Die Freundschaft
von Schiller & Goethe
als literatursoziologisches Paradigma

Michael Böhler

Die soziokulturelle Basis der deutschen Klassik ist schmal. Unter den mannigfachen Voraussetzungen, die ihr abgehen, ist einer der wichtigsten Faktoren das Fehlen einer einigermaßen stabilen und repräsentativen literarischen Gruppenbildung. Geht man davon aus, daß es ganz wesentlich zur klassischen Kunst gehört, "ein Werk des gemeinsamen Geistes zu sein. Ein Einzelner ist niemals klassisch",[1] so steht Goethes Schilderung der sozialen Situation des Schriftstellers seiner Tage dazu in markantem Gegensatz:

    Nirgends in Deutschland ist ein Mittelpunkt gesellschaftlicher Lebensbildung, wo sich Schriftsteller zusammenfänden und nach einer Art, in einem Sinne, jeder in seinem Fache sich ausbilden könnten. Zerstreut geboren, höchst verschieden erzogen, meist nur sich selbst und den Eindrücken ganz verschiedener Verhältnisse überlassen; von der Vorliebe für dieses oder jenes Beispiel einheimischer oder fremder Literatur hingerissen; zu allerlei Versuchen, ja Pfuschereien genötigt, um ohne Anleitung seine eigenen Kräfte zu prüfen; erst nach und nach durch Nachdenken von dem überzeugt, was man machen soll; durch Praktik unterrichtet, was man machen kann; immer wieder irre gemacht durch ein großes Publikum ohne Geschmack, das das Schlechte nach dem Guten mit eben demselben Vergnügen verschlingt; dann wieder ermuntert durch Bekanntschaft mit der gebildeten, aber durch alle Teile des großen Reiches zerstreuten Menge; gestärkt durch mitarbeitende, mitstrebende Zeitgenossen - so findet sich der deutsche Schriftsteller endlich in dem männlichen Alter, wo ihn Sorge für seinen Unterhalt, Sorge für eine Familie sich nach außen umzusehen zwingt, und wo er oft mit dem traurigsten Gefühl durch Arbeiten, die er selbst nicht achtet, sich die Mittel verschaffen muß, dasjenige hervorbringen zu dürfen, womit sein ausgebildeter Geist sich allein zu beschäftigen strebt.[2]

Dieses desolate Bild der sozialen Wirklichkeit des Schriftstellerberufs ist zwar dem Anlaß entsprechend - es ist die polemische Antwort auf Daniel Jenischs Klage über den Mangel an klassischen Werken in Prosa in Deutschland - sehr scharf gezeichnet, aber die Beobachtung der beruflichen Isoliertheit, eines eingeschränkten partikularistischen Handlungs- und Wirkungsspielraums, mangelnder Schulungs- und Orientierungsmöglichkeiten an verbindlichen Vorbildern, schwankender Erwartungsnormen der Leserschaft, marktbedingter Interrollenkonflikte zwischen Berufsrolle und Künstlerrolle entspricht doch weitgehend der allgemeinen Situation des Schriftstellers im ausgehenden 18. Jahrhundert. Zu eben jener Zeit jedoch, da Goethe dies schrieb, hatte sich eine engere Beziehung zwischen ihm und Schiller angebahnt. Ihre Freundschaft ist eine der eher seltenen literarischen Zweierbeziehungen in Deutschland, die gelegentlich sogar den Charakter einer künstlerischen Produktionsgemeinschaft annimmt, und auf ihr ruht denn auch im wesentlichen die deutsche Klassik. Es möchte sich daher lohnen, der Frage nach der sozialen Funktion dieser Freundschaft und ihrer inneren Struktur nachzugehen. Ein Versuch zur Klärung solcher Fragen drängt sich um so mehr auf, als die Dichterfreundschaft zwischen Schiller und Goethe sehr bald in den Bestand nationaler Schlüsselsymbole einging und den Bezug zur sozialen Situation des Schriftstellers ausgangs des 18. Jahrhunderts verlor.


1. Freundschaftsmythen zwischen persönlicher Intimität und nationaler Repräsentativität.

    Wie durch ihre unsterblichen Werke haben sie durch ihre Freundschaft, in der sich das geistige Zusammenstreben unlösbar mit den Gesinnungen des Charakters und den Gefühlen des Herzens verwebte, ein bis dahin nie gesehenes Vorbild aufgestellt und auch dadurch den Deutschen Namen verherrlicht. Mehr aber darüber zu sagen, würde theils überflüssig seyn, theils verbietet es eine natürliche und gerechte Scheu. Schiller und Göthe haben sich in ihren Briefen selbst so klar und offen, so innig und großartig über dieses einzige Verhältnis ausgesprochen, daß so Gesagtem noch etwas hinzuzufügen niemand versucht werden kann. [3]

So äußert sich Wilhelm von Humboldt 1829/30 und leitet damit die für das 19. Jahrhundert symptomatische Überhöhung der Dichterfreundschaft ein. Dabei mag bei ihm die pietätvoll schützende Haltung noch verständlich sein, der er selbst in enger persönlicher Beziehung zu Goethe und Schiller gestanden hatte und daher die Sphäre des Privaten um die beiden Freunde gewahrt wissen möchte. Doch wandelt sich diese Haltung persönlicher Diskretion mehr und mehr zu einem tabuisierenden Topos der Unzugänglichkeit, wobei schon Goethe selbst dieser Mythisierungstendenz Vorschub geleistet hatte in seinem Bedürfnis, nach dem Tode Schillers den Freund aller Kritik zu entziehen. So etwa in jener berühmten Antwort auf seiner Schwiegertochter Ottilie Geständnis, Schiller langweile sie oft: "Ihr seid alle viel zu langweilig und irdisch für ihn." "Für den Überlebenden" - so meint Thomas Mann - "verklärt das Verhältnis, einst die Quelle mancher Ungeduld, sich mehr und mehr zu vollkommener Pietät."[4] "Dem Überlebenden wurde der Tote, was er diesem denn doch niemals gewesen war: er wurde ihm heilig."[5]

Immerhin ist es aber, wenn wir die Äußerungen des späten Goethe genau verfolgen, keineswegs das Verhältnis zwischen ihm und Schiller, das mythisch überhöht und verklärt wird, sondern einzig die Gestalt Schillers. Die freundschaftliche Beziehung selbst beurteilt Goethe auch noch in späten Jahren mit einer differenzierten, sachlichen Zurückhaltung. Ansätze zur Verklärung der Freundschaft enthält dagegen Humboldts Darstellung. Zu den "unsterblichen Werken" von Goethe und Schiller gesellt sich die einmalige Vorbildlichkeit ihrer Freundschaft als einer geistigen, charakterlichen und emotionalen Einheit, die in ihrer Außerordentlichkeit den Charakter eines nationalen Monuments erhält. Die Tendenz zur Identitätsbildung eines deutschen nationalen Bewußtseins aus der superlativischen Übersteigerung der Freundschaft der beiden Dichter findet sich in Hermann Hettners Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert schließlich voll ausgebildet: Es ist da von "vollster Wesens- und Strebensverwandtschaft", von "völlig neidloser Seelenhoheit"[6] die Rede. Die Beziehung zwischen Schiller und Goethe sei "[ ... ] die edelste Männerfreundschaft; aufrichtigste gegenseitige Anerkennung und Verehrung, tiefer lebendiger Ideenaustausch, treues Zusammenstehen für die klar erkannten gemeinsamen großen Zwecke"[7] kennzeichneten sie. Hettner versteigt sich noch weiter:

    Keine Nation, keine Periode der Literatur bietet uns einen so schönen, aus ächter und reiner Begeisterung für Wahrheit und Schönheit entsprungenen Verein, ein so inniges neidloses Zusammenstreben nach dem höchsten Ziel; und auch als Muster des deutschen Nationalsinns, der das Große und Wesentliche rein zu ergreifen und sich aller kleinlichen Beziehungen zu entschlagen vermag, kann dieses Verhältnis gelten.[8]

Goethe und Schiller werden hinfort zum "innig verbundenen Dioskurenpaar, das man in Form von Gipsbüsten, umrahmt von dekorativen Makartsträußen, aufs altdeutsche Vertiko stellte".[9]

Nicht minder fragwürdig als die Überhöhung und Verklärung des Verhältnisses von Goethe und Schiller ins National-Monumentale ist der Weg nach innen, ins persönliche Individuelle, die Verklärung der Freundschaft aus dem innern Lebensweg heraus, wie etwa in Wentzlaff-Eggeberts Schillers Weg zu Goethe von 1949, wo der innere Bildungsgang Schillers mit schicksalshafter Notwendigkeit auf das Telos 'Goethe' angelegt ist: "Nur das Walten überirdischer Kräfte konnte jenen Freundschaftsbund so plötzlich und so vollendet entstehen lassen."[10] Hier wird das Verhältnis als ein Amalgamierungsprozeß individueller geistiger Eigenschaften zu einer "vollkommenen Harmonie aller geistigen Kräfte [...] trotz verschiedenartig angelegter Naturen" verstanden, und auch da ist noch von der "beispielhaften Wirkung" die Rede, "die von diesem Freundschaftsbund auf die Nation und die Menschheit ausging".[11]

Wo aber Mythen aufgebaut werden, bleiben die Mythenzertrümmerer nicht aus; jeder Mythos von Klassik findet seine Denunziation in einer "Klassik-Legende". So empfahl Hans Pyritz schon 1950, "Abschied zu nehmen von jenem harmlos-idyllischen Begriff der klassischen Zwillinge, der Dioskuren von Weimar, wie sie das biedermeierliche Bürgertum des 19. Jahrhunderts sich dachte und wie sie Rietschels Doppelstandbild vor dem Weimarer Theater verewigte".[12] Mit der Biedermeier-Idylle wirft er gleich die ganze Freundschaft über Bord:

    Der Bund zwischen Goethe und Schiller ist keine Freundschaft, sondern ein Akt der gegenseitigen Tathilfe, eine Wirkungsgemeinschaft. Ihren Inhalt und auch, wie Goethe sagt, ihr 'Bindungsmittel' bilden die kulturellen Aufgaben und Ziele, denen sich beide verpflichtet fühlen. Weil sich das Bündnis in dieser Funktion erfüllt und nur in ihr, sind die 'Xenien' sein bezeichnendster Ausdruck geworden. Keinerlei Verschmelzung der beiden Lebens- und Schaffenslinien finden hier statt. Vielmehr begründen zwei Herrscher ein Condominium. Sie schließen in einer geschichtlichen Stunde, die ihnen gemeinsames Handeln auferlegt, die Kräfte ihrer getrennten Reiche zu einer strategischen Einheit zusammen.[13]

Kann sich das 19. Jahrhundert nicht genugtun in seiner Glorifizierung der Freundschaft als tiefster seelischer Einheit, so wird die Beziehung hier sozusagen zu einem kultur-imperialistischen Kartell umfunktioniert. Auch für Georg Lukács kann die Freundschaft nicht aus einem persönlich privaten Beziehungsgeflecht erklärt werden, vielmehr ist "die Gemeinsamkeit der grundlegenden ökonomisch-politischen Auffassungen und Ziele [...] der wirkliche Schlüssel zur Freundschaft Goethes und Schillers"[14]. Dementsprechend bezeichnet er sie als eine "politische Freundschaft, die Bildung eines politischen Blocks auf kulturell-ideologischem Gebiet"[14].

Als äußerst komplexes, vielschichtiges Gebilde, das weder auf der persönlichen Seite aus emotionaler Übereinstimmung und Harmonie, noch auf der schriftstellerischen Seite aus völlig identischen Zielsetzungen heraus begriffen werden kann, haben Emil Staigers[15] und Benno von Wieses[16] Untersuchungen das Verhältnis der beiden Dichter gedeutet. Aber was wir hier an Einsicht in die subtilen Bedeutungsnuancierungen und Begriffsverschiebungen des die Freundschaft tragenden Ideenaustausches gewinnen, verlieren wir in bezug auf die Konturierung des sozialen Charakters in der Beziehung der beiden. Ist es bei Staiger gerade die "Vieldeutigkeit der Sprache", die ausnahmsweise nicht Verwirrung anrichtet, sondern "zwei Gestalten höchsten Ranges ihr Werk erleichtert und die Einsamkeit, den Abgrund jedes einzigartigen Menschen, mild verschleiert",[17] so gehört für Benno von Wiese die Tatsache der Freundschaft trotz aller Vorurteile zu den "geheimnisvollen Vorgängen der Geistesgeschichte [...], wo auch unserer Kritik der wechselseitigen Vor-Urteile zwischen Goethe und Schiller eine Grenze vorgezeichnet ist, die zu überschreiten die Ehrfurcht verbietet".[18] Unzugängliche Einsamkeit der Großen und verbietende Ehrfurcht auch hier: Wir sind erneut bei der Tabuisierung und Entrückung der Dichterfreundschaft angelangt, wie sie schon Humboldt vorgenommen hatte, einer Tabuisierung, die Robert Escarpit als typisch für den Umgang mit Literatur bezeichnete,[19] und mit der man offensichtlich vor allem dann zu rechnen hat, wenn ein literarisches Phänomen auch als 'fait social' begriffen werden soll.

Gegen solche Mythenbildung und Mythenzerstörung, gegen Tabuisierung und Demaskierung soll hier das simple Erstaunen des literatursoziologisch Interessierten gehalten werden, der die Verbindung der beiden Dichter in der ganzen Außerordentlichkeit des Phänomens erkennt und sie in ihrer Bedeutsamkeit für die gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in der bürgerlichen Welt zu verstehen versucht. Was ist es, das diese Verbindung zustandekommen läßt, wo doch alles: der Charakter, der bisherige Entwicklungs- und Bildungsgang, die gesellschaftliche Stellung, die gegenseitige Einschätzung, die persönlichen Neigungen und Gefühle, die schriftstellerische Arbeitsweise, die Einstellung zu kreativen Prozessen - wo wirklich schlechthin alles gegen die Möglichkeit einer solchen Verbindung spricht? "Niemand konnte leugnen" - so Goethe selbst -, "daß zwischen zwei Geistesantipoden mehr als ein Erddiameter die Scheidung mache, da sie denn beiderseits als Pole gelten mögen, aber eben deswegen in eins nicht zusammenfallen können".[20] Die Vorgeschichte der Begegnung von Goethe und Schiller gehört zu den besterhellten Episoden im Leben der beiden Dichter. Sie selbst äußern sich über das wechselseitige Verhältnis vor ihrer Freundschaft: Schiller in mannigfachen Briefberichten vor allem an seinen Freund Körner, Goethe in einem späteren Rückblick Erste Bekanntschaft mit Schiller von 1817, und Ferneres in Bezug auf mein Verhältnis zu Schiller von 1825, und ganze Bücher wurden darüber geschrieben. Nicht die Vorgeschichte selbst interessiert aber hier, von Bedeutung daran ist lediglich, daß jene Faktoren fehlen, die im allgemeinen für das Entstehen einer sozialen Zweierbeziehung als wesentlich gelten.[21] Trotzdem kommt die Verbindung zustande, und sie wird zu einer der fruchtbarsten und engsten Schriftstellerverbindungen, die wir kennen. Da sie nicht aus unmittelbarer persönlicher Kompatibilität erklärt werden kann, müssen es u.a. soziale Kräfte sein, die in ihr wirksam sind, wenn anders man nicht zum vornherein das Unerklärliche, Unbegreifliche walten lassen will.


2. Freundschaft als Mittel sozialer Stabilisierung

Aber auch von soziologischer Seite her ist eine Freundschaftsbeziehung wie die Goethes und Schillers als eine spezifische Form sozialer Bindung nicht einfach zu erfassen. Unstreitig müßten wir sie der Zweiergruppe, dem Paar, zuordnen, da sie sich im Gegensatz zu den frühern Freundschafts- und Dichterbünden der Empfindsamkeit, etwa dem Göttinger Hainbund, dem älteren Hallenser Kreis um Pyra und Lange oder dem Darmstädter Kreis, in recht ausgeprägter Exklusivität auf Goethe und Schiller selbst beschränkt. Einzig Wilhelm von Humboldt dringt gelegentlich etwas tiefer in ihren Kreis ein, doch keineswegs so weit, daß man von einem Dreierbund sprechen könnte. Das Paar ist nun - nach Leopold von Wiese - "das persönlichste unter allen [sozialen] Gebilden, in ihm wirkt Individuelles auf Individuelles".[22] Weil in der persönlichen Zweierbeziehung die Individualität in ihrer unendlichen Vielfalt von Einzelbezügen wirksam ist, weil sie "Menschen auf der Breite des Daseins und nicht vorwiegend oder ausschließlich in engen zweckbestimmten und leistungsorientierten Rollen[23]" verbindet, ist sie zugleich ein Verhältnis des "allgemeinen Menschlichen", ja "es ist geradezu ihre Funktion, das allgemein Menschliche, das ja zugleich immer das Intime ist, zur Geltung zu bringen".[24]

Die persönlichen Zweierbeziehungen siedeln sich demnach gleichsam an den äußersten Enden der sozialen Gebilde, dem "rein Individuellen" und dem "allgemein Menschlichen", an. Die Soziologie hingegen hat es vorwiegend mit dem gesellschaftlich Vermittelten, mit sozial geregelten Institutionen, normativ festgelegten Rollen, mit Klassen und Schichten, Herrschaft und Macht zu tun. Daher kann es nicht verwundern, daß diese Form des Sozialen wenig erforscht ist. Friedrich Tenbruck, der einen der wenigen Beiträge zur Soziologie der Freundschaft geliefert hat, spricht denn auch vom "Kümmerdasein", den dieses Phänomen in der Soziologie führt, obwohl gerade die Untersuchung solcher Formen des Sozialen mit ihrem relativ hohen Individualcharakter geeignet wäre, die traditionelle Kluft zwischen Geistes- und Sozialwissenschaften zu überbrücken.[25] Einzig bei den frühen, geistesgeschichtlich beeinflußten deutschen Soziologen wie Georg Simmel, Alfred Vierkandt, Leopold von Wiese finden wir Ansätze zu einer Soziologie der persönlichen Beziehungen. So weist Georg Simmel auf ein ganz zentrales historisches Entwicklungsmoment der persönlichen Beziehungen, insbesondere der Freundschaft hin. Die Freundschaft möge zwar "den ganzen Menschen mit dem ganzen Menschen verbinden", das persönlich Individuelle und zugleich das gesellschaftlich-historisch unvermittelte allgemein Menschliche. Gleichzeitig aber vermutet Simmel:

    Solche völlige Vertrautheit dürfte indes mit der wachsenden Differenzierung der Menschen immer schwieriger werden. [...] Es scheint, daß deshalb die moderne Gefühlsweise sich mehr zu differenzierten Freundschaften neigte, d. h. zu solchen, die ihr Gebiet nur an je einer Seite der Persönlichkeiten haben und in die übrigen nicht hineinspielen. Damit kommt ein ganz besonderer Typus der Freundschaft auf, der für [...] das Maß des Eindringens oder der Reserve innerhalb des Freundschaftsverhältnisses von größter Bedeutung ist. Diese differenzierten Freundschaften, die uns mit einem Menschen von der Seite des Gemütes, mit einem andern von der geistigen Gemeinsamkeit her, mit einem dritten um religiöser Impulse willen, mit einem vierten durch gemeinsame Erlebnisse verbinden - diese stellen in Hinsicht der Diskretionsfrage, des Sich-Offenbarens und Sich-Verschweigens eine völlig eigenartige Synthese dar; sie fordern, daß die Freunde gegenseitig nicht in die Interessen- und Gefühlsgebiete hineinsehen, die nun einmal nicht in die Beziehung eingeschlossen sind und deren Berührung die Grenze des gegenseitigen Sich-Verstehens schmerzlich fühlbar machen würde. Aber die so begrenzte und mit Diskretion umgebene Beziehung kann dennoch aus dem Zentrum der ganzen Persönlichkeit kommen, von ihren letzten Wurzelsäften getränkt sein, so sehr sie sich nur in einen Abschnitt ihrer Peripherie ergießt.[26]

Simmels Ausführungen verdeutlichen zwei Dinge, die für die Untersuchung von Goethes und Schillers Freundschaft ganz wesentlich sind: Einmal legen sie nahe, daß die Form der persönlichen Zweierbeziehung nicht allumfassend, ganzheitlich bleiben kann, wenn die Persönlichkeitsstruktur selbst ihren Totalitätscharakter verliert und mit den gesellschaftlich-historischen Wandlungsprozessen sich zunehmend differenziert. Das heißt aber, daß persönliche Zweierbeziehungen wie die Freundschaft auch zunehmend "wesentlich gesellschaftlich bestimmt sind[27]" und nicht in einem gesellschaftsfreien, privaten Raum liegen. Zum zweiten erweisen Simmels Ausführungen die Unfruchtbarkeit von ausgebreiteten Erörterungen über die Frage, ob die Beziehung zwischen Goethe und Schiller auch wirklich als Freundschaft gelten könne oder nicht, ob sie die strategische Vereinigung zweier Herrscher[28] sei oder eine 'echte' Freundschaft: Goethe selbst spricht in der Widmung seines Briefwechsels mit Schiller an den König von Bayern von seinem "unvergeßlichen Freund" und von "Freundschaft",[29] ebenso nennt Schiller in einem Brief an Charlotte von Schimmelmann vom 23. November 1800 Goethe "einen verehrten Freund",[30] und im Briefwechsel Goethe-Schiller finden wir wiederholt den Ausdruck der Freundschaft, sei es in der Anrede, sei es zur Kennzeichnung des gegenseitigen Verhältnisses.[31] Wir sehen daher keinen Grund, von einer "Freundschaftslegende" zu sprechen. Dies um so weniger, als wir gelegentlich in den Briefen selbst den Ausdruck der gegenseitigen Liebe finden, so bei Goethe z. B. im Brief vom 18. März 1795: "Leben Sie wohl und lieben mich, es ist nicht einseitig."[32] Am 6. Januar 1800: "[...] liebster Freund."[33] Schiller am 2. Juli 1796: "Leben Sie jetzt wohl, mein geliebter, mein verehrter Freund."[34] Und Goethe am 5. Mai 1798: "Leben Sie wohl und lieben mein liebendes Individuum trotz allen seinen Ketzereien."[35]

Allerdings ist nicht zu übersehen, daß die Freundschaft von zurückhaltender Diskretion und Reserve getragen ist, wie sie sich gerade in der distanzierten leisen Ironie von Goethes letztem Zitat äußert. Vor allem zu Beginn und insbesondere bei Goethe wird offenbar, daß die Beziehung nicht den "ganzen Menschen", sondern nur Teilaspekte ihrer Persönlichkeit umfaßt, daß sie also dem modernen, differenzierten Typus Freundschaft im Sinne Georg Simmels entspricht. Dies wird auch aus den vorsichtig überlegten Annäherungsschritten deutlich: Wenige Wochen nach der bekannten Begegnung am 20. Juli 1794 im Anschluß an eine Sitzung der Naturforschenden Gesellschaft in Jena, welche den persönlichen Kontakt anbahnte, und als Antwort auf den berühmten Geburtstagsbrief Schillers vom 23. August, worin dieser "die Summe der Existenz" Goethes zieht und diskret eine freundschaftliche Zusammenarbeit anträgt, schlägt Goethe am 27. August vor, daß man sich "wechselseitig die Punkte klar [macht], wohin wir gegenwärtig gelangt sind, so werden wir desto ununterbrochener gemeinschaftlich arbeiten können"[36] Am 4. September stellt Goethe fest: "[...] daß uns nicht allein dieselben Gegenstände interessieren, sondern daß wir auch in der Art sie anzusehen meistens übereinkommen. Über alle Hauptpunkte, sehe ich, sind wir einig, und was die Abweichungen der Standpunkte, der Verbindungsart, des Ausdrucks betrifft, so zeugen diese von dem Reichtum des Objekts und der ihm korrespondierenden Mannigfaltigkeit der Subjekte."[37] Er macht daher den Vorschlag einer "vierzehntägigen Konferenz" und zieht als deren Fazit: "daß wir in Prinzipien einig sind und daß die Kreise unsers Empfindens, Denkens und Wirkens teils koinzidieren, teils sich berühren; daraus wird sich für beide gar mancherlei Gutes ergeben."[38] Was hier in einer "Konferenz" gleichsam wie ein geschäftlicher oder politischer Vertrag festgelegt wird, nennt Schiller auch später noch wiederholt "unser Commercium".[39] Gleichsam mit Präambel und Resolution legt es Goethe im Brief von Mitte Oktober 1794 fest:

    Da wir beide bekennen, daß wir dasjenige noch nicht wissen, wenigstens noch nicht deutlich und bestimmt wissen, wovon wir uns eben unterhalten, sondern vielmehr suchen [das klassische Kunstwerk]; da wir einander nicht belehren wollen, sondern einer dem andern nachzuhelfen und ihn zu warnen denkt, wenn er, wie es nur leider gewöhnlich geschieht, zu einseitig werden sollte: so lassen Sie mich vollkommene Kunstwerke gänzlich aus den Augen setzen, lassen Sie uns erst versuchen, wie wir gute Künstler bilden, erwarten, daß sich unter diesen ein Genie finde, das sich selbst vollende; lassen Sie uns ihm nachspüren, wie es sich selbst unbewußt dabei zu Werke gehe, und wie das schönste Kunstprodukt, eben wie ein schönes Naturprodukt, zuletzt nur gleichsam durch ein unaussprechliches Wunder zu entstehen scheine.[40]

Aus diesen Zeilen spricht das Bedürfnis, in ihrer Freundschaft eine wohl abgewogene, subtile Balance zwischen dem geteilten Gemeinsamen und dem diskret auszusparenden Persönlichkeitsbereich zu finden, eine Balance, die wohl auch - vor allem zu Beginn noch der Freundschaft - die erhebliche Altersdifferenz und den beträchtlichen sozialen Abstand zwischen dem Frankfurter Sohn aus gehobenem Bürgerstand, der es zu höchstem Amt und Würden am Hofe gebracht hat, und dem ehemaligen Regimentsmedicus in konstanten finanziellen Nöten und in wenig gesicherter bürgerlicher Position zum Ausdruck bringt. Diese Balance einzuhalten fällt Schiller gelegentlich schwer, bricht doch bei ihm hin und wieder die Freundschaftsvorstellung aus seinen Jünglingsjahren durch, jene in den Philosophischen Briefen entworfene Freundschaft zwischen Julius und Raphael, die "einen augenblicklichen Tausch der Persönlichkeit, eine Verwechslung der Wesen"[41] anstrebt. Wo Schiller beispielsweise anläßlich von Goethes Besuch in Stuttgart im Herbst 1797 in eine - wie er selbst sagt - "sentimentale Stimmung" gerät und ausruft: "Was hätte ich vor 16 Jahren darum gegeben, Ihnen auf diesem Boden zu begegnen, und wie wunderbar wird mirs, wenn ich die Zustände und Stimmungen, welche dieses Lokal mir zurückruft, mit unserem gegenwärtigen Verhältnis zusammen denke",[42] da repliziert Goethe eher kühl: "Für uns beide, glaub ich, war es ein Vorteil, daß wir später und gebildeter zusammentrafen."[43]

So wie die differenzierte Freundschaft gewisse Persönlichkeitsbereiche unangetastet läßt, ebenso kann sie nicht sämtliche Lebensphasen umgreifen und in sich schließen. Und dementsprechend scheint sie auch immer in der Gefahr der Entfremdung zu stehen als Folge der so grundsätzlich verschiedenen sozialen Lebensbedingungen der beiden Freunde. So schreibt Schiller am 17. Februar 1797: "Aber es ist wirklich notwendig, daß man einander, wenn es nicht auf länger sein kann, manchmal nur auf einige Stunden sieht, um sich nicht fremder zu werden."[44] Und von ähnlichen Befürchtungen ist wohl Goethes Wunsch zwei Monate später getragen: "Lassen Sie uns, solange wir beisammen bleiben, auch unsere Zweiheit immermehr in Einklang bringen, damit selbst eine längere Entfernung unserm Verhältnis nichts anhaben könne."[45] Zusammenfassend umschreibt Goethe 1827 Eckermann gegenüber seine Beziehung zu Schiller: "Mein Verhältnis zu Schiller war so einzig, weil wir das herrlichste Bindungsmittel in unseren gemeinsamen Bestrebungen fanden und es für uns keiner sogenannten besonderen Freundschaft weiter bedurfte." Ihre Beziehung ist keine "besondere Freundschaft" - wie Goethe sagt - die den ganzen Menschen zu einer innig verbundnen Zweiheit vereinigt, sondern es ist eine differenzierte Freundschaft, in der ihrer beider Persönlichkeit aus der spezifisch schriftstellerischen Situation heraus verbunden wird.

Georg Simmel hat uns bereits darauf hingewiesen, daß die differenzierte persönliche Zweierbeziehung in engem Zusammenhang mit der modernen gesellschaftlichen Entwicklung steht. Tenbruck beschreibt diese gesellschaftliche Veränderung genauer als eine besondere Form der Differenzierung der gesellschaftlichen Struktur:

    Die berufliche Differenzierung wird größer, die horizontale und vertikale Mobilität nimmt zu, die sozialen Verkehrskreise dehnen sich aus, "insgesamt [durchbrechen] mehr Menschen die bisherige Geschlossenheit ihrer sozialen Horizonte und Gruppen [...] und [entwachsen] so auch der sozialen Kontrolle ihrer althergebrachten, engen und einheitlichen Gruppen. Die soziale Welt beginnt, bunter und heterogener zu werden.[46]

Mit der zunehmenden sozialen Differenzierung werde jedoch "die soziale Kontrolle des menschlichen Verhaltens in weiten Bezirken geringer", und dies heiße auch, daß "die gegebenen sozialen Beziehungen und Rollen nicht mehr zur Orientierung des Individuums in der ganzen Breite seines Handelns ausreichen".[47] Als Folge davon "werden die persönlichen Beziehungen wichtig und wird unter ihnen insbesondere die Freundschaft wichtig".[48] Allerdings gewinne "der auf sich selbst zurückgeworfene Mensch in der sozial heterogenen Welt im Freunde nicht ein zweites Ich zu dem Ich, das er selbst schon besitzt, sondern überhaupt erst sein eigenes Ich, indem er im Freunde ein Ich entdeckt".[49] Darin, "daß zwei Menschen sich aufeinander richten, ein jeder sich stets ein Bild von dem anderen macht und mit diesem Bild lebt und zugleich sich dessen bewußt ist, daß auch der andere mit einem solchen Bild von ihm selbst lebt, gründet diese Freundschaft. In der Konzentration der Freunde aufeinander finden beide sich auf doppelte Weise auf ein Ich festgelegt. Hier gelingt in einer sozial heterogenen Welt die Stabilisierung des Daseins durch die Freundschaftsbeziehung. In der persönlichen Beziehung entgeht der Mensch der Desorganisation, mit welcher ihn die Heterogenität seiner sozialen Welt bedroht."[50] Persönliche Beziehungen lassen daher "stets auf einen Mangel in der sozialen Struktur" schließen,[51] sie sind "zu verstehen als die Ergänzung einer inkompletten sozialen Struktur".[52]

Solche Differenzierungsprozesse der sozialen Struktur, wie sie Tenbruck hier beschreibt, finden in besonders ausgeprägter Weise im 18. Jahrhundert statt, weshalb man in der neuern Forschung denn auch mehr und mehr zur Ansicht neigt, das 18. Jahrhundert und nicht das 15./16. Jh. sei die "eigentliche Grenzscheide zwischen 'alter' und 'neuer' Zeit",[53] für die der Historiker Reinhart Kosellek daher den Begriff "Sattelzeit" vorgeschlagen hat, "in der sich die Herkunft zu unserer Präsenz wandelt".[54] Mehr noch vielleicht und zugeschärfter als in andern Lebens- und Sozialbereichen ist dieser Wandlungscharakter des 18. Jahrhunderts im Bereich des literarischen Lebens beobachtbar; es sei hier nur kurz an die wesentlichsten Elemente erinnert:[55]

Das moderne Verlagswesen bildet sich heraus mit der Wandlung vom Drucker-Verleger zum Vermittlungs- und Vertriebsverleger; der Buchhandel löst sich "von den veralteten Formen des Messeverkehrs und des Tauschhandels und geht zum Konditionsverkehr und Kommissionshandel über";[56] in der Buchproduktion findet eine tiefgreifende Umstrukturierung nach einzelnen Sachgebieten - Theologie, Belletristik, Wissenschaft etc. - und nach der Publikationssprache - lateinisch/deutsch/andere Sprachen - statt bei gleichzeitig gewaltiger Expansion des Druckvolumens;[57] der Typus des freien Schriftstellers entsteht, und damit wandelt sich auch die soziale Position und das Rollenprofil des Schriftstellers grundlegend; und auch da ist die qualitative Wandlung begleitet von einem starken quantitativen Wachstum. Die Ablösung des literarischen Schaffens von der traditionellen Regelpoetik schafft Unsicherheiten in der schriftstellerischen Orientierung an vorgegebenen Gattungshorizonten und innertextlichen Strukturen. All dies in seiner Gesamtheit konstituiert das 18. Jahrhundert als eine faszinierende literarische Epoche von höchster Lebendigkeit, Vielfalt, raschem Wechsel und voller Kontroverse.

Aber - dies vergißt der heutige Beobachter leicht - der Strukturwandel des literarischen Systems bedeutet für den zeitgenössischen Schriftsteller ein Leben in sozialer Unrast und mit einer ausgeprägten Verhaltensunsicherheit in seiner Berufsrolle. Verschärft wird die Verhaltensunsicherheit noch dadurch, daß die neue Schriftstellerrolle, die sich in diesen Wandlungsprozessen herausbildet und die im wesentlichen der Rolle des modernen Künstlers in der bürgerlichen Gesellschaft entspricht, sich durch eine hohe strukturelle Instabilität auszeichnet, so daß selbst nach Abschluß des Wandlungsprozesses das schriftstellerische Handeln weiterhin in einer sozusagen permanenten Rollenkrise verhaftet bleibt.[58] Für den Lebens- und Schaffensbereich des Schriftstellers ist daher in ganz besonderem Maße Tenbrucks Begriff der "inkompletten sozialen Struktur" zutreffend. Und so ist es denn auch nicht überraschend, daß wir parallel zum Strukturwandel des literarischen Systems die zunehmende Bedeutung von Freundschaftsbeziehungen beobachten können, wobei es die Vermutung zuläßt, daß die sich entwickelnden Freundschaftsformen in ihrem Charakter den Differenzierungsprozeß der gesellschaftlichen Struktur mitvollziehen.[59] Beim jungen Schiller etwa dominiert noch der "vormoderne" ganzheitlich-totale Freundschaftstypus, der auch für seine Beziehung zu Christian Gottfried Körner kennzeichnend ist[60] und von einem allumfangenden Enthusiasmus und hoher Intimität getragen wird.[61] Später wandelt sich die freundschaftliche Verbindung von der affektiv-partikularistischen Handlungs- und Einstellungsorientierung zu einer mehr berufsbezogenen differenzierten, d.h. vornehmlich instrumental-universalistischen;[62] dabei bleibt allerdings in der Beziehung zu Körner der hohe Vertrautheitsgrad der frühen Jahre erhalten.

Im Gegensatz dazu entwickelt sich die Freundschaft zwischen Schiller und Goethe in vorwiegend berufsbezogenen Kontexten, gehört also von allem Anfang an zum instrumental differenzierten "modernen" Freundschaftstypus im Sinne Georg Simmels: Der soziale Kontakt zwischen den beiden setzt mit Schillers am 13. Juni 1794 brieflich geäußerter Bitte an Goethe ein, er möge sich an der geplanten Zeitschriftengründung der Horen beteiligen. Goethe akzeptiert die Einladung zur Mitarbeit, und parallel zum Aufbau des Horenunternehmens entwickeln sich dann ihre Kontakte zur persönlichen Freundschaft. Das Horenunternehmen ist daher für den sozialen Kontext der Freundschaftsbeziehung sehr bedeutsam: Denn legt man etwas weniger Gewicht auf die vor allem individual-psychologisch wichtige Vorgeschichte des Verhältnisses von Goethe/Schiller - wie sie Wentzlaff-Eggebert beschreibt -, beachtet dafür aber mehr die gruppendynamischen Prozesse unter den Schriftstellern während der neunziger Jahre, so kann die freundschaftliche Zweierbeziehung Schiller/Goethe als gruppeninterner Differenzierungsvorgang, gleichsam als ein neuer Kristallisationskern innerhalb der ursprünglich umfassenderen Gruppe der Horen-Beiträger betrachtet werden. Ein Blick auf das Horen-Unternehmen drängt sich deshalb auf.


3. Gescheiterte Stabilisierungsstrategien

Zeitschriftengründungen gehören mit zu den mannigfaltigen Versuchen der Schriftsteller im 18. Jahrhundert, ihre soziale Rolle und Position zu stabilisieren und für ihr schriftstellerisches Schaffen günstigere Rahmenbedingungen herzustellen. Auch der junge Schiller hatte versucht, mit einer Zeitschrift eine institutionelle und ökonomische Basis für sein schriftstellerisches Schaffen zu finden. 1784 kündigte er die Rheinische Thalia an, die es aber nicht über die erste Nummer schaffte, ihr folgten 1786 die Thalia und 1792 die Neue Thalia. Nun könnte eine Zeitschrift theoretisch zwar zur Stabilisierung der sozioliterarischen Struktur beitragen, indem sie (a) durch ihr periodisches, regelmäßiges Erscheinen die ökonomische Grundlage des Schriftstellers sicherte, (b) durch ein beständiges, relativ genau umrissenes und bekanntes Lesepublikum die Lesererwartungen und damit das normative Handlungsgefüge der Schriftstellerrolle definierte und (c) durch ein eigenes Kulturkonzept der Herausgeber ein Steuern der Lesererwartungen ermöglichte und damit ihrerseits das normative Gefüge des literarischen Rollenhandelns zu beeinflussen vermöchte. Aber Schiller beging in jugendlicher Unerfahrenheit den Fehler, daß er über alle soziale Wirklichkeit hinweg "als Weltbürger, der keinem Fürsten dient",[63] der alle sozialen Bindungen aufgelöst hatte, mit einem imaginären Universalpublikum ein literarisches Interaktionssystem aufbauen wollte:

    Das Publikum ist mir jetzt alles, mein Studium, mein Souverain, mein Vertrauter. Ihm allein gehör ich jetzt an. Vor diesem und vor keinem andern Tribunal werde ich mich stellen. Dieses nur fürchte ich und verehr ich. Etwas Großes wandelt mich an bei der Vorstellung, keine andere Fessel zu tragen als den Anspruch der Welt - an keinen andern Thron mehr zu appellieren als an die menschliche Seele.[64]

Der Mißerfolg war eklatant, denn ein solches universales "Weltpublikum", aus dessen Erwartungen und Bedürfnissen heraus sich eine tragfähige Schriftstellerrolle mit einer gesicherten Position und einer ausreichenden ökonomischen Basis aufbauen ließe, gab es natürlich nicht, am wenigsten im Deutschland jener Tage. Und ebensowenig ließ sich eine soziale Rollenstruktur aus dem Alleingang eines Schriftstellers realisieren.

Erst nach den vertieften philosophischen und historischen Studien der frühen neunziger Jahre, die mit einem fast vollständigen Unterbruch in der dichterischen Produktion einhergingen, nach der Auseinandersetzung mit Kant und der Herausarbeitung einer Aesthetik, die von einer Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgeht, wie dies in den Augustenburgerbriefen, den spätern Briefen über die ästhetische Erziehung, geschieht - erst danach ist Schiller imstande, die soziale Problematik von Schriftsteller und Literatur im Kontext der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu erfassen. Dieser Schiller der Mitte der neunziger Jahre weist dann aber nach Heinrich Popitz in der "materialen Zeitkritik" und der Analyse der modernen Gesellschaft "[ ... ] in einzelnen Bemerkungen weit über seine Zeit hinaus und ist prinzipiell erst wieder von dem späten Hegel (Rechtsphilosophie) und Karl Marx fortgeführt worden".[65] Und er läßt es auch nicht bei der Gesellschaftsanalyse bewenden, sondern bemüht sich mit Entschlossenheit und Energie, das theoretisch Erkannte in gesellschaftliche Praxis umzusetzen. Das geschieht auf verschiedenen Ebenen, z. T. simultan, z. T. in sukzessiver Folge (a) im Unternehmen der Horen, (b) im Xenienstreit, (c) in der Freundschaft mit Goethe, (d) in der Entwicklung eines typologischen Rollenkonzepts des Schriftstellers. In ihrer Gesamtheit sind diese Unternehmungen und Bemühungen ein eindrucksvoller Versuch, die Verhaltensunsicherheiten im schriftstellerischen Handeln und die Defizienzen in der sozioliterarischen Struktur zu überwinden; und es ist immer wieder überraschend, wie die philosophische Reflexion und das praktische Handeln sich gleichsam zu einem reinen Modell der sozioliterarischen Interaktion in einer gegebenen Situation zusammenfügen.

Der Plan der Horen-Gründung, den Schiller im Juni 1794 als Einladung zur Mitarbeit Goethe zukommen ließ, sieht als inhaltlichen Rahmen der zukünftigen Zeitschrift vor, sie solle "sich über alles verbreiten, was mit Geschmack und philosophischem Geiste behandelt werden kann, und also sowohl philosophischen Untersuchungen als historischen und poetischen Darstellungen offenstehen". Ausgeschlossen wird, "was entweder bloß den gelehrten Leser interessieren oder was bloß den nichtgelehrten befriedigen kann"; ausgeschlossen ist aber vor allem, "was sich auf Staatsreligion und politische Verfassung bezieht".[66] Eine unpolitische, schöngeistig kulturelle Zeitschrift also, die "durch ein allgemeines und höheres Interesse an dem, was rein menschlich und über allen Einfluß der Zeit erhaben ist", die durch "das beschränkte Interesse der Gegenwart" eingeengten und unterjochten Gemüter "wieder in Freiheit setzen und die politisch geteilte Welt unter der Fahne der Wahrheit und Schönheit wieder vereinigen soll".[67]

Dieses Programm wird oft zitiert als Zeugnis für die apolitische Haltung der deutschen Klassik und die eskapistische Tendenz des Idealismus gegenüber der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Doch scheint mir die Tatsache wichtig, daß die politische Abstinenz in diesem Programm nicht als Ziel im Sinne eines antipolitischen Kulturelitismus deklariert wird, sondern daß sie als Mittel gedacht ist, die "politisch geteilte Welt" wieder zu vereinigen. Friedrich Jacobi gegenüber präzisiert Sdiiller, "wie weit sich das Interdict erstrecke, das wir auf politische Gegenstände gelegt haben", in folgender Weise: "Ihre Frage wird durch den Inhalt dieses ersten Stückes hinreichend beantwortet seyn. Sie finden, daß wir dem philosophischen Geist keineswegs verbieten, diese Materie zu berühren: nur soll er in den jetzigen Welthändeln nicht Parthey nehmen, und sich jede bestimmte Beziehung auf irgend einen particulären Staat und eine bestimmte Zeitbegebenheit enthalten."[68] Es ist nicht die politisch-gesellschaftliche Welt als solche, der Schiller auszuweichen sucht, sondern das Zerbrechen jedes allgemeinen Konsensus, das der politischen Gesprächsthematik eigen ist, und die damit verbundene Gefährdung eines einigermaßen umfassenden Lesepublikums der Horen, was er zu vermeiden sucht, also ein primär praktischer und nicht ein ideologischer Beweggrund. Daß es das primäre Ziel der Horen ist, die zersplitterten Lesepublika zu verbinden und dadurch die "Heterogenität der Sozialstruktur" im Bereich der Literatur zu vermindern, wird in der Einladung zur Mitarbeit deutlich ausgedrückt:

Für Zeitschriften dieses Inhalts fehlt es gar nicht an einem zahlreichen Publikum, aber in dieses Publikum teilen sich zu viele einzelne Journale. Würde man die Käufer aller hiehergehörigen Journale zusammenzählen, so würde sich eine Anzahl entdecken lassen, welche hinreichend wäre, auch die kostbarste Unternehmung im Gange zu erhalten. Diese ganze Anzahl nun steht derjenigen Zeitschrift zu Gebot, die alle die Vorteile in sich vereinigt, wodurch jene Schriften im einzelnen bestehn, ohne den Kaufpreis einer einzelnen unter denselben beträchtlich zu übersteigen.[69]

Verzicht auf politisch-gesellschaftliche Aktualität zur Vermeidung einer Antagonisierung[70] und Zersplitterung des potentiellen Publikums nach parteipolitischen Fraktionen mit dem Ziel, eine höhere Homogenität und Stabilität der sozioliterarischen Struktur auf der Leserseite zu erreichen. Neben der Homogenisierung der Publika im Zeichen des allgemein Menschlichen, Schönen, Guten und Wahren sollen die heterogenen Publikumsgruppen auch durch den Zusammenschluß der Schriftsteller vereinheitlicht werden. Denn:

    Jeder Schriftsteller von Verdienst hat in der lesenden Welt seinen eigenen Kreis, und selbst der am meisten gelesene hat nur einen größern Kreis in derselben.
    So weit ist es noch nicht mit der Kultur der Deutschen gekommen, daß sich das, was den Besten gefällt, in jedermanns Händen finden sollte. Treten nun die vorzüglichen Schriftsteller der Nation in eine literarische Assoziation zusammen, so vereinigen sie eben dadurch das vorher geteilt gewesene Publikum, und das Werk, an welchem alle Anteil nehmen, wird die ganze lesende Welt zu seinem Publikum haben. Dadurch aber ist man imstande, jedem einzelnen alle die Vorteile anzubieten, die der allerweiteste Kreis der Leser und Käufer einem Autor nur immer verschaffen kann.[71]

Das Unternehmen der Horen ist demnach nicht lediglich als eine Zeitschriftengründung unter vielen andern gedacht, sondern es soll zugleich ein Versuch sein, die Schriftsteller und mit ihnen ihren Publikumsanteil in einer "literarischen Assoziation", einer "Sozietät" - wie Schiller auch sagt[72] - institutionsmäßig zu binden, d. h. eine literarische Produktionsgemeinschaft zu bilden. Neben den Initianten des Plans: Schiller, Fichte, W. v. Humboldt und Woltmann, gesellen sich im Anschluß an die Einladung zur Mitarbeit neunzehn weitere Autoren zur "Sozietät", darunter eben auch Goethe. Daß am Beginn ihrer freundschaftlichen Beziehungen ein durchaus handfestes Interesse Schillers stand, Goethe und damit seinen Publikumsanteil an das Horen-Unternehmen zu binden, war Goethe - selbst später noch - sehr wohl bewußt.[73] Diese Sozietät ist als eine offene gedacht, wird doch "[...] jedem deutschen Schriftsteller, der sich den notwendigen Bedingungen des Instituts zu unterwerfen geneigt ist, zu jeder Zeit die Teilnahme daran offenstehen".[74] Die "literarische Assoziation" erschöpft sich aber nicht schon im Ziel - ökonomisch gesprochen -, durch eine Fusion mehrerer Literaturproduzenten die gemeinsame Marktbasis zu erweitern und zum eigenen Vorteil zu stabilisieren, sondern sie soll auch auf Geschmack und Niveau Einfluß nehmen und steuernd auf die Publikumserwartungen einwirken. Dementsprechend ist vorgesehen, "daß kein Manuskript eher dem Druck übergeben werde, als bis es einer dazu bestimmten Anzahl von Mitgliedern zur Beurteilung vorgelegt worden ist".[75] Diesen Punkt greift Goethe in seiner Zusage zur Mitarbeit speziell auf und hebt ihn hervor: "Schon eine sehr interessante Unterhaltung wird es werden, sich über die Grundsätze zu vereinigen, nach welchen man die eingesendeten Schriften zu prüfen hat, wie über Form und Inhalt zu wachen, um diese Zeitschrift vor andern auszuzeichnen und sie bei ihren Vorzügen wenigstens eine Reihe von Jahren zu erhalten."[76]

Goethe erwartet offensichtlich von der gemeinsamen Tätigkeit des Editorenkollegiums der Horen eine literarische Gruppenbildung, die zuverlässige und allgemeingültige literarische Normen und Schaffensregeln zu formulieren und ins schriftstellerische Schaffen umzusetzen weiß, die Entstehung jenes "Mittelpunkts gesellschaftlicher Lebensbildung" also, dessen Fehlen in Deutschland er beklagt, "wo sich Schriftsteller zusammenfänden und nach einer Art, in einem Sinne, jeder in seinem Fache sich ausbilden könnten" und einer deutschen Klassik den Boden bereiteten. Die Diskussion fand dann allerdings nicht unter dem Editorenkollegium der Horen statt, sondern lediglich im Gespräch und Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller, wie ja denn auch die Klassik im engern Sinne auf die Zweiergruppe Schiller/Goethe beschränkt blieb.

In der Verwirklichung seines Projekts geht Schiller durchaus nicht zimperlich vor, und stünde sein Bemühen nicht so sehr im Zusammenhang eines lebenslangen hoffnungslosen Kampfes um eine nur einigermaßen menschenwürdige Existenz als Dichter, man müßte sein Vorgehen als einen erstaunlich geschäftstüchtigen Versuch zur Durchsetzung eines Monopols bezeichnen, denn die Elemente dazu sind alle da: Organisatorische Zusammenfassung der Produktion in der "literarischen Assoziation", der "Sozietät"; Verdrängung der Konkurrenz, Zusammenfassung des Publikums zu einem einheitlichen Markt, Beherrschung der Publikumserwartungen durch Diktat und Kontrolle des literarischen Normensystems. Da sich, wie Schiller in der Einladung zur Mitarbeit sagt, zu viele Zeitschriften in das Publikum teilen, rechnet er damit, daß die Horen einige davon verdrängen, vor allem die erfolgreichste von allen, Wielands Teutschen Merkur. An seinen Verleger Cotta schreibt er am 10. Juni 1794:

    Ich werde Wieland proponieren, den deutschen Merkur eingehen zu lassen, aber ich erwarte nicht sehr viel davon. Soviel als der Merkur ihm einträgt, kann er bey uns nicht verdienen, obne sich weit mehr anzustrengen, als er bey dem Merkur nöthig hat. Für den Merkur ist jeder schlechte Aufsatz gut genug, und für uns müßte er ganz andere Arbeit liefern, die ihm jetzt vielleicht nicht mehr möglich ist. Er ist auch sehr furchtsam, in seinen alten Tagen noch einen Wettkampf mit jungen und rüstigen Autoren zu wagen, und ich weiß es von einer andern Gelegenheit her, daß er sich vor der Vergleichung mit andern fürchtet, der er doch in den Horen ausgesetzt seyn würde. Alsdann rechne ich auch darauf, daß der Merkur nach dem ersten Jahr der Horen von selbst fallen soll, so wie alle Journale, die das Unglück haben, von ähnlichem Innhalt mit den Horen zu seyn.[77]

Um den Verdrängungsprozeß anderer Zeitschriften zu beschleunigen und die Marktdominanz der Horen zu sichern, sinnt er noch auf weitere Mittel: Er bittet den Herausgeber der Allgemeinen Literatur-Zeitung Jena und Leipzig, eines der bedeutendsten Rezensionsorgane der Zeit, die einzelnen Nummern der Horen sogleich nach Erscheinen, d. h. zwölfmal pro Jahr, und nicht wie bei andern Zeitschriften üblich, in einer Sammelrezension einmal pro Jahr zu rezensieren. Weiter gibt er dem Herausgeber, Christian Gottfried Schütz, zu bedenken,

    ob es für uns Beide nicht vorteilhaft seyn dürfte, wenn Sie die einzelnen Monathsstücke unseres Journals durch Mitglieder unserer Societät recensieren ließen: Es verstünde sich von selbst, daß der Recensent eines Stücks an diesem Stücke nicht mitgearbeitet haben dürfte, und daß überhaupt eine anständige Gerechtigkeit beobachtet würde. Auf diese Weise, däucht mir, würden unangenehme Collisionen zwischen Ihrer Societät und der unsrigen am Besten vermieden, und der Grund zu einem wechselseitigen guten Vernehmen gelegt, bei dem unsere beiden Enterprisen in jeder Rücksicht gewinnen müßten. Ich brauch Sie nicht darauf aufmerksam zu machen, wie viel Gutes man in der Welt durch Vereinigung ausrichtet, und wie mißlich es auch für litterarische Gemeinden ist, sich gegeneinander im Naturstande zu befinden, der wie Sie wissen, ein bellum omnium contra omnes ist.[78]

Doch nicht genug damit, daß die Horen häufiger als andere Zeitschriften und von den eigenen Leuten rezensiert werden sollen! Als der Herausgeber der A. L. Z. erst zögert, auf Schillers Vorschlag einzugehen, da eine zwölfmalige statt eine einmalige Rezension der Horen pro Jahr eine beträchtliche Kostenvermehrung für ihn bedeutet, macht sich Schiller anheischig, die zusätzlichen Druckkosten von schätzungsweise 100 Talern durch die Horen, resp. deren Verleger Cotta tragen zu lassen, und er schreibt an Cotta: "Wollen Sie diese Summe daran wenden, so ist die Sache gethan, und die Horen genießen eine Begünstigung, die noch keinem Journal widerfahren ist."[79]An Goethe schreibt er, man hoffe durch dieses Arrangement zugleich, "auch den übrigen Herausgebern von Journalen, die sonst eine gleiche Begünstigung fordern könnten, den Mund zu stopfen".[80] Die Sache wurde ruchbar, denn kurz darauf schrieb ein Adjunkt der philosophischen Fakultät in Jena, Karl Friedr. Forberg: "Sie sind nicht der erste, der sich über die Unregelmäßigkeit der Recension des ersten Stücks der Horen in der A. L. Z. wundert. Sie wissen also wohl nicht, daß Cotta diese Recensionen bezahlt?"[81] Damit war das Feuer im Dach und Rechtshändel standen ins Haus, die allerdings rasch gütlich beigelegt wurden.

Auch die Bestrebungen Schillers, die literarisch bedeutenden Kräfte in einer Produktionsgemeinschaft institutionsmäßig zusammenzufassen und das literarische Leben durch eine ausgewählte Schar von rund zwanzig Mitgliedern der "Societät" regulieren und damit normativ festlegen zu wollen, fanden z. T. heftige Kritik, z. B. bei Wilhelm F. A. Mackensen, Professor der Philosophie in Kiel, in den Annalen der Philosophie und des philosophischen Geistes:

    In der That sieht man nirgends deutlicher, in welchem Verhältnisse unsere Schriftsteller zu unserm Publico stehen, als hier. Gerade in diesem Journale, das dem Deutschen Volke recht eigentlich gewidmet seyn soll, treibt sich ein Häufchen idiosynkrasistischer Schriftsteller in seinem engen Kreise herum, in welchen kein anderer, als ein Eingeweihter treten, und mit dem das Volk so wenig gemein haben kann, daß es vielmehr davor, als vor einem Zauberkreise zurückbeben wird. Die alte Wahrheit, daß unser Publicum und unsere Schriftsteller ihr Wesen für sich treiben und zwey abgesonderte Menschenclassen ausmachen, die sich immer fremd bleiben, weil sie ein getheiltes Interesse besitzen, findet man leider! hier vorzüglich bestätigt.[82]

Daß Mackensen nicht ganz unrecht hatte, geht aus einem weitern Vorschlag Schillers an Goethe hervor, der dann allerdings nicht verwirklicht wurde. Er verdeutlicht, wie sehr sich Schiller dem Publikum, aber auch den Schriftstellerkollegen entfremdet hatte und wie gering er die Möglichkeit einer aktiven Wechselwirkung zwischen Autor und Publikum und des Aufbaus eines echten literarischen Interaktionssystems mit funktionierenden Autor-, Kritiker- und Leserrollen einschätzt. Schiller regt an:

    Ich habe schon ehemals daran gedacht, daß wir wohl daran tun würden, einen kritischen Fechtplatz in den Horen zu eröffnen. Aufsätze dieses Inhalts bringen ein augenblickliches Leben in das Journal und erregen ein sicheres Interesse beim Publikum. Nur dürften wir, glaube ich, das Heft nicht aus den Händen geben, welches geschehen würde, wenn wir dem Publikum und den Autoren ein gewisses Recht durch unsere förmliche Einladung einräumten. Von dem Publikum hätten wir sicherlich nur die elendesten Stimmen zu erwarten, und die Autoren würden sich wie man Beispiele hat, sehr beschwerlich machen. Mein Vorschlag wäre, daß wir die Angriffe aus unsern eigenen Mittel machen müßten: wollten dann die Autoren sich in den Horen verteidigen, so müßten sie sich den Bedingungen unterwerfen, die wir ihnen vorschreiben wollen. Auch wäre deshalb mein Rat, sogleich mit der Tat und nicht mit der Proposition anzufangen. Es schadet uns nicht, wenn man uns für unbändig und ungezogen hält. Was würden Sie dazu sagen, wenn ich mich, im Namen eines Herrn von X, gegen den Verfasser des Wilhelm Meister beschwerte, daß er sich so gern bei dem Schauspieler-Volk aufhält, und die gute Sozietät in seinem Roman vermeidet?[83]

Ein Forum für Publikum und Kritik soll zwar in den Horen aufgebaut werden, aber nur ein fiktives, von den Horen-Leuten selbst in Szene gesetztes, womit man natürlich um so leichter die Lesererwartungen im eigenen Sinne zu steuern vermag, da die Kritik selbst so geschrieben wird, wie man die Kritiker gerne hingestellt haben möchte, im von Schiller vorgeschlagenen Fall als blöde. Ist schon der ganze Rezensionenhandel mit der A. L. Z. ein eher bedenkliches Stück, so ist dieser Manipulationsversuch zur Steuerung des sozioliterarischen Systems nicht minder fragwürdig. Wäre das Unternehmen der Horen ein Erfolg geworden, wir würden ihm angesichts der angewandten Praktiken mit gemischten Gefühlen gegenüberstehen, ganz unbeschadet der Tatsache, daß einige der bedeutendsten klassischen Werke erstmals darin erschienen und das Niveau der Zeitschrift außerordentlich hoch war. Aber trotz Schillers Manipulationsversuchen des literarischen Marktes sank die Leserzahl schon nach dem ersten Jahr sehr rasch ab, auch mit der literarischen "Sozietät" der Horen-Beiträger als einer Produktionsgemeinschaft wollte es nicht so recht klappen, so daß das ganze Unternehmen mehr und mehr an Schiller allein hängenblieb.[84] Und bei einer derart schmalen Basis an Lesern und mitwirkenden Schriftstellern war natürlich auch nicht mehr daran zu denken, über die Institution der Horen ein allgemeinverbindliches literarisches Normensystem, einen klassischen Kanon aufzubauen und durchzusetzen. Der Versuch, die "Heterogenität der sozialen Struktur" im literarischen Bereich durch die Horen zu überwinden, muß daher als gescheitert betrachtet werden.

Das Horen-Unternehmen war nun aber nur ein Element im Bemühen, die Instabilität des literarischen Systems und damit auch der Schriftstellerrolle aufzufangen. Sein Scheitern ist vermutlich u. a. auch darauf zurückzuführen, daß Schillers Konzept der Zusammenführung der zersplitterten Lesergruppen durch Assoziierung der Schriftsteller zwar theoretisch einleuchtend war, daß er aber an der Wirklichkeit vorbeiging, wenn er glaubte, mit einer Schar von rund zwanzig Leuten die Heterogenität der deutschen Kulturlandschaft aufheben zu können. Die Reaktion der Kritik auf die Horen zeigte dies deutlich genug. Am 1. November 1795 schreibt Schiller an Goethe:

    Wir leben jetzt recht in den Zeiten der Fehde. Es ist eine wahre ecclesia militans - die Horen meine ich. Außer den Völkern, die Herr Jakob in Halle kommandiert und die Herr Manso in der Bibliothek d. S. W. hat ausrücken lassen, und außer Wolfs schwerer Kavallerie haben wir auch nächstens vom Berliner Nicolai einen derben Angriff zu erwarten.[85]


4. Die Profilierung zur Zweiergruppe und die innere Strukturierung der Freundschaft als komplementäre Rollendifferenzierung

Als sich mit immer größerer Deutlichkeit abzeichnete, daß die angestrebte Integration und Stabilisation des literarischen Systems über die Horen kaum verwirklicht werden konnte - intern, weil die Produktionsbasis zu schmal, und extern, weil die Ablehnung vor allem aus den Kreisen der Spätaufklärer und aus religiösen Kreisen unerwartet stark war - setzten Goethe und Schiller den Plan des Xenien-Almanachs ins Werk. Will man das Horen-Unternehmen gruppendynamisch seinen Intentionen nach als Assoziierungsprozeß verstehen, so müßte man den Xenien-Kampf als Dissoziierungsprozeß betrachten.

Den Zweck des Xenien-Unternehmens umschreibt Goethe im Brief an Schiller vom 21. November 1795: "Es ist sehr leicht, die unsinnige Unbilligkeit dieses bornierten Volkes [hier ist speziell der religiöse, antiklassische Kreis des Grafen Stolberg gemeint, der Verf.] anschaulich zu machen, man hat dabei das vernünftige Publikum auf seiner Seite, und es gibt eine Art Kriegserklärung gegen die Halbheit, die wir nun in allen Fächern beunruhigen müssen. Durch die Geheime Fehde des Verschweigens, Verruckens und Verdruckens, die sie gegen uns führt, hat sie lange verdient, daß ihrer nun auch in Ehren und zwar in der Kontinuation gedacht werde."[86] Ziel der Xenien ist es, die verschiedenen literarischen Gruppen zu antagonisieren und dadurch das literarische Feld zu polarisieren, so wie es im Xenion Vorsatz umschrieben wird:

Den Philister verdrieße, den Schwärmer necke, den Heuchler
Quäle der fröhliche Vers, der nur das Gute verehrt.[87]

Abgeschlossen wird die ganze Serie mit dem Motto an die Nachwelt:

Lebet, ist Leben in euch, und erzählt noch dem kommenden Alter
Distichen, was wir geehrt, was wir gehaßt und geliebt.[88]

Dadurch, daß die Xenien ins Offene tragen, "was wir geehrt, was wir gehaßt, was wir geliebt", strukturieren sie das diffuse literarische Feld und bewirken damit eine gewisse Stabilisierung, diesmal aber eine Stabilisierung durch dissoziative Frontenbildung. In diesem Sinne dienen die Xenien der Gruppenbildung, durch Herausstreichen des "us-them"-Gegensatzes, der "Eigengruppe" und der "Fremdgruppe".[89] Dem entspricht es, wenn Goethe im Brief an Schiller vom 7. Dezember 1796 der Hoffnung Ausdruck gibt, "[...] daß die Xenien auf eine ganze Weile wirken und den bösen Geist gegen uns in Tätigkeit erhalten sollen, wir wollen indessen unsere positiven Arbeiten fortsetzen und ihm die Qual der Negation überlassen. Nicht eher, als bis sie wieder ganz ruhig sind und sicher zu sein glauben, müssen wir, wenn der Humor frisch bleibt, sie noch einmal recht aus dem Fundament ärgern"[90] [kursiv vom Verf.]. Der Erfolg dieser Strategie stellte sich denn auch tatsächlich ein. Aus einer Bilanz im Halleschen Kosmopolit ein Jahr nach Erscheinen der Xenien erfährt man, daß inzwischen 15 poetische Sammlungen von Antixenien publiziert worden waren, ferner eine Unzahl von Kritiken, Erklärungen betroffener Persönlichkeiten, Anzeigen von Herausgebern und Aufrufen an das Publikum.[91] Darin wendet man sich u. a. gegen den rüden, taktlosen Ton der Xenien mit ihren wenig verhüllten Invektiven,[92] gegen das klassische Kunstprogramm und einzelne Werke,[93] gegen den als nackten Opportunismus empfundenen Goethe- und Wilhelm Meister-Kult des Schlegel-Kreises, und wie ihn sich Goethe gefallen läßt.[94] Vor allem aber nimmt man die Allianz Goethe-Schiller aufs Korn:

Selbstbetrachtungen der Xenien-Dichter bey den Schriften iiber die Xenien, oder Schiller an Goethe

Schau doch, Goethe, wie groß wir sind; ganz Deutschland ist rege
wegen der Xenien: freu', Bruder, dich unsres Triumpfs.

Antwort einer Stimme aus dem Publikum auf die Selbstbetrachtung

Wenn zwey tobende Brüder die schallenden Straßen durchtaumeln
Rufen wir alle: "o schweigt, schweiget!" zum Fenster hinaus.[95]

G** und S* im poetischen Bunde

Seht! zwei Bullen ziehen vereint den lastenden Pflug fort,
Und die Nachbarn am Weg stößt ihr gewaltiges Horn.[96]

Rezension in Distichen

Diese Xenien sind die Kinder der heimlichen Ehe
Aber mit Herkules' Kraft und con amore gezeugt.
[...] [97]

Daß man den so verschiedenen sozialen Hintergrund und den unterschiedlichen Status der beiden hervorhebt und - vor allem Schiller gegenüber - z. T. recht hämisch ausspielt, deutet darauf hin, daß die Verbindung zwischen Goethe und Schiller unter den Zeitgenossen noch keineswegs als selbstloser, inniger Freundschaftsbund unter Gleichgestellten betrachtet wurde. So heißt es bei Matthias Claudius:

    Der Widder
    Ich Widder, der sentimentale,
    Esse mein Futter an der Saale.
    Ich mache so Drama und Gedicht;
    Und meine Hörner gehören mir fast nicht.

    Der Stier
    Ich der reale Stier an der Ilm
    Bin viel ein ärgerer Schelm.
    Meine Hörner und Knochen sind voll,
    Und ich befinde mich recht wohl.[98]

Und Joh. Kaspar Friedr. Manso und Joh. Gottfr. Dyck schreiben:

    Poetische Einbildung
    Weil ihn Göthe besucht, so dünkt er sich Göthe der zweyte,
    Schiller der erste, mein Freund, bist du und bleibst es gewiß.[99]

Auch wenn so gelegentlich auf die Ungleichheit des Paares hingewiesen wird, ein Paar bleibt es dennoch. Durch das Xenienmanöver hatte sich also eine eindeutige Gruppenidentität des Dichterpaars Schiller-Goethe herausgebildet. Damit war aber ihre Position im sozioliterarischen System definiert und mithin einigermaßen stabilisiert.

Das Horen-Unternehmen und der Xenienkampf bilden jedoch nur die gleichsam äußere Seite eines Stabilisierungsvorgangs; sie sind ein gruppendynamischer Prozeß, in dem Schiller und Goethe eine Wir-Identität aus der Dissoziierung von andern Gruppen aufbauen, ein Prozeß, der für die Konstituierung der Freundschaftsbeziehung wesentlich ist. Ist es doch kein Kleines, wenn Schiller Goethe berichten kann, man habe sein eigenes Gedicht Die Teilung der Erde für Goethes gehalten und Goethes Aufsatz Literariscber Sansculottismus ihm zugeschrieben.[100] Und Goethe ist es "sehr angenehm, daß man uns in unsern Arbeiten verwechselt"; "es zeigt, daß wir immer mehr die Manier loswerden und ins allgemeine Gute übergehen. Und dann ist zu bedenken, daß wir eine schöne Breite einnehmen können, wenn wir mit Einer Hand zusammenhalten und mit der andern so weit ausreichen, als die Natur uns erlaubt hat."[101]

Die Deutung, welche Goethe der Verwechslung ihrer beider Arbeiten gibt, weist darauf hin, daß mit dem gruppendynamischen Prozeß ein rollendynamischer Vorgang gleichsam nach innen, eng verschränkt ist, in dem die beiden Schriftstellerpersönlichkeiten gruppenintern zu der Wir-Identität geführt werden, die ihrer Dichterfreundschaft den ihr eigenen Charakter und ihren Rollen ein je eigenes spezifisches Profil verleiht. Mit dem Loswerden der "Manier" und dem übergehen "ins allgemeine Gute" spricht Goethe einen Prozeß an, der im Zentrum ihrer Bemühungen um einen klassischen Stil steht und den Schiller schon in der Rezension Über Bürgers Gedichte von 1791 in aller Schärfe formuliert hatte. Dort nennt Schiller als Grundgegebenheiten des künstlerischen Schaffens in moderner Zeit auf der Seite des Künstlers seinen Subjektivismus: "Alles, was der Dichter uns geben kann, ist seine Individualität",[102] auf der Seite der Gesellschaft ihre Heterogenität als Folge eines differenzierten Klassensystems: "Unsere Welt ist die homerische nicht mehr, wo alle Glieder der Gesellschaft im Empfinden und Meinen ungefähr dieselbe Stufe einnahmen [...]."[103] Das vermittlungslose Nebeneinander eines schlechten, d. h. unrepräsentativen Allgemeinen, dem es an Totalität mangelt, und einer subjektiven Kreativität, der es an universeller Verbindlichkeit fehlt, kann von des Künstlers Seite her nur dadurch vermindert werden, daß er seine Individualität "veredelt", zur "Menschheit hinaufläutert",[104] daß er "das Individuelle und Lokale zum Allgemeinen",[105] die "selbsteigene Person" zum Repräsentanten der "Gattung"[106] erhebt. "Alles, wozu Erfahrungen, Aufschlüsse, Fertigkeiten gehören, die man nur in positiven und künstlichen Verhältnissen erlangt, müßte er sich sorgfältig untersagen [...]"[107] wenn ihm daran liegt, "die höchste Krone der Klassizität zu erringen".[108] Den gleichen Wandlungsprozeß als Voraussetzung einer klassischen Literatur hat auch Goethe im Sinn, wenn er vom "Loswerden der Manier" und dem "Übergehen ins allgemeine Gute" spricht, denn auch für ihn gehören "alle neuern Künstler in die Klasse des Unvollkommenen [...]", sind sie "außerordentliche Menschen in ihrer Beschränktheit";[109] "wir armen Künstler dieser letzten Zeiten", die "an der Wahl des Gegenstandes" [eines "bedeutenden", repräsentativen, "typischen"; der Verf.] leiden.[110]

Dieser empirischen Wirklichkeit des Schriftstellers, seiner Unvollkommenheit, seiner Beschränktheit, seinem Leiden an der Dürftigkeit der Stoffe in einer durch und durch prosaischen Welt steht nun aber der Anspruch und die Forderung gegenüber, daß "der Dichter der einzige wahre Mensch"[111] sei, daß "die Dichter überall schon, ihrem Begriffe nach, die Bewahrer der Natur[112] zu sein hätten, und daß es der Begriff der Poesie sei, "[...] der Menschheit ihren möglichst vollständigen Ausdruck zu geben".[113] Der sozialen Wirklichkeit eines beschränkten Daseins in dürftiger Umwelt steht die anspruchsvolle Erwartungsnorm eines klassischen Künstlertums gegenüber, die vom Schriftsteller Totalität und universelle Repräsentativität fordert. Die Erfüllung dieser Norm des Übergehens der individuellen Schriftstellerpersönlichkeit in eine allgemein repräsentative Gestalt kann aber nicht über den Weg in die Gesellschaft oder Teile von ihr geschehen, - etwa durch Volkstümlichkeit der Darstellung oder der Stoffwahl - da diese als Ganzes nur abstrakt und in ihren Teilen nicht repräsentativ erscheint.[114] Hingegen scheint von der Dichterfreundschaft eine Wirkung in dieser Richtung auszugehen, wenn sie dazu führt, "daß wir" - wie Goethe sagt - "immer mehr die Manier loswerden und ins allgemeine Gute übergehen". Es gilt daher, diesen gruppeninternen Vorgang noch etwas näher zu verfolgen.

Die Auseinandersetzung zwischen Goethe und Schiller über die Urpflanze als Idee oder Erfahrung ist bekannt. In diesem Streit, der sozusagen den Kristallisationskern ihrer Freundschaft bildet, geht es jedoch nicht nur um ein erkenntnistheoretisches Problem, sondern darin kommen ihre ganz spezifischen Weisen der Einstellung zur Umwelt und des Verhaltens dieser Umwelt gegenüber, kommt also - negativ ausgedrückt - die spezifische und typische Beschränktheit ihrer individuellen Persönlichkeit, d. h. ihre "Manier" zum Ausdruck. Einige Wochen nach dieser Auseinandersetzung versucht Schiller im berühmten Geburtstagsbrief an Goethe vom 23. August, sich zu einem Typisierungsschema vorzutasten, in dem diese Unterschiede noch schärfer gefaßt werden, bis sie sich polar differenzieren, damit aber auch komplementär ergänzen. Er spricht da vom "spekulativen" und vom "intuitiven Geist", vom erstern, der die "Erfahrung" als das ihm Mangelnde, vom zweiten, der "das Gesetz" suche, und die deshalb "einander auf halbem Wege begegnen" müßten.[115] Nachdem Goethe positiv auf dieses Verfahren einer komplementären Typisierung aus einer Mangelsituation heraus reagierte, entwickelt sie Schiller schon am 31. August weiter zu einer Typologie des Schriftstellers, die sich mit einer schon seit 1793 kontemplierten Theorie über das Naive berührt und schließlich in den bekannten Aufsatz (Über naive und sentimentalische Dichtung einmündet.

Die Typologie des Naiven und Sentimentalischen, des Realisten und des Idealisten, ist nicht denkbar ohne die Begegnung mit Goethe, andererseits ist diese Typologie ihrerseits leitend für das Handeln und Verhalten der Freunde in ihrer wechselseitigen Beziehung. Indem Schiller seine eigene und Goethes Schriftstellerpersönlichkeit typologisiert, vollzieht er eine Abstraktion, eine Abstraktion jedoch, die den "abstrahierenden Realitätsebenen des Handelns" im Sinne von Heinrich Popitz entspricht, welche das soziale Rollenhandeln konstituieren.[116] Hinter den Begriffen des naiven und sentimentalischen Dichters verbergen sich also zwei differenzierte Typen des schriftstellerischen Rollenverhaltens. Auch auf die Erweiterung des ursprünglich persönlichen Typisierungsschemas zu den Grundkategorien des Naiven und Sentimentalischen antwortet Goethe gleich nach Erhalt des Aufsatzes in anerkennendem Sinne:

    Da diese Theorie mich so gut behandelt, so ist nichts natürlicher, als daß ich den Prinzipien Beifall gebe und daß mir die Folgerungen richtig scheinen. [ ... ] Nach Ihrer Lehre kann ich erst selbst mit mir einig werden, da ich das nicht mehr zu schelten brauche, was ein unwiderstehlicher Trieb mich doch, unter gewissen Bedingungen, hervorzubringen nötigte, und es ist eine sehr angenehme Empfindung, mit sich selbst und seinen Zeitgenossen nicht ganz unzufrieden zu sein . [117]

Und vierzehn Tage später hebt er noch speziell die günstigen Auswirkungen des Aufsatzes auf ihre Freundschaft hervor: "Ich habe ihre Prinzipien und Deduktionen desto lieber, da sie mir unser Verhältnis sichern und mir eine wachsende Übereinstimmung versprechen.[118] Damit anerkennt Goethe offensichtlich die Kategorien auch als rollenmäßige Leitkategorien und Orientierungshilfen für das freundschaftliche Verhältnis.

Schillers allgemeine Differenzierung der beiden Schriftstellertypen muß daher in ihren literatursoziologischen Implikationen für die spezifische Rollendifferenzierung innerhalb der Dichterfreundschaft analysiert werden. Seine allgemeinen Bestimmungen lauten:

    Dem naiven Dichter hat die Natur die Gunst erzeigt, immer als eine ungeteilte Einheit zu wirken, in jedem Moment ein selbständiges und vollendetes Ganze zu sein und die Menschheit, ihrem vollen Gehalt nach, in der Wirklichkeit darzustellen. Dem sentimentalischen hat sie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen Trieb eingeprägt, jene Einheit, die durch Abstraktion in ihm aufgehoben worden, aus sich selbst wiederherzustellen, die Menschheit in sich vollständig zu machen und aus einem beschränkten Zustande zu einem unendlichen überzugehen.[119]

Der naive Dichter ist der in seine Umwelt völlig integrierte, mit ihr verwachsene Mensch, der gleichsam 'naturgesetzlich' handelt, d. h. dessen subjektives Handeln mit den objektiven Gesetzen seiner Umwelt in Einklang steht, der - in andern Worten - die Normen und Regeln der gesellschaftlichen Umwelt in sich selbst trägt, resp. internalisiert hat. Da auch die verschiedenen Bereiche seines Seins und Handelns miteinander und mit der Umwelt in Einklang stehen, kennt er weder Konflikte zwischen persönlichem Bedürfnis und äußerer, gesellschaftlicher Notwendigkeit, noch gerät er in Rollenkonflikte. Der sentimentalische Dichter ist im Gegensatz dazu der nicht-integrierte Mensch, dessen subjektive Bedürfnisse und Antriebe zum Handeln in Widerspruch zu den Normen und Gesetzen der ihn umgebenden Umwelt bestehen, der die Leitbilder eines Handelns im Einklang mit der Umwelt nicht aus dieser Umwelt empfangen kann, sondern aus eigenen Leistungen aufbauen muß.[120] Nun erscheint ja Goethe, der "naive" Dichter und "Realist", bei einigermaßen oberflächlichem Hinsehen tatsächlich als der sozial völlig adaptierte und integrierte Mensch, der in Einklang mit seiner Gesellschaft lebt, hohes Ansehen als Dichter genießt, mit den Mächtigen auf vertrautem Fuß steht, der selbst vorübergehend aktiv politisch tätig war als Wirklicher Geheimer Rat und Mitglied des Geheimen Consiliums, ehemaliger Kriegsminister und Minister für Forst-, Bergbau- und Straßenwesen, Theaterdirektor und dazu in den Wissenschaften versiert und tätig: Ein universaler Repräsentant der Gesellschaft, der noch das Ganze der Menschheit zu seiner Zeit in seiner Persönlichkeit umgreift.

Jeder mit der Biographie Goethes Vertraute weiß aber, daß diese durchaus vorhandene glanzvolle Wirklichkeit auch eine Kehrseite hat. Völlige Integriertheit in ein System, das selbst widerspruchsvoll, heterogen und zerrissen ist, wie dies auf die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts zutrifft, kann nicht ohne Folgen für den voll Adaptierten und Assimilierten bleiben. Integration in eine heterogene soziale Struktur fordert ihren Tribut von der Persönlichkeitsstruktur.

Goethe selbst ist sich dessen bewußt, wenn er sagt: "Eine bedeutende Schrift ist, wie eine bedeutende Rede, nur Folge des Lebens; der Schriftsteller so wenig als der handelnde Mensch bildet die Umstände, unter denen er geboren wird und unter denen er wirkt. Jeder, auch das größte Genie, leidet von seinem Jahrhundert in einigen Stücken, wie er von andern Vorteil zieht [...]."[121] Noch klarer tritt es in den Briefen Goethes an Schiller zutage. Schon in der Antwort auf Schillers Geburtstagsbrief spricht er von einer "Art Dunkelheit und Zaudern" in seinem eigenen Wesen, "über die ich nicht Herr werden kann, wenn ich mich ihrer gleich sehr deutlich bewußt bin".[122] Mögliche Konflikte zwischen seiner Schriftstellertätigkeit und seinen andern sozialen Rollen, d.h. sog. "Interrollenkonflikte", deuten sich an, wenn er um anonymes Erscheinen seiner Beiträge in den Horen bittet: "[...] dadurch wird mir ganz allein möglich, mit Freiheit und Laune, bei meinen übrigen Verhältnissen, an ihrem Journale teilnehmen zu können."[123] Immer wiederkehrend sind die Klagen über die gesellschaftlichen Verpflichtungen, die ihn von der eigentlichen Arbeit ablenken und "zerstreuen". Und in dieser Hinsicht setzt sich fast so etwas wie eine fixe Verhaltensstereotypie zwischen den beiden Freunden fest: Klagt Goethe über Zerstreuungen durch seine vielfältigen gesellschaftlichen Engagements, so antwortet Schiller mit der Gegenklage seiner Isoliertheit. Als Beispiel die Briefe vom 23. und 24. Januar 1796: Goethe schreibt: "Die nächsten acht Tage werde ich ein sehr buntes Leben führen. Heute kommt die Darmstädter Herrschaft, morgen ist Cour, Diné, Konzert, Soupé und Redoute. Montag Don Juan. Die übrige Woche geht auf Proben hin [...]."[124] Schiller repliziert: "Für einen Schriftsteller, der mit der Katastrophe eines Romans, mit 1000 Epigrammen und zwei weitläuftigen Erzählungen aus Italien und China beschäftigt ist, haben Sie diese nächsten 10 Tage ganz leidlich Zerstreuungen. Aber was Ihnen die Zeit nimmt, gibt [sie] Ihnen dafür wieder an Stoff, und am Ende sind Sie weiter gekommen als ich, der seine Gegenstände aus den Nägeln saugen muß."[125] Im Brief vom 7. Dezember 1798, im dritten Jahr ihrer Freundschaft, stellt es Schiller selbst als typisches Verhaltensmuster fest: "Wir leben jetzt wieder in sehr entgegengesetzten Zuständen, Sie unter lauter Zerstreuungen, die Ihnen keine Sammlung des Gemüts erlauben, und ich in einer Abgeschiedenheit und Einförmigkeit, die mich nach Zerstreuung seufzen macht, um den Geist wieder aufzufrischen. [...] Ich weiß Ihnen heute nicht zu sagen, was Sie interessieren könnte, denn ich bin nicht aus meiner Arbeit gekommen und habe von außen nichts in Erfahrung gebracht."[126] Dafür seufzt Goethe: "Ich muß aber meine alte Litanei wieder anstimmen und melden, daß ich hier noch nicht loskomme. Die Geschäfte sind polypenartig, wenn man sie in hundert Stücke zerschneidet, so wird jedes einzelne wieder lebendig [...] die Mauer, die ich schon um meine Existenz gezogen habe, soll nun noch ein paar Schuhe höher aufgeführt werden."[127]

Als roter Faden durchzieht die Klage über "Zerstreuungen" die Briefe Goethes. Diese Zerstreuungen sind die Folge und zugleich die düstere Gegenseite hoher sozialer Integriertheit in der Gesellschaft. Sie sind Goethes "Leiden an der Gesellschaft",[128] der drohende Verlust der persönlichen Integrität unter dem Druck von zu starken und von einander widerstreitenden Außenbestimmungen. Die "Zerstreuungen" bedeuten die gesellschaftlichen Verpflichtungen und Zwänge, die derart engmaschig sind, daß sie es nicht mehr gestatten, Distanz zwischen sich selbst und dem normierten sozialen Rollenspiel zu schaffen, womit man sich seiner selbst als ganzer Person gewiß wird. Dreitzel nennt diesen Zustand in seinen Vorstudien zu einer Pathologie des Rollenverhaltens im Anschluß an Marx "Selbstentfremdung".[129]

Goethe bestätigt diese Diagnose, wenn er von "einem gewissen realistischen Tic" spricht, "durch den ich meine Existenz, meine Handlungen, meine Schriften den Menschen aus den Augen zu rücken behaglich finde. So werde ich immer gerne incognito reisen, das geringere Kleid vor dem bessern wählen, und, in der Unterredung mit Fremden oder Halbbekannten, den unbedeutendern Gegenstand oder doch den weniger bedeutenden Ausdruck vorziehen, mich leichtsinniger betragen als ich bin, und mich so, ich möchte sagen, zwischen mich selbst und zwischen meine eigne Erscheinung stellen" [kursiv vom Verf.].[130] Selbst Goethe beobachtet es als ein fast zwanghaftes Verhalten, einen Tic: dieses Bedürfnis, Distanz zwischen sich selbst und seiner gesellschaftlichen Erscheinung, zwischen seiner Person und seinem sozialen Rollenhaushalt zu schaffen, ein deutliches Symptom für die Diagnose imminenter Selbstentfremdung wegen zu starkem Außendruck. Und noch deutlicher kommt es in einer andern Briefstelle zum Ausdruck, wo die Dialektik der Entfremdung in prägnantester Weise formuliert wird: "Verhältnisse nach außen machen unsere Existenz und rauben sie zugleich, und doch muß man sehen, wie man so durchkommt, denn sich, wie Wieland getan hat, gänzlich zu isolieren, ist auch nicht ratsam."[131] Trotzdem wünscht er gelegentlich: "Eigentlich sollte man mit uns Poeten verfahren wie die Herzoge von Sachsen mit Luthern, uns auf der Straße wegnehmen und auf ein Bergschloß sperren. Ich wünschte, man machte diese Operation gleich mit mir [...]."[132]

Auf ein Bergschloß gesperrt zu werden, ist nun gerade das nicht, was Schiller, der sentimentalische Dichter,[133] braucht, der fast ebenso oft wie Goethe über zu hohen Außendruck seinerseits über zu geringe Außenbestimmung klagt: "Leider werden wir Neuern wohl auch gelegentlich als Dichter geboren, und wir plagen uns in der ganzen Gattung ohne recht zu wissen, woran wir eigentlich sind, denn die spezifischen Bestimmungen sollten, wenn ich nicht irre, eigentlich von außen kommen und die Gelegenheit das Talent determinieren."[134] Ein Sachverhalt, den Schiller zwar allgemein formuliert, der aber unter den gegebenen Lebensumständen vor allem auf ihn selbst zutrifft. Alle Begabung vorausgesetzt, benötigt der Dichter doch ebenso wie jeder andere tätige Mensch einen äußern Bestimmungsrahmen, ein normatives Bezugsgefüge, in dem er seine künstlerische Tätigkeit entfalten kann. Fehlt ein solcher Bezugsrahmen, oder bestehen mehrere einander widersprechende normative Gefüge, so ist der Handelnde gezwungen, einen solchen aus eigenen Leistungen aufzubauen und zu strukturieren. Genau dieser Situation sieht sich Schiller gegenüber:

    Bei der Anarchie, welche noch immer in der poetischen Kritik herrscht, und bei dem gänzlichen Mangel objektiver Geschmacksgesetze befindet sich der Kunstrichter immer in großer Verlegenheit, wenn er seine Behauptung durch Gründe unterstützen will; denn kein Gesetzbuch ist da, worauf er sich berufen könnte. Will er ehrlich sein, so muß er entweder gar schweigen oder er muß zugleich der Gesetzgeber und der Richter sein.[135]

Was Schiller hier in bezug auf die Kritikerrolle sagt, gilt mutatis mutandis ebenso für den Schriftsteller. Muß aber der Handelnde den Rahmen für sein eigenes Handeln selbst aufbauen, so führt auch dies zu einer Überforderung und Überlastung, nicht des Rollenhaushalts wie bei Goethe, sondern der persönlichen Ich-Leistungen. Sind die Normen des sozialen Handelns "so vage und verschwommen, daß die Eigenleistungen beim Rollenspiel überfordert werden", so entsteht "[...] gewissermaßen ein normatives Vakuum, in welchem die Verhaltenssicherheit gefährdet ist: die Orientierung an der sinnhaften Intentionalität einer Rolle geht verloren, und es kommt wiederum zu Störungen des Rollenverhaltens."[136] Die Folge davon ist "jener Zustand der Orientierungslosigkeit", den Dreitzel im Anschluß an Durkheim mit dem Begriff der "Anomie" bezeichnet. Selbstentfremdung und Anomie als Ausdruck und Folge von Normendruck und Normenschwäche gehören zusammen als komplementäre Defizienzformen des sozialen Normensystems: Beide rollenpathologischen Erscheinungsformen stehen in engem Zusammenhang mit der "heterogenen, inkompletten Sozialstruktur", in der sich der Schriftsteller des ausgehenden 18. Jahrhunderts in der bürgerlichen Gesellschaft vorfindet. Selbstentfremdung: das Los jenes Schriftstellers, der zwar in seine Umwelt integriert ist, aber in der komplex differenzierten Sozialstruktur, die sich auf Individualebene in einer Mehrzahl divergierender Teilrollen manifestiert, den kreativen Kern seines Selbst zu verlieren droht. Anomie: das Los jenes Schriftstellers, der als 'marginal man' zwar Freiheit genießt, aber dafür völlig auf seine Originalität verwiesen bleibt, weil er in der heterogenen Sozialstruktur keine einheitlichen Erwartungsnormen als Orientierungshilfen für sein Handeln findet.

Im Kontext des gruppeninternen Rollenspiels, das sich zwischen Goethe und Schiller entwickelt und in ihrem Briefwechsel beredten Ausdruck findet, erscheinen die beiden Schriftsteller nicht allein unter der Typologie des Naiven und Sentimentalischen als genuinen dichterischen Schaffensweisen, sondern zugleich unter den dazugehörigen Defizienzformen sozialer Anomie und drohender Selbstentfremdung, unter dem also, was die Beschränkung und Bedürftigkeit des naiven und sentimentalischen Charakters in der Lebenswirklichkeit ausmacht. Dazu Schiller:

    Denn endlich müssen wir es doch gestehen, daß weder der naive noch der sentimentalische Charakter, für sich allein betrachtet, das Ideal schöner Menschlichkeit ganz erschöpfen, das nur aus der innigen Verbindung beider hervorgehen kann. Zwar solange man beide Charaktere bis zum dichterischen exaltiert, [...] verliert sich vieles von den ihnen adhärierenden Schranken, und auch ihr Gegensatz wird immer weniger merklich, in einem je höhern Grade sie poetisch werden; denn die poetische Stimmung ist ein selbständiges Ganze, in welchem alle Unterschiede und alle Mängel verschwinden. Aber eben darum, weil es nur der Begriff des Poetischen ist, in welchem beide Empfindungsarten zusammentreffen können, so wird ihre gegenseitige Verschiedenheit und Bedürftigkeit in demselben Grade merklicher, als sie den poetischen Charakter ablegen; und dies ist der Fall im gemeinen Leben.[137]

Der naive und der sentimentalische Schriftsteller sind nicht in sich abgeschlossene, 'runde' Künstlertypen, sondern im Rahmen des gesellschaftlichen Differenzierungsprozesses hervorgebrachte Teilexistenzen. Zwar geht die Fragmentierung ihrer Existenz nicht so weit wie jene bürgerlicher Existenzformen, da sie durch das Medium der Poesie über die Prosa funktional ausdifferenzierter Lebenswirklichkeit hinausgehoben werden, doch keineswegs bis zu dem Punkt, wo sich die Beschränktheit einer rollentypologischen - d.h. gesellschaftlich determinierten - Ausdifferenzierung verlöre. Dieser Punkt kann erst in einem überindividuellen Zusammenschluß, in einer "innigen Verbindung" des naiven und des sentimentalischen Schaffenstypus erreicht werden, in der "jeder den andern vor seinem Extreme bewahrte [...] ".[138] Als hypothetische Forderung formuliert es Schiller so im Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung, berührt sich aber damit fast wörtlich mit jenem Grundsatz aus Goethes "Freundschaftscharta" (s. S. 40), "[...] da wir [...] einer dem andern nachzuhelfen und ihn zu warnen denkt, wenn er, wie es nur leider gewöhnlich geschieht, zu einseitig werden sollte [...]".[139] Und dieses Bewahren vor dem Extrem der je eigenen Manier durch die Freundschaftsverbindung wird denn im brieflichen Umgang auch immer wieder dankbar erwähnt. So von Goethe: "Auch nun schützt mich Ihre warnende Freundschaft vor ein paar in die Augen fallenden Mängeln [...]"[140] - "Ich bin Ihnen [...] auch dafür den lebhaftesten Dank schuldig, daß Sie, noch zur rechten Zeit, auf so entschiedene Art diese perverse Manier zur Sprache bringen, und ich werde gewiß, in so fern es mir möglich ist, Ihren gerechten Wünschen entgegen gehn."[141] Und ebenso von Schiller: "[...] ich empfinde es ganz erstaunlich, was Ihr näheres Einwirken auf mich in mir verändert hat, und obgleich an der Art und an dem Vermögen selbst nichts anders gemacht werden kann, so ist doch eine große Läuterung mit mir vorgegangen."[142]

Es ist gewiß kein Zufall, daß hier der Begriff der 'Läuterung' fällt, jener Begriff also, den Schiller in der Rezension von Bürgers Gedichten zur Kennzeichnung des Wandlungsprozesses von der individual-partikularistischen Schriftstellerexistenz zur allgemein verbindlichen, universal-repräsentativen Dichterrolle im Sinne eines klassischen Künstlertums braucht (s. S. 56). Den selben Läuterungsprozeß beschreibt Schiller auf sie beide bezogen im Brief vom 21. Juli 1797:

    Ich kann nie von Ihnen gehen, ohne daß etwas in mir gepflanzt worden wäre, und es freut mich, wenn ich für das viele, was Sie mir geben, Sie und Ihren innern Reichtum in Bewegung setzen kann. Ein solches auf wechselseitige Perfektibilität gebautes Verhältnis muß immer frisch und lebendig bleiben und gerade desto mehr an Mannigfaltigkeit gewinnen, je harmonischer es wird und je mehr die Entgegensetzung sich verliert, welche bei so vielen andern allein die Einförmigkeit verhindert .[143]

Im Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung stellt Schiller in kühnem Gesellschaftsentwurf das Postulat einer ganzen sozialen Klasse auf - "[...] einer Volksklasse (die ich aber hier bloß als Idee aufstelle und keineswegs als Faktum bezeichnet haben will)",[144] wie er vorsichtig bemerkt -, deren Mitglieder die Spaltung in naive und sentimentalische Charaktere zu überwinden vermöchten. Es müßte dies eine "Klasse von Menschen" sein, "welche, ohne zu arbeiten, tätig ist und idealisieren kann, ohne zu schwärmen; welche alle Realitäten des Lebens mit den wenigstmöglichen Schranken desselben in sich vereiniget und vom Strome der Begebenheiten getragen wird, ohne der Raub derselben zu werden".[145] Sehr verhüllt deutet er an, daß der Adel über die äußern Lebensbedingungen verfügen möchte, die ihm die Leistung dieser sozialen Aufgabe ermöglichen würden. In ähnlich kühner Sozialutopie hatte er in den Briefen Über die ästhetische Erziehung des Menschen von einem "Staat des schönen Seins" gesprochen,[146] in dem das Individuum "als Repräsentant der Gattung"[147] lebte, dann aber sogleich die Radikalität eines die ganze Gesellschaft umgreifenden Entwurfs auf die Realisationsmöglichkeit "in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln"[148] zurückgesteckt. Im Aufsatz Über naive und sentimentalische Dichtung unterläßt er es, nach dem utopischen Konstrukt einer ganzen "Volksklasse" eine approximative Verwirklichung der Synthese zwischen dem naiven und sentimentalischen Charakter in einer kleinern Sozialeinheit (parallel den "auserlesenen Zirkeln") auch nur anzudeuten. Mag dies sein, weil er hier seinen eigenen Namen und den Goethes hätte erwähnen, weil er von ihrer Freundschaft hätte sprechen müssen?

Über so manches, worüber ich mit mir selbst nicht recht einig werden konnte, hat die Anschauung Ihres Geistes (denn so muß ich den Total-Eindruck Ihrer Ideen auf mich nennen) ein unerwartetes Licht in mir angesteckt. Mir fehlte das Objekt, der Körper, zu mehreren spekulativischen Ideen, und Sie brachten mich auf die Spur davon."[149] So schreibt Schiller an Goethe. Schiller macht sich ein Bild von Goethe, das idealtypologische Bild vom "naiven" Dichter, der ganz "Natur ist". Gleiches gilt von Goethe, auch wenn er es nicht ebenso explizit ausdrückt: "Wenn ich Ihnen zum Repräsentanten mancher Objekte diente, so haben Sie mich von der allzu strengen Beobachtung der äußern Dinge und ihrer Verhältnisse auf mich selbst zurückgeführt, Sie haben mich die Vielseitigkeit des innern Menschen mit mehr Billigkeit anzuschauen gelehrt."[150] Aus der Anschauung des "sentimentalischen" Schiller gewinnt Goethe die Wertschätzung für das idealtypologische Bild des innerlichen, von Ideen geleiteten Dichters, der die "Natur sucht". Ihre Freundschaft gründet ganz im Sinne Tenbrucks also darauf, daß "ein jeder sich stets ein Bild von dem andern macht und mit diesem Bild lebt und zugleich sich dessen bewußt ist, daß auch der andere mit einem solchen Bild von ihm selbst lebt".[151]

Im gegenseitigen Bezug aufeinander, im idealtypologischen Bild des andern, finden die beiden Freunde die Orientierungshilfen für ihr beiderseitiges Rollenhandeln: Der im realen Schriftstellerdasein durch Anomie gefährdete Schiller im idealisiert "naiven" Goethe den vollintegrierten, der von Selbstentfremdung bedrohte Goethe im idealisiert "sentimentalischen" Schiller den innengeleiteten, von Rollenzwängen befreiten Menschen. Durch einen solchen gegenseitigen Bezug aufeinander gelingt nun einerseits - Tenbruck folgend - die "Stabilisierung" des Daseins in einer sozial heterogenen Welt",[152] andererseits kommen die beiden durch die Komplementarität des Projektionsbildes zusammen dem näher, was sie beide suchen, dem klassischen Dichter als einer ganzen, Totalität repräsentierenden Existenz, dem Dichter also, von dem Schiller sagt, er sei "der einzige wahre Mensch".[153]

In diesem Sinne zeugt ihre Freundschaft nicht nur von Persönlich-Individuellem, von privater Zuneigung, Verbundenheit, vielleicht gar Liebe; sie zeugt ebenso unübersehbar vom Kampf um einen Wirkungsraum für eine allgemein verbindliche literarische Tätigkeit gegen die Ungunst der realen Verhältnisse und ist auf diese Weise paradigmatisch für die Stellung des Schriftstellers im Übergang zur modernen Gesellschaft.


Summary

Friendship, especially between outstanding characters, is usually considered to be an expression of individuality unaffected by such motives as are grounded in social life. In this article, however, an attempt is made to characterize the phenomenon of a friendship between poets by viewing its inner structure as determined by its social function. Leopold von Wiese's, Georg Simmel's and Friedrich Tenbruck's ideas of a sociology of friendship are taken as a starting point. – The friendship between Schiller and Goethe proves to be especially illuminating, because in it philosophical reflection and theoretical insight on the one hand, action and social behaviour on the other hand are joined, forming – in a given situation – a paradigm of socio-literary interaction. The main functions of the friendship-paradigm are as follows: Within the framework of a heterogeneous literary system it renders some stability, and it organizes the group through differentiation of complementary roles. Anfang


Résumé

Les amitiés - en particulier celles qui unissent des êtres d'élite - sont généralement considérées comme manifestations d'individualités, au-delà du conditionnement social. A l'inverse de cette opinion, l'auteur tente d'examiner ici, à partir des éléments d'une sociologie de l'amitié dégagés par Leopold von Wiese, Georg Simmel et Friedrich Tenbruck, la forme spécifique de l'amitié entre écrivains, considérée dans sa fonction sociale et dans la structure interne qui en ressort. L'amitié de Schiller et Goethe se révèle particulièrernent éclairante à cet égard, parce qu'elle réunit, en un modèle-type de l'interaction socio-littéraire dans une situation donnée, d' une part la réflexion philosophique et la pénétration intellectuelle, d'autre part l'action pratique et le comportement social. La fonction stabilisante dans le cadre d'un système littéraire hetérogène est l'une des caractéristiques de ce type d'amitié, du même que son action structurante à l'intérieur du groupe, visant à la différentiation des rôles complémentaires. Anfang


Prof. Dr. Michael Böhler
Deutsches Seminar der
Universität Zürich
Schönberggasse 9
CH-8001 Zürich

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Erstpublikation: IASL 5 (1980), S.33-67. Der Beitrag wurde eingescannt und redigiert.

Der Aufsatz Geteilte Autorschaft: Goethe und Schiller. Visionen des Dichters, Realitäten des Schreibens arbeitet unter Rückgriff auf Bourdieu weitere Aspekte des Themas heraus.




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Anmerkungen

[1] Emil Staiger: Goethe. Zürich: Atlantis 1956, Bd. 2, S. 175.

[2] J. W. Goethes Werke. Hg. v. Erich Trunz. Hamburg: Wegener 1967, Bd. 12, S. 241f.

[3] Wilhelm von Humboldt: Gesammelte Schriften. Hg. v. Albert Leitzmann, Berlin: B. Behrs Vlg. 1907, Bd. 6/11, S. 523.

[4] Thomas Mann: Die unsterbliche Freundschaft. In: Akzente 2 (1955), S. 203.

[5] Ebd. S. 205.

[6] Hermann Hettner: Geschichte der deutschen Literatur im 18. Jahrhundert. Goethe und Schiller. Separatdruck, Braunschweig 1876, Bd. III, S. 192.

[7] Ebd. S. 212.

[8] Ebd. S. 193.

[9] Die Klassik-Legende. Second Wisconsin Workshop. Hg. v. Reinhold Grimm und Jost Hermand. Frankfurt: Athenäum 1971, S. 8f.

[10] Friedrich W. Wentzlaff-Eggebert: Schillers Weg zu Goethe. Berlin: Gruyter 1963, S. 3.

[11] Ebd. S. 278.

[12] Hans Pyritz: Der Bund zwischen Goethe und Schiller. In: Begriffsbestimmung der Klassik und des Klassischen. Hg. v. Heinz O. Burger. Darmstadt: Wiss. Buchgesellsch. 1972, S. 313.

[13] Ebd. S. 314.

[14] Georg Lukacs: Goethe und seine Zeit. Bern: Francke 1947, S. 52.

[15] Emil Staiger: Fruchtbare Mißverständnisse Goethes und Schillers. In: Goethe und seine großen Zeitgenossen. Hg. v. A. Schaefer. München: Beck 1968, S. 29-52.

[16] Benno von Wiese: Goethe und Schiller im wechselseitigen Vor-Urteil. In: Von Lessing bis Goethe. Düsseldorf: Bagel 1968.

[17] Staiger: Mißverständnisse, S. 52.

[18] v. Wiese: Goethe und Sdliller, S. 137.

[19] Robert Escarpit: The Sociology of Literature. In: International Encyclopedia of the Social Sciences. Ed. David L. Sills. New York: McMillan & Free Press 1968, vol. 9, P. 417: "To the cultured mind the study of the writer as a professional man, of the literary work as a means of communication, and of the reader as a consumer of cultural goods is vaguely sacrilegious."

[20] Goethes Werke. Hg. v. Erich Trunz. Hamburg: Wegener 1967, Bd. 10, S. 540.

[21] Michael Argyle: Soziale Interaktion. 3. Aufl. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1975, S. 206-210.

[22] Leopold von Wiese: Allgemeine Soziologie. Teil II: Gebildelehre. München. Duncker & Humblot 1929, S. 147. - Ernst M. Wallner: Soziologie. 2. Aufl. Heidelberg: Quelle & Meyer 1972, S. 102f.

[23] Friedrich H. Tenbruck: Freundschaft. Ein Beitrag zu einer Soziologie der persönlichen Beziehungen. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 16 (1964), S. 431.

[24] Ebd. S. 434.

[25] Ebd. S. 432-434. Vgl. auch: Internat. Encyclop. of the Social Sciences. Vol. 5, P. 13: " [...] friendship is a low-order (as well as a crosscutting) institution: it is found everywhere but is not a distinct, comprehensive segment of society. [...] Partly for this reason, friendship is not at present a specialized field of inquiry in sociology."

[26] Georg Simmel: Soziologie. 3. Aufl. München: Duncker & Humblot 1923, S. 269. Vgl. auch: Internat. Encyclop. of the Social Sciences. Vol. 5, P. 12: "The suggestion has been made that a highly differentiated society with a high degree of mobility and an emphasis on specific performance cannot also support enduring and important intimate relationships beyond those of the nuclear family."

[27] Tenbruck: Freundschaft, S. 436.

[28] Pyritz: Bund, S. 314.

[29] Der Briefwechsel zwischen Schiller und Goethe. Hg. v. Emil Staiger. Frankfurt: Insel 1966, S. 25f. (zit. Briefwechsel).

[30] Schillers Werke. Nationalausgabe. Hg. Liselotte Blumenthal. Weimar: Böhlaus Nachfolger 1961, Bd. 30, S. 215.

[31] Briefwechsel, S. 37, 38, 78, 158, 201, 224, 362, 399, 713, 822, 838, 938, 1008.

[32] Briefwechsel, S. 97; ganz ähnlich Ende Mai 1796: "Leben Sie recht wohl und lieben mich." S. 201.

[33] Ebd. S. 838.

[34] Ebd. S. 224.

[35] Ebd. S. 625. Im Zusammenhang mit einer Bemerkung zu Fichtes zweitem Teil seines Naturrechts, worin er Zweifel an der wirklichen Allgemeingültigkeit sogenannt "allgemeiner" Aussagen äußert: "Ich mag mich stellen, wie ich will, so sehe ich in vielen berühmten Axiomen nur die Aussprüche einer Individualität und gerade das, was am allgemeinsten als wahr erkannt wird, ist gewöhnlich nur ein Vorurteil der Masse, die unter gewissen Zeitbedingungen steht und die man daher ebensogut als Individuum ansehen kann." Goethe fordert also gerade da zu freundschaftlicher Liebe auf, wo Individualität und allgemein Menschliches in ihrer gesellschaftlich-historischen Beschränktheit und Bedingtheit erkannt werden.

[36] Ebd. S. 37.

[37] Ebd. S. 45.

[38] Ebd. S. 51.

[39] Ebd. S. 423, 733.

[40] Ebd. S. 55/56.

[41] Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 20, S. 119. Vgl. auch H. H. Muchow: Jugend und Zeitgeist. Hamburg: Rowohlt 1966, S. 90/91 und 148/49.

[42] Briefwechsel, S. 463.

[43] Ebd. S. 475.

[44] Ebd. S. 357.

[45] Ebd. S. 394f.

[46] Tenbruck: Freundschaft, S. 438.

[47] Ebd. S. 440.

[48] Ebd. S. 440.

[49] Ebd. S. 440.

[50] Ebd. S. 441.

[51] Ebd. S. 450.

[52] Ebd. S. 453.

[53] Helmuth Kiesel, Paul Münch: Gesellschaft und Literatur im 18. Jahrhundert. München: Beck 1977, S. 5.

[54] Otto Brunner, Werner Conze, Reinhart Koselleck: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart: Klett 1972, Bd. I, S. XV.

[55] Vgl. dazu u. a.: Walter Horace Bruford: Germany in the 18th Century: The Social Background of the Literary Revival. Cambridge: 1935. - Hans J. Haferkorn: Zur Entstehung der bürgerlich-literarischen Intelligenz und des Schriftstellers in Deutschland zwischen 1750 und 1800. In: Literaturwissenschaft und Sozialwissenschaften, 3 (1974), S. 113-275. - Alberto Martino: Barockpoesie, Publikum und Verbürgerlichung der literarischen Intelligenz. In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutsdien Literatur I (1976), S. 107-145. - Gerhard Sauder: Sozialgeschichtliche Aspekte der Literatur im 18. Jahrhundert. In: Ebd. 4 (1979), S. 197-241.

[56] Kiesel, Münch: Gesellschaft u. Literatur, S. 125.

[57] Ebd. S. 196-200.

[58] Vgl. dazu: Rolf-Dieter Herrmann: Über das gesellschaftliche Sein des Künstlers. In: Zeitschrift für Ästhetik u. allg. Kunstwiss. 13/2 (1968), S. 113-139. - Peter Rech: Engagement und Professionalisierung des Künstlers. In: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 24 (1972), S. 509-522. - Hans Peter Thurn: 'Berufsrolle' Künstler? In: Ebd. 25 (1973), S. 158-163.

[59] Wolfdietrich Rasch: Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts. Halle: Niemeyer 1936, untersuchte das Freundschaftswesen vom Ausgang des Barock bis zu Klopstock und spricht wohl richtig von einer "Zwischenlage" zwischen der "aufgelockerten ständischen Ordnung" und der "neuen bürgerlichen Gesellschaftsordnung", "die auch den sozialen Raum für die Freundschaft öffnet" (89), erklärt es aber zu einseitig aus dem "Vorgang der Individualisierung" (104) und tendenziös als "eine Vorform, einen Ansatzpunkt für die weiterreichende, für die völkische Gemeinschaft" (106). Vgl. auch: Erich Trunz: Seelische Kultur. Eine Betrachtung über Freundschaft, Liebe und Familiengefühl im Schrifttum der Goethezeit. In: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 24 (1950), S. 214-242.

[60] Vgl. dazu: Albert J. Camigliano: Friedrich Schiller and Christian Gottfried Körner. A critical relationship. (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik Nr. 12) Stuttgart: Akad. Vlg. Heinz 1976.

[61] Z. B. Brief Schillers an Körner vom 7- Mai 1785: "Glück zu also, Glück zu dem lieben Wanderer, der mich auf meiner romantischen Reise zur Wahrheit, zum Ruhme, zur Glückseligkeit so brüderlich und treulich begleiten will. Ich fühl es jetzt an uns wirklich gemacht, was ich als Dichter nur ahndete. - Verbrüderung der Geister ist der unfehlbarste Schlüssel zur Weisheit. [...] Freuen Sie sich, theurer Freund, daß unsere Freundschaft das Glück hatte, da anzufangen, wo die gewöhnlichen Bande unter den Menschen zerreißen. Fürchten Sie von nun an nichts mehr für ihre unsterbliche Dauer. Ihre Materialien sind die Grundtriebe der menschlichen Seele. Ihr Terrain ist die Ewigkeit und ihr non plus ultra die Gottheit." Die intime Vertraulichkeit des Umgangs belegen Briefstellen wie die folgenden: "Minna ist recht hübsch. Die Brust ist fast ganz wieder gut." (Körner am 23. Dez. 1786). Und Schiller am 17. März 1788: "Du schreibst an Charlotten, daß Minna in einigen Monaten niederkommen wird. So etwas schreibst Du mir nicht! Mein Herz trägt sich mit den besten Hoffnungen für Euch! Aber um was ich Dich bitte, laß Minna diesmal nicht wieder stillen." Camigliano, der diese Stellen zitiert, fügt zu Recht bei: "One can hardly imagine finding this in the Schiller-Goethe correspondence" (S. 9).

[62] Siehe dazu: Talcott Parsons & Edward A. Shils: Toward a General Theory of Action. Cambridge/Mass.: Harvard University Press 1959, S. 48ff.

[63] Friedrich Schiller: Sämtliche Werke. Hg. v. G. Fricke u. H. Göpfert. München: Hanser 1959, Bd. 5, S. 855.

[64] Ebd. S. 856.

[65] Heinrich Popitz: Der entfremdete Mensch. Zeitkritik und Geschichtsphilosophie des jungen Marx. Basel: Vlg. f. Recht u. Gesellsch. 1953, S. 29.

[66] Briefwechsel, S. 28.

[67] F. Schiller: Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 870.

[68] Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 27, S. 128ff.

[69] Briefwechsel, S. 29.

[70] Vgl. dazu den Brief vom 29. Nov. 1794 an Goethe: "Weil ich mich in meiner Annonce an das Publikum auf unsere Keuschheit in politischen Urteilen berufen werde, so gebe ich Ihnen zu bedenken, ob an dem, was Sie dem Geheimrat [in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten] in den Mund legen, eine Partei des Publikums, und nicht die am wenigsten zahlreiche, nicht vielleicht Anstoß nehmen dürfte?" Schiller hatte recht; der Geheimrat erregte Anstoß: Rezension Joh. Friedr. Reichardt in: Deutschland, 1. 2. 3. Stück (1796). In Oscar Fambach: Schiller und sein Kreis in der Kritik ihrer Zeit. Berlin: Akademie Vlg. 1957, S. 226f.

[71] Briefwechsel, S. 29.

[72] Ebd. S. 30.

[73] In seinem Bericht über den Streit mit Schiller über die Urpflanze schreibt Goethe: "Schiller, der viel mehr Lebensklugheit und Lebensart hatte als ich und mich auch wegen der 'Horen', die er herauszugeben im Begriff stand, mehr anzuziehen als abzustoßen gedachte, erwiderte darauf [...]" (Goethes Werke. Bd. 10, S. 54).

[74] F. Schiller: Sämtliche Werke Bd. 5, S. 873.

[75] Briefwechsel, S. 30.

[76] Ebd. S. 31f.

[77] Schillers Briefe. Hg. v. Fritz Jonas. Stuttgart 1892-96, Bd. 3, S. 468.

[78] Oscar Fambach: Schiller und sein Kreis, S. 112.

[79] Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd.27, S. 59.

[80] Briefwechsel, S. 53.

[81] Oscar Fambach, Schiller und sein Kreis, S. 120.

[82] Ebd., S. 152.

[83] Briefwechsel, S. 114.

[84] Schon im Dezember 1794 bittet er Körner dringlichst um einen Aufsatz, denn: "Unsrer guten Mitarbeiter sind bey allem Prunk den wir dem Publikum vormachen, wenig; und von diesen guten ist fast die Hälfte für diesen Winter nicht zu rechnen. Ich komme daher in den ersten Stücken in eine gedrängte Lage, weil Göthe und ich fast alles dafür liefern, und leyder Göthe nicht die exquisitesten Sachen, und ich nicht die allgemeinverständlichsten. [...] Göthe will seine Elegien nicht gleich in den ersten Stücken eingerückt, Herder will auch einige Stücke erst abwarten, Fichte ist von Vorlesungen überhäuft, Garve krank, Engel faul, die andern lassen nichts von sich hören. Ich rufe also: Herr hilf mir, oder ich sinke!" (Schillers Werke. Nationalausgabe, Bd. 27, S. III).

[85] Briefwechsel, S. 152.

[86] Ebd. S. 157.

[87] Schiller: Sämtliche Werke. Bd. I, S. 279. Mit dem "Philister" sind die Spätaufklärer vor allem Friedr. Nicolais Lager gemeint, mit dem 'Schwärmer' die christlichen Kreise der Brüder Stolberg, Jung-Stillings, Lavaters und Matthias Claudius.

[88] Ebd. S. 336.

[89] Harry M. Johnson: Sociology: A systematic Introduction. London: Routledge & Kegan Paul 1966, S. 45f.

[90] Briefwechsel, S. 325.

[91] Richard H. Samuel: Der kulturelle Hintergrund des Xenienkampf es. In: Selected Writings. Melbourne: 1965, S. 2.

[92] Gottlob Nathanael Fischer: Parodien auf die Xenien. In: Anti-Xenien. Hg. W. Stammler. Bonn: 1911, S. 19:

    Was die Horen versprachen, und was die Xenien leisten.
    Wahrheit und Würd' und Schönheit versprachen die Horen mit vollem Munde:
    Verläumdung und Schimpf leisten die Xenien nur.

[93] Matthias Claudius: Urians Nachricht von der neuen Aufklärung. In: Anti-Xenien, S. 7, 8:

    Das Distichon
    Im Hexameter zieht der ästhetische Dudelsack Wind ein;
    Im Pentameter drauf läßt er ihn wieder heraus.

    Wilhelm Meister
    Er singt, und pfeift, und spielet mit dem Zügel
    und sinnt und sinnt, wohin er will; -
    Und fährt durch Dick und Dünn, und über Berg und Hügel ...
    Und hält bey Vetter Michel still.
    Gottlob Nathanael Fischer. In: Anti-Xenien, S. 14:

    Die Horen
    Mit Windsucht begannen die hochherprahlenden Horen:
    Aber, o Chronos, wie bald endet in Schwindsucht der Schwulst

[94] Matthias Claudius. In: Anti-Xenien, S. 8:

    Die Zwillinge
    Hier sind wir nun, mit unsern zweyerley Flammen
    Wie zwey Naslöcher zusammen;
    Und scheinen unsern Zwitter-Schein
    Von oben ins Gelag hinein.

[95] Gottlob Nathanael Fischer. In: Anti-Xenien, S. 20.

[96] Fürchtegott Christian Fulda: Trogalien zur Verdauung der Xenien. In: Anti-Xenien, S.27.

[97] Christoph Daniel Ebeling: Rezension in Distidien. In: Anti-Xenien, S. 10.

[98] Anti-Xenien, S. 8.

[99] Gegengeschenke an die Sudelköche in Jena und Weimar von einigen dankbaren Gästen. In: Anti-Xenien, S. 45.

[100] Briefwechsel, S. 173.

[101] Ebd. S. 177.

[102] Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 22, S. 246.

[103] Ebd. S. 247.

[104] Ebd. S. 246.

[105] Ebd. S. 253.

[106] Ebd. S. 261.

[107] Ebd. S. 248.

[108] Ebd. S. 259.

[109] Briefwechsel, S, 767.

[110] Ebd. S. 453.

[111] Ebd. S. 81.

[112] Schiller: Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 712.

[113] Ebd. S. 717.

[114] Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 22, S. 247f., 250.

[115] Ebd. S. 35.

[116] Heinrich Popitz: Der Begriff der sozialen Rolle als Element der soziologischen Theorie. In: Recht und Staat 331/332 (1967), S. 20.

[117] Briefwechsel, S. 163.

[118] Ebd. S. 170.

[119] Schiller: Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 751.

[120] Zwar handelt Schiller die Kategorien des Naiven und Sentimentalischen hauptsächlich im kulturhistorischen Vergleich der antiken und modernen Schriftsteller ab, doch weist er selbst in einer Anmerkung darauf hin, daß die beiden Kategorien auch Gattungstypen bezeichnen: "Es ist vielleicht nicht überflüssig zu erinnern, daß, wenn hier die neuen Dichter den alten entgegengesetzt werden, nicht sowohl der Unterschied der Zeit als der Unterschied der Manier zu verstehen ist. Wir haben auch in neuern, ja sogar in neuesten Zeiten naive Dichter in allen Klassen [...] und unter den alten [...] Dichtern fehlt es nicht an sentimentalischen. Nicht nur in demselben Dichter, auch in demselben Werke trifft man häufig beide Gattungen vereinigt an [...]"
(Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 717).

[121] Goethes Werke. Bd. 121, S. 241. Daß auch die Zugehörigkeit eines Schriftstellers zur naiven oder sentimentalischen Kategorie nicht bloß auf eine persönliche Charakterdisposition zurückgeht, sondern durch Außeneinflüsse kultureller und sozialer Art determiniert wird, bedeutet uns Schiller. "Alle Dichter, die es wirklich sind, werden, je nach dem die Zeit beschaffen ist, in der sie blühten, oder zufällige Umstände auf ihre allgemeine Bildung und auf ihre vorübergehende Gemütsstimmung Einfluß haben, entweder zu den naiven oder zu den sentimentlischen gehören." (Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 712).

[122] Briefwechsel, S. 37.

[123] Ebd. S. 73.

[124] Ebd. S. 184.

[125] Ebd. S. 185.

[126] Ebd. S. 710f.

[127] Ebd. S. 785.

[128] Hans Peter Dreitzel: Die gesellschaftlichen Leiden und das Leiden an der Gesellschaft. Stuttgart: Enke 1972.

[129] Ebd. passim

[130] Briefwechsel, S. 242.

[131] Ebd. S. 764.

[132] Ebd. S. 651.

[133] "Die sentimentalische Dichtung ist die Geburt der Abgezogenheit und Stille, und dazu ladet sie auch ein: die naive ist das Kind des Lebens, und in das Leben führt sie auch zurück." (Schiller: Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 753).

[134] Briefwechsel, S. 527.

[135] Ebd. S. 48.

[136] Dreitzel: Gesellschaftl. Leiden. S. 313.

[137] Schiller: Sämtliche Werke, Bd. 5, S. 769.

[138] Ebd. S. 768.

[139] Siehe Anm. 40.

[140] Briefwechsel, S. 234.

[141] Ebd. S. 243.

[142] Ebd. S. 273.

[143] Ebd. S. 422.

[144] Schiller: Sämtliche Werke. Bd. 5, S. 768.

[145] Ebd. S. 768.

[146] Ebd. S. 669.

[147] Ebd. S. 668.

[148] Ebd. S. 669.

[149] Briefwechsel, S. 33.

[150] Ebd. S. 536.

[151] Ebd. S. 536.

[152] Tenbruck: Freundschaft, S. 441.

[153] Briefwechsel, S. 81.



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