektive eine solche Erkennbarkeit möglich ist. Fiktionale Texte können sogar akkurate Beschreibungen der realen Welt bilden. Daher sind mit Blick auf die Wirkungsweise von Fiktion die gerichtlichen Verbotsverfügungen richtig. - Eine genauere Bestimmung dessen, was Kunst ist, schließt sich dieser fiktionstheoretischen Beschreibung an und kommt zu dem Schluss, dass Esra zwar ein Kunstwerk, aber wegen der Erkennbarkeit realer Menschen in ihren intimsten Situationen kein gelungenes Werk ist.

    Court decisions to 'ban' the novel Esra have been based on the assumption that real persons can be recognised in a fictional novel. It is often argued that real people can be discerned in a novel's characters. The present essay shows that such recognisability is possible from a fiction-theoretical perspective, and that fictional texts can even provide accurate descriptions of the real world. Thus, taking into consideration the effectiveness of fiction, the court rulings to ban the novel have been well-founded. - A more exact determination of the nature of art follows this fiction-theoretical description and arrives at the conclusion that Esra is indeed a work of art, but, because of the recognisability of real people in their most intimate situations, not a successful one.

  • Christian Eichner / York-Gothart Mix: Ein Fehlurteil als Maßstab? Zu Maxim Billers Esra, Klaus Manns Mephisto und dem Problem der Kunstfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland, S. 183-227.


  • Biographisch inspirierte Texte werfen immer wieder die Frage nach dem Verhältnis von sozialer Wirklichkeit und Fiktion auf. Am Beispiel von Maxim Billers Esra und Klaus Manns Mephisto wird die Praxis und Plausibilität problematisiert, das literarische Kunstwerk zum Gegenstand juristischer Debatten und Urteile zu machen und in letzter Konsequenz Literaturverbote auszusprechen. Dabei wird die potentielle Konkurrenz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Kunstfreiheitspostulat im Kontext des Zensurverbots und den literaturtheoretischen Konzepten der Literarizität und Fiktionalität analysiert, um nicht allein dem Persönlichkeitsschutz, sondern auch dem ontologischen Status von Kunst gerecht zu werden.

    Biographically inspired texts always raise the question of the relationship between social reality and fiction. The practice and plausibility of making a literary work of art the subject of juridical debates and verdicts, and in the most extreme cases banning literary works, is discussed by example of Maxim Biller's Esra and Klaus Mann's Mephisto. Here, the potential conflict between general personal rights and the posit of artistic freedom is analysed within the context of censorship and literary-theoretical concepts of literariness and fictionality, in order to take into consideration not only the protection of personal rights, but also the ontological status of art.



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