IASL 2006, 1 + 2



Aufsätze (Band 1)

  • Helmut Peitsch: Englische Reisebeschreibungen in der Neuen Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freyen Künste, S. 1-50.


  • Untersucht wird – gegen das geläufige Urteil sklavischer Abhängigkeit von den britischen Rezensionsorganen Monthly Review und Critical Review – das spezifische Interesse, das die Leipziger Zeitschrift an den zwischen 1765 und 1806 erschienenen englischen Reisebeschreibungen genommen hat. Indem die Auswahl- und Bewertungsweise der Neuen Bibliothek nicht nur mit den britischen Reviews, sondern auch mit anderen deutschen Zeitschriften verglichen wird, läßt sich hinsichtlich der Typen von Reisebeschreibungen ein besonderes Interesse an der >malerischen< Reise nachweisen, das Implikationen für die nationale Verortung in Europa und der Welt hat.

    The essay examines the specific interest that the Neue Bibliothek showed in English travel literature published between 1765 and 1806 – contrary to what is commonly condemned as a slavish dependency on the British Monthly Review and Critical Review. By comparing the selection and evaluation method of the Neue Bibliothek not only with British reviews, but also with other German magazines, we can observe, based on the types of travel descriptions, a particular interest in the >picturesque< journey, which has implications for a national positioning within Europe and the world.

  • Alexander Weber: Der Frühsozialist Thomas Hodgskin und die Anfänge der Germanistik in Großbritannien, S. 51-76.


  • Thomas Hodgskin (1787-1869) wurde bisher nur als radikal-liberaler Nationalökonom rezipiert, er ist jedoch auch ein bedeutender Bildungsreformer und Wegbereiter der Germanistik in Großbritannien. Seine Reiseberichte über Norddeutschland enthalten Beobachtungen zum literarischen Alltagsleben verschiedener Schichten; er erteilte Sprachunterricht und publizierte über deutsche Literatur; in seiner Korrespondenz mit Francis Place, James Mill und Jeremy Bentham lieferte er Vorschläge zu einem modernen Bildungsideal, das die Gründung des University College London mitprägte, aus dem auch der erste germanistische Lehrstuhl in Großbritannien hervorging. Aus der Außenperspektive eines in ökonomischer Theorie und Praxis überlegenen Landes entwickelte Hodgskin Ansätze zu einer sozialgeschichtlichen Analyse der Literatur und Bildung in Deutschland zu einer Zeit als dort die Hochschulgermanistik sich erst zu konstituieren begann.

    Up to now, Thomas Hodgskin (1787-1869) has only been received as a radical-liberal national economist. However, he is also an important education reformer and pioneer of German studies in Great Britain. His travel reports on northern Germany contain observations on the literary daily life of various classes; he gave language instruction and published texts on German literature. In his correspondence with Francis Place, James Mill and Jeremy Bentham, he offered suggestions for a modern education ideal that influenced the founding of the London University College, which established the first German studies professorship in Great Britain. From the outside perspective of a country superior in economic theory and practice, Hodgskin developed approaches for a socio-historical analysis of literature and education in Germany at a time when university German studies were only just taking shape there.


Schwerpunkt: Recht und Literatur um 1800, herausgegeben von Ulrich Kronauer und Ulrike Zeuch

  • Ulrike Zeuch: Einleitung. Recht und Literatur um 1800 im Kontext des law and literature movement, S. 77-84.


  • Andreas Bähr: "Ich habe den Frieden deines Hauses gestört". Werthers tödliche Leiden im Spannungsfeld von Literatur, Recht und Moral, S. 85-100.


  • Der Aufsatz zeigt, dass Goethes Werther seine Selbsttötung aus einer moralischen Selbstverurteilung begründet. Diese Begründung ist paradox, insofern sie Werthers letzten Schritt zugleich als moralisch notwendig und als illegitim beschreibt. Vor diesem Hintergrund ist die Selbsttötung des Protagonisten keine Befreiung aus tradierten Moralvorstellungen, sondern ein Hinweis auf die historisch-kulturellen Grenzen derjenigen Moral, die in Werthers Traditionskritik konzipiert wird.

    The essay shows that Goethe's Werther bases his suicide on moral self-condemnation. This motive constitutes a paradox, insofar as it describes Werther's final step as both morally necessary and illegitimate. Ahead of this background, the protagonist's suicide is not a liberation from traditional moral values, but rather an indication of the historical-cultural boundaries of the morals conceived of in Werther's criticism of tradition.

  • Harald Neumeyer: >Schwarze Seelen<. Rechts-Fall-Geschichten bei Pitaval, Schiller, Niethammer und Feuerbach, S. 101-132.


  • Der Aufsatz möchte in einer Lektüre exemplarischer Rechts-Fall-Geschichten von Pitaval bis Feuerbach und durch die Einbettung dieses zwischen Recht und Literatur oszillierenden Genres in die Transformationsprozesse der Rechtsordnung während der Aufklärung darlegen, daß die Modifikationen im System >Delinquenz< auch Modifikationen der dazugehörigen Narrationsordnungen zeitigen, was deren Themen und Fragestellungen, Argumentationsfiguren und Darstellungsstrukturen sowie Programmatik betrifft. Dies soll vor allem am narrativen Aufbau, der den Leser in wechselnde Positionen setzt (vom zu unterrichtenden und abzuschreckenden Objekt zum auswertenden Subjekt), an der Metapher der >schwarzen Seele<, die immer stärker als ein Bereich des Nicht-Bewußten akzentuiert wird, und an der Figur des kriminellen Monsters, die eine radikale Verinnerlichung erfährt, vorgeführt werden.

    By performing a reading of exemplary legal case stories, ranging from Pitaval to Feuerbach, and by situating this genre (which oscillates between law and literature) within the transformation processes of the legal system during the Enlightenment, the essay aims to show that modifications in the >delinquency< system also yield modifications in the respective narrative categories – with respect to topics and questions, structures of argumentation and representation, and programmatics. This is demonstrated in the narrative composition, which places the reader in shifting positions (from the object to be instructed and discouraged to the evaluating subject), in the metaphor of the >black soul<, which is increasingly accentuated as a field of the non-conscious, and in the figure of the criminal monster who undergoes a radical internalisation.

  • Michael Niehaus: Schicksal sein. Giftmischerinnen in Falldarstellungen vom Pitaval bis zum Neuen Pitaval, S. 133-149.


  • Um 1800 wird die Giftmischerin zum Ernstfall kriminalpsychologisch motivierter Falldarstellung: Herzuleiten und nachvollziehbar zu machen ist für Feuerbach und andere der Weg, der ein nicht monströses Subjekt zu monströsen Taten führt. In ihren unsichtbar bleibenden Taten nimmt die bürgerliche Giftmischerin – als deren Paradigma die Gesche Gottfried gelten kann – die unmögliche Subjektposition des Schicksals ein.

    Around 1800 the female poisoner became significant in criminal-psychological case representation. Feuerbach and others intended to trace and make comprehensible the path that leads a non-monstrous subject to monstrous deeds. In her invisible deeds, the middle class female poisoner, for whom Gesche Gottfried can serve as the paradigm, assumes the impossible subject position of fate.

  • Jörn Garber: Fiktion - Geschichte - Recht. Die Historiographie der deutschen Spätaufklärung zwischen Poetik, Recht und allgemeiner Kulturgeschichte, S. 150-176.


  • Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts treffen zwei Formen des modernen Liberalismus aufeinander: der Verfassungsliberalismus (Konstitutionalismus) und der Zivilisationsliberalismus. Der Roman der Spätaufklärung relativiert die Erzählformen der modernen Geschichtsschreibung in gleicher Weise wie den Geltungsstatus von Vernunftrecht und Konstitutionalismus. Der vorliegende Aufsatz rekonstruiert das Spannungsfeld von >Historie< und >Recht< im Spiegel einer kritisch reflektierenden >Poetik des Wissens<.

    The final third of the 18th century saw a confrontation between two forms of modern liberalism: constitutional liberalism (constitutionalism) and civilisation liberalism. The novel of the late Enlightenment qualifies the narrative forms of modern history, just as it does the prestige of rational law and constitutionalism. The present essay reconstructs the field of conflict between >history< and >law< in the mirror of a critically reflective >poeticism of knowledge<.

  • Klaus Lüderssen: Schiller und die Jurisprudenz, S. 177-200.


  • Schillers Dramen sind das Ergebnis einer Dialektik zwischen Idealismus und Realismus. Man kann in Schillers Dramen deshalb auch über das Medium der narrativen Argumentation das Klima für einen Rechtsbegriff diagnostizieren, der soziologisch-positiv, komplex, abgestuft, individualisierend, nicht immunisierend und ohne Phobien gegen Paradoxes ist. Über die – durch (der Literatur und dem Recht gemeinsame) Narrativität und Rhetorik bestimmte – juristische Topik wird der Weg zur juristischen Denkform der Natur der Sache geebnet. Diese ist offen für – Sachverhalt und Wertung dialektisch verknüpfende – Erfahrungen, die demokratischen Regeln genügende Anerkennung verschaffen und damit rechtliche Verbindlichkeit erlangen können. Diese Position hat in der Rechtstheorie immer noch keinen rechten Platz und könnte deshalb durch die Literatur, nun eben Schiller, deutlicher werden.

    Schiller's dramas are the result of dialectics between Idealism and Realism. One can therefore also diagnose the climate for a concept of law through the medium of the narrative argumentation in Schiller's dramas – a concept of law that is sociologically positive, complex, graded, individualising, non-immunising and without fear of paradox. The juridical >Topik<, determined through narrativity and rhetoric common to both literature and law, paves the way for the juridical thought form of the nature of the thing. This is open to experiences that dialectically link content and valuation, which can achieve a recognition that corresponds to democratic rules and thereby also achieve legal bindingness. This position still has no proper place in the theory of law and could therefore be made clearer through literature, e.g. through Schiller.

  • Daniel Müller-Nielaba: Satz und Satzung. Rhetorik, Recht und Literatur um 1800. Einige Grundsatzüberlegungen, S. 201-211.


  • In Relation zur kantischen Setzung, wonach Wissen nur als Apodiktum möglich und verfügbar sei, wird der Rechtsdiskurs in der Literatur um 1800 zu einem spezifischen Problem: Indem sich der literarische Text seiner Tendenz nach zunehmend mit den Problemen seiner eigenen Referenzialisierbarkeit beschäftigt, stellt er sich (auch) die Frage nach einem ihm allenfalls vorgängigen >Sinn<, nach seiner eigenen Apodiktik also. Und insofern, als diese problematisch wird, und insofern sie dieses Problematischwerden zur Darstellung bringt, formuliert Literatur um 1800 Vorschläge zu einer Poetologie des >Gesetzes<, auch und gerade dort, wo sie vermeintlich nur von sich selber spricht.

    In relation to Kant's thesis, whereby knowledge is only possible and available as an apodictum, juridical discourse becomes a specific problem in literature around 1800. By dealing more and more with the problems of its own referentiability, the literary text must also confront the question of a pre-existent >meaning< – the question of its own apodictics. To the extent that this becomes problematic and the degree to which it reflects the process of becoming problematic, literature around 1800 formulates proposals for a poetology of the >law<, especially where it appears to only be referring to itself.

  • Susanne Kaul: Radikale Rechtskritik bei Kleist, S. 212-222.


  • In Kleists Erzählungen und Dramen werden nicht nur bestimmte Aspekte des Rechts kritisiert, etwa durch Oppositionen wie Recht versus Moral oder Rechtsidee versus Rechtspraxis. Die Radikalität, mit der Kleist die Einrichtung des Rechts prinzipiell in Zweifel zieht, wird in derartigen Perspektiven der Forschungsliteratur leicht übersehen. In diesem Beitrag wird die radikale Rechtskritik Kleists anhand von zwei Dramen und zwei Erzählungen (aus dem Zeitraum zwischen 1802 und 1811) exemplarisch aufgewiesen.

    Kleist's stories and dramas do not only criticise certain aspects of the law, for example in oppositions such as law versus morals or the concept of law versus legal practice. The radicality with which Kleist sows fundamental doubt in the institution of law, can be easily overlooked in such research approaches. In this paper, Kleist's radical criticism of the law is examined in two dramas and two stories (from the period between 1802 and 1811).

  • Jutta Nowosadtko: "Und nun alter, ehrlicher Franz". Die Transformation des Scharfrichtermotivs am Beispiel einer Nürnberger Malefizchronik, S. 223-245.


  • Das sogenannte Tagebuch des Nürnberger Scharfrichters Franz Schmidt, der zwischen 1578 und 1617 amtierte, gehört zu den bekanntesten Selbstzeugnissen dieses Berufsstandes. An der Rezeption dieser Quelle lässt sich exemplarisch der Übergang zwischen Aufklärung und Romantik darstellen. Zum Zeitpunkt ihrer Aufzeichnung dokumentierte die Malefizchronik noch die geordnete Einrichtung der Nürnberger Kriminaljustiz. Ende des 18. Jahrhunderts konnte sie nur noch als Beleg für die generelle Reformbedürftigkeit des gesamten Strafvollzugs herangezogen werden. In der Romantik diente das Tagebuch zur Imagination einer dunklen, faszinierenden Vergangenheit.

    The so-called diary of the Nürnberg executioner Franz Schmidt, who held office between 1578 and 1617, is one of the most well-known self-documentations of this profession. The reception of this source can be used to show the transition between the Enlightenment and Romanticism. At the time it was written, this >Malefizchronik< (crime chronicles) documented the still ordered institution of Nürnberg's criminal justice system. By the end of the 18th century it could only be used as proof of the need for a sweeping reform of the entire penal system. During the Romantic period, the diary served as a means of imagining a dark and fascinating past.





Aufsätze (Band 2)

  • Wolf Gerhard Schmidt: Kritische Objektivität, Defätismus und performative Kontrolle. Zur Subversivlogik von Erwin Piscators "Bekenntnistheater", S. 1-25.


  • Erwin Piscator gilt in der Forschung als einer der wichtigsten Exponenten politisch ausgerichteter Regiekonzepte. Tatsächlich entzieht sich seine Ästhetik jedoch – vor allem während der fünfziger Jahre – eindeutiger Klassifikation. Das geforderte "Bekenntnistheater" aktualisiert nicht nur die Terminologie der frühen Nachkriegszeit, sondern weist zudem Übereinstimmungen auf mit >Integralmodell< (Schuh, Sellner) und >ortloser Dramaturgie< (Weisenborn). Dadurch entsteht eine Subversivlogik, die noch im Versuch, semantische Polyvalenz zu verabschieden, die neue >Relativität< der Sinnstiftung (Beckett) anerkennt.

    In the research Erwin Piscator is considered one of the foremost exponents of politically orientated theatre direction. Yet in fact his aesthetics defy clear classification – especially during the period of the 1950s. The stipulated "Bekenntnistheater" not only updates the terminology of the early post-war period, but also bears similarities to the "integral model" (Schuh, Sellner) and the concept of "placeless dramaturgy" (Weisenborn). The result is a subversive logic that, even while attempting to dismiss semantic polyvalence, acknowledges the new "relativity" of the construction of meaning (Beckett).

  • Gustav Frank: Textparadigma kontra visueller Imperativ. 20 Jahre Visual Culture Studies als Herausforderung der Literaturwissenschaft. Ein Forschungsbericht, S. 26-89.


  • Gemeinsam sind den anglo-amerikanischen Projekten der Visual Culture Studies und den kontinentaleuropäischen einer Bildwissenschaft oder Mediologie tiefe Vorbehalte gegen alle auf dem Text-Lektüre-Paradigma basierenden Ansätze zur Erforschung der Kultur und ihrer Medien. Der Forschungsbericht rekonstruiert das Entstehen und den institutionellen Ort dieser Vorbehalte. Weil sich literarische wie theoretisierende Rede als konstitutiv für Entstehen und Entwicklung einer visuellen Kultur erweisen, eröffnet gerade das Konzept der Visuellen Kultur aber auch Raum für einen notwendigen, genuin text- und literaturwissenschaftlichen Part an der Forschungsarbeit. Umgekehrt profitiert die Literaturanalyse davon, wenn sie Literatur eingelassen in eine Mediensozialgeschichte der visuellen Kultur beobachtet.

    Both the Anglo-American project of visual culture studies and the continental European project of image studies or mediology share deep reservations about using a text reading paradigm based approach in researching culture and its media. This report reconstructs the origins and institutional situation of these misgivings. Because literary and theoretical speech has proved constitutive for the origination and development of a visual culture, the concept of visual culture opens the way for a necessary, genuinely text and literature studies based scholarly contribution to the research. On the other hand, literary analysis can profit from embedding and observing literature within a media-sociological history of visual culture.

  • Ulrich Kronauer: Das Naive der Überraschung oder Die Sorgen der Metzgersfrau, S. 90-99.


  • Der Aufsatz zeichnet die Wirkungsgeschichte des im 18. Jahrhundert maßgebenden Beispiels für ein sprachliches Verhalten nach, das Schiller als "Naives der Überraschung" gekennzeichnet hat. Der rechtsgeschichtliche Hintergrund des von Charles Batteux stammenden Beispiels – es geht um das Problem der Witwenversorgung bei Handwerkern – ist bis auf den heutigen Tag weitgehend im Dunkeln geblieben.

    The essay traces the influence of a standard 18th century example of a type of linguistic behaviour that Schiller termed "the naïve of surprise". The legal historical background of this example concerning the problem of craftsmen's widows' provision, which originates from Charles Batteux, has remained largely unexamined until now.

  • John A. McCarthy: Abermals "Sektionsberichte des Lasters". Bilaterale Reformvorstellungen in Literatur und Recht um 1800, S. 100-130.


  • Die Interaktion zwischen Rechtsnorm bzw. -verfahren und Wertvorstellungen aus dem Bereich der juristischen Publizistik und der literarischen Erzählliteratur in der Umbruchszeit um 1800 erfordern einen neuen Stil und eine bestimmte Präsentation, wie die Untersuchung repräsentativer Texte von zeitgenössischen Juristen und Schriftstellern zeigt. Man verlangt eine synthetisierende Neuordnung von Kultur und Rohheit, von Sittlichkeit und Wildheit. Es entsteht eine neue ästhetische Reformliteratur der stilistischen Mittellage, die den Kontrast zwischen Tatschuld und Charakterschuld beleuchtet. Das sinnliche Moment, das Erzählliteratur und Fama des Justizvollzugs gemeinsam ist, wird zum Erziehungsmittel.

    The interplay between juridical norms and practices on the one hand and moral discourses in law journals and narrative literature during the transformative period around 1800 on the other is marked by a new tone and style presentation as seen in the examination of representative texts by contemporary lawyers and belletristic writers. A new configuration of cultured response and realistic rawness, moralizing and wild eruptions is called for. A new type of aesthetic reform literature emerged that drew upon the rhetorical mid-style and cast light on the contrast between an entrenched character fault (Charakterschuld) and an anomalous misdeed (Tatschuld). In this connection, appeal to the senses and to moral understanding, common to both narrative literature and police reports, becomes an instrument of education.

  • Jürgen Weitzel: August Gottlieb Meißner – der Mann und seine Kriminalgeschichten, S. 131-141.


  • Der Beitrag ordnet die 53 Kriminalgeschichten August Gottlieb Meißners (4. 11. 1753 - 20. 2. 1807) in die thematisch einschlägige Literaturgeschichte ein und spürt den Zielsetzungen ihres Verfassers durch den Versuch thematischer Gruppenbildung nach.

    The paper situates the 53 crime stories written by August Gottlieb Meißner (4 November, 1753 - 20 February, 1807) within a thematically related history of literature and explores the author's aims through an attempt at thematic grouping.

  • Gerhard Sprenger: Johann Peter Hebel: Erziehung zum "Rechten", S. 142-173.


  • Johann Peter Hebel will in seinen Alemannischen Gedichten und Kalendergeschichten seinen Landsleuten den "geraden" Weg zeigen, der zum Guten führt, zum "rechten" Leben. Dabei hält er sie zugleich zum Gehorsam gegenüber dem Recht an, das weitgehend von der Obrigkeit verkörpert wird, lässt aber auch auf eine seiner Leserschaft verständliche Weise die Grenzen dieses Gehorsams aufscheinen.

    In his Alemannic poems and calendar stories, Johann Peter Hebel wants to show his compatriots the "right" path, which leads to goodness and a "righteous" life. In doing so, he urges them to obey the law, largely embodied by authority, while at the same time revealing the limits of such obedience in a way that is understandable to his readers.

  • Claus-Michael Ort: Das Problem der Schuldzurechnung und die Konkurrenz juristischen, medizinischen und moralischen Erzählens. Zur Diskussion über den Fall Schmolling und das Votum von E. T. A. Hoffmann, S. 174-202.


  • Die Publikation der Gutachten von E.T.A. Hoffmann u.a. zum Strafverfahren des Mörders Schmolling (1819) in Hitzigs Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege 1825 stößt eine Kontroverse über die Kriterien strafrechtlicher Unzurechnungsfähigkeit an, in deren Verlauf das Verhältnis konkurrierender juristischer, medizinischer und psychologischer sowie moralischer Erzählstrategien neu verhandelt wird. >Criminalpsychologische< Versuche, die strafrechtliche Schuldzurechnung mit Hilfe einer moralisierenden Interpretation von Täterbiographien als selbst >verschuldeten< Lebensläufen abzusichern, nähern sich allerdings Positionen einer Theodizee, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Zuständigkeit des Strafrechts erst recht einschränken und die Unterscheidung von >zurechnungsfähig und unzurechnungsfähig< anthropologisch unterlaufen.

    The publication of reports by E.T.A. Hoffmann on, among others, the criminal trial of the murderer Schmolling (1819) in Hitzig's 1825 Zeitschrift für die Criminal-Rechts-Pflege (journal for the practice of criminal law) set off a controversial debate over the criteria for criminal insanity, during the course of which the relationship between competing juridical, medical, psychological and even moral narrative strategies was renegotiated. However, >criminal psychological< attempts to justify the legal assignment of guilt by means of a moralising interpretation of perpetrators' biographies as self-inflicted careers approach the positions of a theodicy that ironically did its share to limit the competence of the criminal legal system and anthropologically undermine the differentiation between >sane and insane< in the course of the 19th century.

  • Peter König: Der poetische Charakter des Rechts: Das Majorat von E. T. A. Hoffmann, S. 203-217.


  • Das Recht ist nicht nur ein Gegenstand der Literatur, sondern auch mit ihr verwandt, weil es wie diese in der Lage ist, Dinge zu erschaffen, die ohne es nicht bestehen. In Hoffmanns Erzählung wird diese erstmals von Vico erkannte poetische Qualität des Rechts am Rechtsinstitut des Majorats aufgezeigt und im Hinblick auf sein mystifizierendes Potential ausgeschöpft. Die Erzählung setzt der gestaltenden Lebensmacht des Rechts die der Musik und der Literatur entgegen, denen gelingt, was dem Recht mißlingt: die Verankerung der Person in einem für die Einsicht in die eigene Schuld offenen und zur moralischen Bestimmung fähigen Selbst.

    The law is not only a subject of literature, but also closely related to it, as it is also in a position to create things that could not exist without it. In Hoffmann's story this poetic quality of the law, recognized for the first time by Vico, is revealed in the legal institution of the "Majorat" (right of succession to property based on age) and explored exhaustively with respect to its mysticizing potential. The story contrasts the constitutive life force of the law with that of music and literature – which, unlike the law, are able to anchor a person in a self that is capable of moral determination and open to insight into its own culpability.

  • Mario A. Cattaneo: Juristische Aspekte im Werke Bettine Brentanos, S. 218-227.


  • Mit ihren Beiträgen zu strafrechtlichen Problemen, vor allem in der Schrift Dies Buch gehört dem König (1843), plädiert Bettine von Arnim für eine Humanisierung des Strafrechts, dessen Grausamkeit bereits von prominenten Vertretern der Aufklärung, so von Beccaria und Voltaire, scharf kritisiert worden war. Bettine verweist auf Armut und Unwissenheit als Quelle vieler Verbrechen und betont die Verantwortung des Staates bei der Entstehung der Kriminalität. Bettines Argumentation ist bestimmt von Mitleid und christlicher Liebe, aber auch von einem elementaren Respekt vor dem Menschen als Zweck an sich.

    In her essays on criminal law, above all in her work Dies Buch gehört dem König (1843) (This book belongs to the king), Bettine von Arnim pleads for a humanization of the criminal law system, whose cruelty had already been sharply criticized by prominent representatives of the Enlightenment such as Beccaria and Voltaire. Bettine suggests that poverty and ignorance are the source of many a crime and emphasizes the responsibility of the state in the origins of delinquency. Bettine's argumentation is not only based on pity and Christian love, but also on an elementary respect for humanity as an end in itself.

  • Wilhelm Kühlmann: Schiffbruch, Notstand und >rechtsfreier Raum<. Zum epochalen und diskursiven Gehalt der Ballade Die Vergeltung von A. v. Droste-Hülshoff und eines frühen Romans von Willibald Alexis, S. 228-239


  • Der Beitrag legt die Kontinuität und die verschiedenen Interpretationen eines alten Paradoxons (von den Griechen bis zur Erörterung des Naturrechts im 17. Jahrhundert), des sogenannten >Bretts des Karneades<, dar: Zwei Schiffbrüchige kämpfen ums Überleben. Das zentrale Problem des Naturrechts ist Gegenstand bemerkenswerter lyrischer und prosaischer Werke des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Beispiele von Ewald von Kleist, Annette Droste-Hülshoff und Willibald Alexis zeigen in ihren spezifischen literarischen Kontexten und im kontrastiven Vergleich ihre tiefere Bedeutungsdimension im Zeitalter des beginnenden Liberalismus.

    The paper explores the continuity and varying interpretations of an old paradox known as the >Plank of Carneades< (a thought experiment in which two shipwrecked sailors fight for survival) from the Greeks to the debate on natural law in the 17th century. In the 18th and 19th centuries the fundamental problem of natural law became the subject of remarkable lyrical and prosaic works. A contrastive comparison of the works of Ewald von Kleist, Annette Droste-Hülshoff and Willibald Alexis, as well as a look at their specific literary contexts, reveals their deeper dimension of meaning in the age of burgeoning Liberalism.



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