IASL Diskussionsforum online
Geschichte und Kritik der Intellektuellen

Moderation: Britta Scheideler


Joseph Jurt
Zur Geschichte des Intellektuellen in Frankreich.
Sammelrezension

Literatur

   Jacques Juillard / Michel Winock (Hg.): Dictionnaire des intellectuels français. Les personnes. Les lieux. Les moments. Paris: Éditions du Seuil 1996, 1258 S.

   Maurice Blanchot: Les intellectuels en question. Ebauche d'une réflexion. Paris: Fourbis 1996, 62 S.
   Pierre Bourdieu: Sur la télévision suivie de l'emprise du journalisme. Paris: Liber-Raisons d'agir 1996, 95 S.
   Pierre Bourdieu: Contre-feux. Propos pour servir à la résistance néo-libérale. Paris: Liber-Raisons d'agir 1998, 125 S.
   Christophe Charle: Naissance des "intellectuels". 1880-1900. Paris: Éditions de Minuit 1992, 272 S.
   Christophe Charle: Les intellectuels en Europe au XIXe. Essai d'histoire comparée. Paris: Seuil 1996, 384 S. [deutsche Übersetzung: Vordenker der Gegenwart. Die Intellektuellen im 19. Jahrhundert. Frankfurt/M: Fischer Taschenbuch Verlag 1997, 260 S.]
   Julien Duval, Christophe Gaubert, Frédéric Lebaron, Dominique Marchetti, Fabienne Pavis: Le >décembre< des intellectuels français. Paris: Liber-Raisons d'agir 1998, 124 S.
   Serge Halimi: Les nouveaux chiens de garde. Paris: Liber-Raisons d'agir 1997, 111 S.
   Bernard-Henri Lévy: Die abenteuerlichen Wege der Freiheit: Frankreichs Intellektuelle von der Dreyfus-Affäre bis zur Gegenwart. München-Leipzig: List 1992; 463 S.
   Rémy Rieffel: La tribu des clercs. Les intellectuels dans la Ve République 1958-1990. Paris: Calman-Lévy (CNRS) 1993, 692 S.
   Edward W. Said: Des intellectuels et du pouvoir. Paris: Seuil 1996, 141 S. [englisches Original: Representations of the intellectuel. London: Vintage, 1994; deutsche Übersetzung: Götter, die keine sind: der Ort Intellektuellen. Berlin: Berlin-Verlag 1998]
   Michel Trebitsch, Marie-Christine Granjon (Hg.): Pour une histoire comparée des intellectuels. Paris: Éditions Complexe 1998, 176 S.
   Michel Winock: Le siècle des intellectuels. Paris: Seuil 1997, 701 S.

Sondernummern von Zeitschriften

   Christophe Charle, François Dosse, Olivier Mongin, Christophe Prochasson, Judith Revel, Rémy Rieffel, Jean-François Sirinelli: Le Débat 79 (März-April 1994), S. 31-91
   La passion des idées 1966-1996. Sondernummer der Zeitschrift Magazine littéraire. Paris (1996), 138 S.
   50 ans. Sondernummer von Les Temps Modernes 587 (März-April-Mai 1996), 492 S.
   Les intellectuels. Tentative de définition, par eux-mêmes. Sondernummer von Lignes 32 (Oktober 1997), 202 S.



Die Publikation des mehr als zwölfhundert Seiten umfassenden Dictionnaire des intellectuels français Ende Oktober 1996 galt in Frankreich als Ereignis. Wenn nun die Intellektuellen, die seit der Dreyfus-Affäre in Frankreich intervenierten, enzyklopädisch verortet wurden, so konnte dies auch implizit bedeuten, eine Entwicklung habe nach hundert Jahren ihren Abschluß gefunden, so daß man sie überblicken und vermessen konnte, selbst wenn die beiden Herausgeber die Thesen des Verstummens der Intellektuellen in ihrem Vorwort verneinen.

Die beiden Autoren sind im übrigen selber Teil des Pariser intellektuellen Feldes; ihre Position läßt sich aber aus den dürren Hinweisen am Schluß kaum ermitteln. Beide sind Hochschullehrer (Historiker), nehmen aber auch eine Rolle in einer breiteren nicht-universitären Öffentlichkeit wahr. Jacques Juillard ist stellvertretender Herausgeber des Wochenblattes Nouvel Observateur, in dem er wöchentlich eine Kolumne veröffentlicht. Michel Winock, Begründer der Zeitschrift l'Histoire, ist als Mitarbeiter des Verlages Seuil tätig. Winock hatte schon in früheren Jahren Studien über die "générations intellectuelles" vorgelegt. 1

Man kann sich natürlich fragen, inwieweit ein Lexikon der französischen Intellektuellen sinnvoll ist. Die strikt alphabetische Anordnung kann an sich etwas Revolutionäres sein, weil sie bestehende hierarchische Anordnungen des Wissens auflöst. Das war der Fall bei der Encyclopédie. 2 Bei einem eminent historischen Gegenstand wie dem vorliegenden kann man das auch als Verzicht auf die Nachzeichnung und Darstellung einer Entwicklung deuten, auch als Verzicht auf eine Synthese. Andererseits ist ein Lexikon immer ein sehr wichtiger und nützlicher >Werkzeugkasten<, der das Wissen in kleine Sinneinheiten gliedert.

"Dicomania
– la folie des dictionnaires"

Michel Prigent sprach schon von 1982 als vom Jahr der Lexika im Bereich der Menschen- und Sozialwissenschaften. In diesem Jahr erschienen in der Tat eine ganze Reihe von Nachschlagewerken: G. Labica, G. Bensussan, Dictionnaire critique du marxisme; D. Huisman, Dictionnaire des sciences historiques; F. Châtelet, O. Duhamel, E. Pisier, Dictionnaire des œuvres politiques; R. Bourdon, F. Bourricaud, Dictionnaire critique de la sociologie. Prigent sieht das Verdienst solcher Nachschlagewerke in ihrer Funktion, Autoren verschiedener Generationen und Sensibilitäten in einem Gemeinschaftswerk zusammenzuführen; sie zeugen so durchaus von der Lebendigkeit eines Wissenszweiges. 3

Hier ging es vor allem um Lexika, die versuchten, das Wissen einer Disziplin darzustellen. Eine wichtige Vorreiterrolle hatte die Reihe Les Grands Dictionnaires des Verlagshauses Les Presses Universitaires de France (P.U.F.) gespielt; besonders große Resonanz fand das 1976 erstmals veröffentlichte und später auch ins Deutsche übersetzte Werk von Jean Laplanche und J.-B. Pontalis: Vocabulaire de la Psychanalyse. Bezeichnenderweise wurde vor der Zweihundertjahrfeier das gesammelte Wissen zur Französischen Revolution ebenfalls in lexikalischer Form vorgestellt: im Dictionnaire critique de la Révolution Française (Paris: Flammarion, 1988) von François Furet und Mona Ozouf.

Daneben existieren auch rein biographische Nachschlagewerke, die einer bestimmten, umgrenzten Schicht oder Berufsgruppe gelten. Als ein Musterbeispiel wird hier Jean Maîtrons Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier français (1789-1939) (Paris, Éditions ouvrières 1964-1997) angeführt, das schon 44 Bände umfaßt und dessen Weiterführung auf CD-Rom gesichert ist. Hier wird nicht nur bestehendes Wissen aufgelistet, sondern die Resultate intensiver Forschungsarbeit zu den Vertretern der Arbeiterbewegung seit 1789 werden vorgelegt. Andere Lexika gelten den Abgeordneten, 4 den Künstlern, 5 den Generälen. 6 Christophe Charle verdanken wir zwei Nachschlagewerke zu den Professoren des Collège de France 7 und den Pariser Naturwissenschaftlichen Fakultäten. 8

Nicht nur 1982 war eine "année des dictionnaire". Die Welle der Lexikon Produktion hält an, so sehr, daß die Rezensionszeitschrift Critique ihrer Nummer vom Januar-Februar 1998 der >Lexikomanie< widmete: "Dicomania – la folie des dictionnaires". 9

Aufnahmekriterien:
Wer gilt als Intellektueller?

Berufsgruppen oder öffentliche Funktionen wie Professoren am Collège de France oder Abgeordnete lassen sich leicht eingrenzen. Sie verdanken ihren Status einer verbrieften Ernennung. Gilt das auch für Intellektuelle? Wegleitend ist hier die spezifische französische Definition, die seit der Dreyfus-Affäre eingebürgerte Bedeutung des nun als Substantiv verwendeten Begriffs >les intellectuels<, der zuerst von den "anti-dreyfusards" wie F. Brunetière formuliert und dann als Selbst-Bezeichnung der "dreyfusards" um-interpretiert wurde: >Intellectuels< sind Wissenschaftler, Künstler, Schriftsteller, die sich auf ihrem Gebiet eine spezifische Kompetenz erworben haben und die aufgrund dieser Autorität Stellung beziehen zu konkreten – oft aktuellen – Problemen der Gesamtgesellschaft auf der Basis bestimmter Werte.

Die Herausgeber legen in ihrer – allzu kurzen – Einleitung ihre Karten offen dar. Der Intellektuelle wird zunächst etwas salopp und bloß formalistisch als einer bezeichnet, der sich in etwas einmischt, was ihn nichts angeht. Die Autoren bezeichnen den Bekanntheitsgrad als Vorbedingung der Intervention und sprechen von einem >Bekanntheits-Transfer<, >einer Art politische Simonie< (was wohl im Kontext heißt, politische Güter mit Hilfe intellektueller >Münze< zu erwerben), die sie auch noch als >Mißbrauch< ("abus de biens moraux") bezeichnen.

Das scheint mir entschieden zu weit zu gehen. Das sind Werturteile und nicht deskriptive Aussagen. Denn die Motivation der Intervention ist ja nicht die Instrumentalisierung des intellektuellen Ansehens im politischen Feld, sondern die Sorge um universelle Wertvorstellungen, die auch einem Wissenschaftler oder einem Schriftsteller nicht fremd sind. Daß die Vorstellungen, denen eine universelle Dimension zugeschrieben wird, variieren, steht auf einem anderen Blatt.

Wenn die Intellektuellen einer partikulären politischen Leidenschaft folgen, dann seien sie ihrer vornehmlichen Mission untreu geworden. Die beiden Autoren zitieren die sattsam bekannten Aussagen von Benda über die Trahison des clercs von 1927. Aber auch dieser Punkt müßte nuanciert werden. Hinweisen müßte man jedenfalls auf den Widerspruch bei Benda zwischen dem rigoristischen Moralismus der >clercs<, die keine Rücksicht auf praktische Gesichtspunkte zu nehmen hätten, und der Idee des notwendigen Amoralismus der Politik, der akzeptiert wird, solange er sich nicht selbst als Recht und Wahrheit verbrämt. 10

In den Augen von Juillard und Winock beginnt der Bruch mit der Tradition 1917, als sich Intellektuelle in den Dienst einer Partei stellten und er endet mit Sartre, dem "letzten Mohikaner", wenn nicht dem "unwürdigen Sohn" einer Tradition. Das ist auch wieder viel zu schematisch und unhistorisch geraten. Sicher taucht mit dem Partei-Intellektuellen eine neue Figur auf, die sich von den Intellektuellen, die punktuell intervenieren, wenn bestimmte Wertvorstellungen auf dem Spiel stehen, unterscheidet. Aber eine ganze Reihe von Intellektuellen bleiben der traditionellen wertbestimmten Haltung treu. Es gab jedoch auch Partei-Intellektuelle, die versuchten, ihr Engagement nicht so sehr über die Partei-Raison, sondern über ein historisches Subjekt (etwa das Proletariat) zu legitimieren, dem sie eine universelle Dimension zuschrieben. Über dies hinaus müßte man noch untersuchen, inwiefern Partei-Intellektuelle – etwa Aragon – versuchten, innerhalb der Partei eine Anerkennung literarischer Spezifität und somit relative Autonomie durchzusetzen. 11

Die beiden Autoren sehen in der Versöhnung von Sartre und Raymond Aron unter den Auspizien des >nouveau philosophe< Glucksmann in ihrem gemeinsamen Engagement für die >boat people< ein symbolisches Datum. Hier wurde ein einzelner Akt, der in der Tat in den Medien plakativ hervorgehoben wurde, in seiner historischen Bedeutung überschätzt.

In der Hinwendung der Sozialwissenschaften von den anonymen Massen zu den Eliten als den sichtbarsten historischen Akteuren sehen Juillard und Winock einen Paradigma-Wandel. Mit dem Rückgang des marxistischen Denkens sei die Präferenz für die Untersuchung der Infrastrukturen in Frage gestellt worden. Auch dies ist etwas zu kurz geschlossen. Man wünschte sich ein viel ausführlicheres Vorwort, das die eigenen Affirmationen noch mehr historisieren würde und sich mit Werturteilen etwas zurückhielte.

Ein grundsätzliches Problem stellt sich mit der hier vorgeschlagenen Periodisierung, die die Geschichte der Intellektuellen erst mit der Dreyfus-Affäre beginnen läßt. Sicher erscheint hier erstmals der Terminus >les intellectuels< als akzeptierter Gruppenbegriff; relativ neu ist auch die kollektive Natur des Engagements und die starke Beteiligung der naturwissenschaftlichen Intelligenz. 12 Wenn der Begriff noch nicht existierte, so gab es das Faktum der Intervention von Gebildeten oder Schriftstellern im öffentlichen Rahmen schon seit der Französischen Revolution. Juillard und Winock zitieren in diesem Zusammenhang zu Recht Tocqueville, der die neue Wirkkraft der Intelligenz nach 1789 unterstrich. Saint-Simon, so lesen wir ebenfalls im Vorwort, hatte schon 1821 den Ausdruck "les intellectuels" gebraucht und Renan 1845/46. Hinweisen könnte man auch auf das massive philhellenistische Engagement der europäischen Schriftsteller um 1821. 13 Jean-Yves Mollier verweist seinerseits auf die Professoren der Pariser Gymnasien, die zwischen 1824 und 1835 sich in der Öffentlichkeit engagierten, Zeitungen gründeten, um zur Veränderung des politischen Regimes beizutragen. 14

Verweisen kann man hier auch auf den Perspektivenwechsel von Christoph Charle, einem der bedeutendsten Sozialhistoriker der Intellektuellen. In einem frühen Werk Naissance des "intellectuels", 1880-1900 hatte er die Geburtsstunde der >Intellektuellen< im modernen Sinne im Jahrzehnt der Dreyfus-Affäre situiert. 15 Doch in seinem neuesten Werk Les Intellectuels en Europe au XIXe siècle hält sich Charle nicht mehr an die vorgehende normative Bestimmung der Intellektuellen. 16

Er sieht im wesentlichen zwei Definitionen; einerseits eine funktionalistische, die sich ausschließlich am Kriterium der Arbeitsteilung zwischen manuell und geistig Arbeitenden orientiert. Die kulturalistischen und politischen Definitionen "nehmen dagegen eine elitäre Sicht ein und beschränken sich auf jene geistig Schaffenden, die in ganz besonderem Maße im Blickfeld stehen; sie erheben sie zu Vorbildern und Wortführern aller Intellektuellen." 17

Charle möchte indes die drei Dimensionen verbinden. Die Entstehung der Gruppe der >Intellektuellen< ist für ihn zunächst das Produkt eines sozialen Differenzierungsprozesses, der sich in der Entstehung einer Sammelbezeichnung wie >Intellektuelle< für Menschen niederschlägt, die vorher als sehr unterschiedlich galten wie Wissenschaftler, Literaten, Lehrer, Journalisten, Studenten, Künstler, Ärzte, Rechtsanwälte. Die >Intellektuellen< situieren sich gleichzeitig in einem intellektuellen Feld, in dem sie im Kampf um symbolische und kulturelle Macht stehen, der zunächst ein Kampf um die Bedingungen der Möglichkeit solcher Macht ist, die man im 19. Jahrhundert unter dem Oberbegriff >Freiheit< zusammenfaßte. Der kulturelle Raum ist zugleich, so Charle, in den Raum der politischen Kämpfe eingebunden, die die Intellektuellen im 19. Jahrhundert wegen ihrer mangelnden Autonomie und der Intoleranz der monarchischen Mächte zur politischen Stellungnahme zwangen.

Charle beginnt so seine Darstellung der Ausbildung der neuen sozialen Gruppe mit dem Ende der Revolutionsphase und schließt sie mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges ab. Selbst wenn seine Perspektive eher der Erfassung der Entwicklung der sozialen Gruppe im vergleichenden europäischen Kontext dient, so ist dieser sozialgeschichtliche Befund immerhin ein weiteres Argument für eine Geschichte der Intellektuellen ab dem Beginn des 19. Jahrhunderts.

Juillard und Winock definieren den Intellektuellen über ihr normatives Konzept durch zwei Elemente:

  1. durch die intellektuelle Exzellenz, die sie als Berühmtheit bezeichnen,
  2. und die politische Intervention.
Die Verbindung der beiden Elemente, die durchaus dem Selbstverständnis der Intellektuellen seit der Dreyfus-Affäre entspricht, wirft jedoch bei der Objektivierung auf einer Meta-Ebene durchaus Probleme auf. Wie läßt sich die intellektuelle Exzellenz messen? Wie intensiv muß das politisch-gesellschaftliche Engagement sein? Viele Intellektuelle werden zu >Intellektuellen< im normativen Sinn in bestimmten historischen Situationen. Gerät man jedoch nicht in die Gefahr einer Substantialisierung von politischen Akten, wenn man die Akteure mit dem bleibenden Label >intellectuels< durch den Eintrag ins Lexikon der Intellektuellen versieht? Über eine historisch-narrative Darstellung ließe sich das Episodenhafte bestimmter punktueller Interventionen besser erfassen. 18

Die Entscheidung für die Aufnahme in den Dictionnaire folgt so in einem gewissen Sinne auch subjektiven Einschätzungen. Es bleibt dem Leser überlassen zu ermitteln, durch welche intellektuellen Qualitäten und welche gesellschaftlichen Engagements ein Autor seine Aufnahme ins Intellektuellen-Lexikon >verdient< hat.

Kurzbiographien

Bei den etwa sechshundert in Kurzbiographien vorgestellten Persönlichkeiten gibt es eine große Anzahl, bei denen die Zurechnung zur Gruppe der Intellektuellen im genannten Sinn kein Problem darstellt. Das gilt etwa für Zola, der allerdings allzu knapp vorgestellt wird, ebenso für seinen Gegenspieler Maurice Barrès, Anführer der "anti-dreyfusards". Hier würde man eine noch ausführlichere Darstellung seiner Rolle bei der Dreyfus-Affäre erwarten.

Eine eingehende Darstellung erfährt natürlich Julien Benda, der den "Verrat der Intellektuellen" geißelte, die sich in den Dienst nationaler Leidenschaften stellten. Er war selber "dreyfusard" gewesen, vertrat während des Ersten Weltkrieges rigorose Ansichten, war von der absoluten Unschuld Frankreichs und der absoluten Schuld Deutschlands überzeugt. In der Zwischenkriegszeit griff er die rechtsextreme "Action française" ebenso an wie den naiven Pazifismus der Leute um Romain Rollands Zeitschrift Europe. Nach dem Krieg vertrat er eine intransingente Haltung gegenüber Autoren, die kollaboriert hatten: "Qu'on les fusille!" Bei all dem ist es erstaunlich, wie sehr Bendas Trahison des clercs (1927) zu einem emblematischen Titel geworden ist.

Auch Edward Said beruft sich in seinem 1996 auf französisch erschienenen Buch Des intellectuels et du Pouvoir auf Benda. Er sieht in dessen Funktionsbeschreibung der verhängnisvollen Wirkung der Intellektuellen bei der Anstiftung kollektiver Leidenschaften eine prophetische Aussage. Schon vor dem Einsatz der Massenmedien hätte der Autor erkannt, wie wichtig es für die Regierungen sei, Intellektuelle in ihren Diensten zu haben, die ihre Politik legitimierten und Propaganda betrieben. Said sieht aber auch, daß Bendas wahre Intellektuelle nur eine kleine Gruppe sein konnten und daß er die Begründung ihres Wahrheitsanspruchs schuldig blieb. 19

Zu den engagierten Intellektuellen zählt selbstverständlich Aragon, über dessen Bemühen, innerhalb der Partei eine gewisse literarische Autonomie zu erlangen, allerdings wenig gesagt wird . Zu Recht wird der heute etwas verkannte Westschweizer Albert Béguin als einer der bedeutenden Schriftsteller-Kritiker des Jahrhunderts bezeichnet, der sich in der schwierigen Zeit des Krieges dem geistigen intellektuellen Widerstand verschrieb und ab 1942 in seinen Cahiers du Rhône der Stimme der Résistance-Dichter Gehör verschaffte, um dann seinen Lehrstuhl in Basel aufzugeben und sich als Leiter der Zeitschrift Esprit unmittelbar in gesellschaftlichen, sozialen und politischen Fragen zu engagieren.

Jean Paul Sartre
als Referenzpunkt

Jacques Juillard, der Albert Camus vorstellt, sieht im Roman La Peste schon die spätere humanitäre Einmischung vorweggenommen. Da wird wohl die Eigengesetzlichkeit des literarischen Textes zu sehr in einen eindeutigen politischen Sinn umgebogen. Juillard setzt auch zu schematisch den guten Albert Camus dem verblendeten Sartre entgegen. Sartres Definition des Engagements und der engagierten Literatur war für die meisten Intellektuellen der Nachkriegszeit der Referenzpunkt, in bezug auf den man die eigene Position bestimmte. Sartres wichtigstes Instrument, über das er seine intellektuelle Hegemonie bis zum Durchbruch des Strukturalismus ausübte, war seine im Oktober 1945 gegründete Zeitschrift Les Temps Modernes.

Zur Erinnerung an das 50jährige Bestehen der Zeitschrift gaben die Temps Modernes im Frühjahr 1996 eine fast 500 Seiten umfassende Gedenk-Nummer heraus, in der viele herausragende Intellektuelle zu Wort kommen, so der jetzige Direktor Claude Lanzmann, aber auch Bernard Kouchner, Bertrand Poirot-Delpech, Claude Roy, Francis Jeanson, Pierre Vidal-Naquet, Etienne Balibar. Beachtenswert ist vor allem eine sehr schöne Re-Interpretation von Sartres Programm in der "Présentation des Temps Modernes" von Jacques Derrida, der vor allem aufzeigt, daß Sartres Engagement-Begriff differenzierter war als viele Epigonen annahmen. 20

In diesem Zusammenhang ist auf eine Nummer der Zeitschrift Lignes hinzuweisen, die im Oktober 1997 den Intellektuellen gewidmet war. Wichtige Vertreter wie Etienne Balibar, Régis Debray, Julia Kristeva, Jean-Luc Nancy, Paul Virilio waren gebeten worden, den Status der Intellektuellen zu definieren. Auch hier findet sich eine ausführliche Antwort von Derrida, der den Begriff der Intellektuellen in sprachlich kondensierter Form zusammenfaßt:

un certain type de pouvoirs et de savoirs supposés, c'est-à-dire légitimés – par une fraction dominante et institutionnelle de la société – et tous liés à un art ou à un technique de la prise de parole, à une puissance rhétorique, c'est-à-dire à une discipline de l'humanisme ou des humanités, parfois à une discipline académique (philosophie, lettres, droit, etc...) ou aux institutions des beaux-arts (littérature, surtout), et la figure de référence d'abord en France, fut celle de l'écrivain­prosateur­engagé, au nom de responsabilités universelles ou de >droits de l'homme<, dans le débat public, sur des questions de droit, plus précisément des questions de justice, là où le barreau, voire le droit lui est en défait: >Voltaire­Zola­Sartre< [...] 21
Wenn Derrida die Vorbedingungen des intellektuellen Engagements bestimmt (eine bestimmte Technik oder Kompetenz des Wortergreifens im Namen von universellen Vorstellungen), so scheint er gleichzeitig eine elitäre Dimension dieser Funktion zu bedauern. 22 Gleichzeitig unterstreicht der Philosoph, die alte funktionalistische Trennung zwischen Hand- und Kopfarbeit habe heute keinen Sinn mehr, da im Zeitalter der Tele-Technologie jede Arbeit intellektuell, somit jeder ein Intellektueller sei. Wer über die alten rhetorischen Kompetenzen verfüge, müsse sich immer wieder prüfen, ob er im Namen aller spreche:
J'en déduis que, sauf à trahir sa >mission< (nouvelle trahison des laïcs), un intellectuel reconnu ne devrait jamais écrire ou prendre publiquement la parole, désormais, ni >agir< en général, sans mettre en question ce qui semble aller de soi, sans chercher à s'associer à ceux qu'on prive de ce droit à la parole et à l'écriture, sans l'exiger pour eux – directement ou non. 23
Wenn die Sartresche Definition des Engagements im Lexikon von Juillard und Winock omnipräsent ist, so erscheint Raymond Aron als sein Antipode, der in einer liberalen Phase an Gewicht zu gewinnen schien.

Auch für Aron war die Notwendigkeit einer politischen Entscheidung grundlegend. Er lehnte eine militante Position ab, aber bediente sich immer wieder des Instruments des politischen Journalismus, schon als Leiter einer Zeitschrift des Freien Frankreichs während des Krieges. Im Lexikon wird zu Recht die Bedeutung von Arons Schrift L'Opium des intellectuels (1955) hervorgehoben, die sich gegen ein Engagement im Namen einer idealen Gesellschaft oder des Marxismus aussprach, wohl aber für die Pflicht zur objektiven Analyse eintrat. Diese Haltung führte Aron immerhin zu einer klaren Sicht inmitten des Algerienkrieges. In der Kurzbiographie wird aufgezeigt, daß Aron keineswegs der einsame engagierte Beobachter war, als den er sich in den Memoiren stilisiert, sondern stets in bestimmte Netzwerke eingebunden blieb. 24

Neben den Autoren, die man problemlos der Gruppe der Intellektuellen zuordnen kann, verzeichnet das Nachschlagewerk von Juillard und Winock auch Persönlichkeiten, die aufgrund ihrer Tätigkeit nicht in unmittelbarem Kontakt mit der gesellschaftlichen oder politischen Wirklichkeit stehen, die sich aber in entscheidenden Augenblicken engagierten. So etwa der Philosoph Canguilhem, der eine wichtige Rolle im Widerstand spielte, oder Robert Antelme, dessen Zeugnis über die KZ-Erfahrung, L'Espèce humaine, einen nachhaltigen Einfluß ausübte, obwohl der Autor sich später aus dem gesellschaftlichen Leben zurückgezogen hatte.

In dieser Kategorie finden sich auch engagierte Naturwissenschaftler wie der berühmte Physiker Paul Langevin, "dreyfusard" und Antifaschist, der von der Überzeugung erfüllt war, "die Wissenschaft solle der Gerechtigkeit die Hand reichen", oder der Physik-Nobelpreisträger Alfred Kastler, der als engagierter Kämpfer für die Menschenrechte gegen alle Formen des Rassismus sich auszeichnete.

Die Generation nach Sartre

Die Generation, die Sartre folgte, sollte ihre Intellektuellen-Rolle etwas anders definieren. Louis Althusser, der keine großen Werke verfaßte, wird als bedeutender Anreger vorgestellt, der eine ganze Generation von Philosophen prägte und einen nachhaltigen Einfluß auf das französische intellektuelle Leben ausübte.

Bei Roland Barthes wird von einem "ganz spezifischen Verhältnis zwischen dem Intellektuellen und der Politik" gesprochen. Eine Verantwortung habe der Schriftsteller in erster Linie der Sprache gegenüber wahrzunehmen, indem er deren Stereotypen aufsprenge. Wenn Barthes das berühmte Manifest der 121 während des Algerienkrieges nicht unterzeichnete, dann, um nicht den Nationalismus des FLN zu legitimieren. Letztlich ging es ihm stets um die Unterminierung eines bloß ideologischen Diskurses. Barthes nahm, so schreibt Eric Marty in seinem Lexikonbeitrag, eine gewisse Skepsis gegenüber einem bestimmten kollektiven politischen Engagement vorweg.

Lévi-Strauss erscheint als eine der bedeutendsten intellektuellen Persönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, obschon er der Idee der Intervention des Gelehrten im gesellschaftlichen Bereich distanziert gegenüberstand. Man erfährt im Lexikon immerhin, daß er in seiner Jugend Sekretär einer sozialistischen Studentengruppe war und sich bei Kantonalwahlen immer für die Partei aufstellen ließ!

Man ist erstaunt, auch Gérard Genette, eine der markantesten Figuren des "literarischen Strukturalismus", im Kreis der >intellectuels< wiederzufinden. Operieren doch seine narratologischen und nunmehr auch ästhetischen Analysen rein werk-immanent. Er war aber in seiner Jugend Mitglied der KPF und sogar ein Jahr Chefredakteur der kommunistischen Studentenzeitschrift Clarté. Einen umgekehrten Weg scheint der Kulturwissenschaftler Tzvetan Todorov eingeschlagen zu haben, der zunächst szientistische narratologische Untersuchungen vorlegte, um dann nach einer "epistemologischen Krise" sich normativen Fragestellungen wie Alterität, Ethnozentrismus, Kulturanthropologie zuzuwenden.

Eine interessante Rolle spielte zweifellos Maurice Blanchot. Die Frage des Politischen steht im Zentrum seines Denkens. In der Kurzbiographie wird breit von der Tätigkeit von Blanchot in rechtsextremen Presseorganen in der Zwischenkriegszeit gesprochen, von denen sich Blanchot später total gelöst hat, um dann entschieden gegen den Algerien- und den Vietnamkrieg Stellung zu beziehen, sich aber sonst aus der Öffentlichkeit strikt herauszuhalten. Man vermißt hier den Hinweis auf die explizite Auseinandersetzung von Blanchot mit Sartres Konzept der engagierten Literatur in der Nachkriegszeit. 25 Wichtig wäre die Erwähnung seiner 1984 erstmals erschienenen und jetzt neu aufgelegten Studie Les intellectuels en question gewesen. 26

Die Beiträge zu Sollers und zu Tel Quel sind von Philippe Forest verfaßt, der selbst zum Sollers-Kreis zählt. Seine Ausführungen sind darum äußerst positiv. Tel Quel stellt in seinen Augen den "dynamischsten und kühnsten Pol der Avantgarde" dar. Sollers wird eine "neue Konzeption des Engagements" zugeschrieben. Was in diesem Eigenlob vergessen wird, das ist die Inkonsistenz der politischen Positionen der Gruppe, die sich für Mao ebenso aussprach wie für Balladur!

Eine weitere Gruppe stellen die Schriftsteller dar, die weniger politisch intervenierten, als in ihren Werken den gesellschaftlichen und historischen Kontext thematisierten. Dazu zählt Proust, dessen Stellungnahme für Dreyfus – gegen die fanatischen antiklerikalen Maßnahmen und für den Respekt des Feindes im Krieg – erwähnt wird. Eine direkte Übertragung politischer Stellungnahmen ins literarische Werk à la Barrès lehnte Proust aber explizit ab. Antonin Artaud wird aufgeführt als ein Künstler, der Leben und Kunst nicht trennte.

Beckett, der sich im Krieg einer Widerstandsgruppe angeschlossen hatte, wird als Prototyp des "nicht engagierten Schriftstellers" präsentiert, der sich allein seiner Literatur verpflichtet fühlte. Die Resonanz der ersten Romane von Beckett in den frühen fünfziger Jahren, die zunächst von vielen Verlegern abgelehnt worden waren, signalisierten das Scheitern des Konzepts engagierter Literatur im Sinne Sartres. Becketts Werke, aber auch der Nouveau Roman erschienen im Verlag Éditions de Minuit, der aus dem Widerstand hervorgegangen war. Diese Autoren engagierten sich wohl als Bürger, so unterschrieben Butor, Robbe-Grillet und Claude Simon das Manifest der 121 im Algerienkrieg, schrieben aber keine engagierte, sondern avantgardistische Literatur. Gerade im Werk von Claude Simon werden die Tragödien des zwanzigsten Jahrhunderts wohl beschworen, ohne daß jedoch die Idee eines Sinnes der Geschichte aufleuchtete. Das gesamte Werk von Claude Simon ist so eine implizite Auseinandersetzung mit Sartre. 27

Schließlich werden eine Reihe von Persönlichkeiten aufgeführt, die eigentlich nur wegen ihrer intellektuellen oder künstlerischen Qualität bekannt sind, von denen man aber kaum politische Interventionen kennt. J.-B. Pontalis war wenigstens noch einer der wenigen Psychoanalytiker, die das Manifest der 121 unterschrieben hatten, ebenso wie Pierre Boulez. Aber Bachelard, Benveniste, René Girard oder Kahnweiler? 28

Wenn man den Intellektuellen einerseits durch seinen intellektuellen oder künstlerischen Rang, andererseits durch seine politisch-gesellschaftliche Intervention bestimmt, so muß man sagen, daß im vorliegenden Band eindeutig die erstere Dimension privilegiert wurde. Der Dictionnaire ist so ein vorzügliches Nachschlagewerk über das intellektuelle Leben in Frankreich in den letzten hundert Jahren. Nach Jean-Yves Mollier hätte man den zweiten Aspekt zum entscheidenden Kriterium machen können, indem man in systematischer Weise in der Presse und in den Archiven politische Petitionen und Stellungnahmen von Nicht-Politikern durchgeforstet hätte. 29

"Les moments"

Der Vorteil des Intellektuellen-Lexikons von Juillard und Winock besteht darin, daß es nicht nur die Funktion eines biographischen Handbuchs erfüllt. Daneben gibt es eine ganze Reihe – etwa fünfzig – Einträge, die nicht Persönlichkeiten, sondern historische Fakten ("les moments") behandeln, die man mit Hilfe des Inhaltsverzeichnisses auch in chronologischer Reihe lesen kann, von der Dreyfus-Affäre bis zur Debatte um den Jugoslawien-Konflikt. Man kann hier vermissen, daß es keine eigenen Rubriken für die ideologischen Richtungen gibt, die für das 20. Jahrhundert so nachhaltige Folgen zeitigten, wie Kommunismus, 30 Faschismus, Antisemitismus. Die auslösende Funktion des letzteren für das intellektuelle Engagement wurde gerade von Maurice Blanchot unterstrichen:

De l'affaire Dreyfus à Hitler et à Auschwitz, il s'est confirmé que c'est l'antisémitisme (avec le racisme et la xénophobie) qui a révélé le plus fortement l'intellectuel à lui-même: autrement dit, c'est sous cette forme que le souci c'est imposé (ou non) de sortir de sa solitude créatrice. 31
Man vermißt auch eine Rubrik zum Phänomen der Kollaboration. Auch der spanische Bürgerkrieg scheint mir in seiner Bedeutung für das öffentliche Bewußtsein in Frankreich zu wenig gewürdigt zu sein. Es wird nicht darauf hingewiesen, daß die gesamte Presse, wie zur Zeit der Dreyfus-Affäre, in zwei Lager gespalten war. 32 Man erfährt auch kaum etwas über das republikanische Engagement von Malern wie Picasso oder Miró.

Beim Algerienkrieg wird die Reaktion der Intellektuellen auf die Folterungen beschrieben. Das ganze Phänomen des algerischen Unabhängigkeitskrieges hätte wegen seiner Resonanz in Frankreich eine breitere Würdigung verdient – ebenso wie die Versuche, vor der Unabhängigkeit eine Zivilgesellschaft in Algerien aufzubauen. 33 Zu begrüßen ist die Rubrik über die Haltung der algerischen Intellektuellen. Die Unterzeichner des schon mehrfach erwähnten Manifeste de 121 werden namentlich aufgeführt; der Kontext der Entstehung aber nicht eigens beschrieben.

Eine breite Berücksichtigung findet die liberale Trendwende Anfang der achtziger Jahre, die sich auch in der Gründung neuer Zeitschriften manifestierte wie Commentaire von Raymond Aron und Le Débat (1980) von Pierre Nora, die sich als Gegenmodell zu Sartres Temps Modernes und seiner Philosophie des Engagements verstanden. An die Stelle der >Meisterdenker< sollte nun der leidenschaftliche Kommentator treten, der auch offen sein sollte für reformistische Lösungen. 34

Die ganze Debatte über das >Schweigen der Intellektuellen<, die der Regierungssprecher der Links-Regierung, Max Gallo, 1983 initiierte, wird nachgezeichnet. 35 Man erfährt auch Genaueres über die Fondation Saint-Simon, wo die neue Figur des Intellektuellen als Experte im Kontakt mit Unternehmern im Vordergrund steht. Luc Ferrys und Alain Renauts Buch gegen die Denker, die sie unter dem Begriff Pensée 68 zusammenfassen, wird hier etwas zu kritiklos als bloßes Symptom gewertet.

Man vermißt eine Rubrik über die Rolle der Medien für das Selbstverständnis der Intellektuellen der Gegenwart. Es gibt wohl einen Beitrag zum Radio, aber nicht zum Fernsehen, selbst wenn ab und zu von "intellectuels médiatiques" die Rede ist. Zu diesen zählen vor allem die Nouveaux Philosophes, die wohl als Einzelpersonen, aber nicht als Gruppenphänomen erfaßt werden. Dies dürfte allerdings nicht so gemacht werden wie in der schon erwähnten Sonder-Nummer des Magazine littéraire von 1996, wo sich die Neuen Philosophen in Selbstlob ergehen. Kein Wunder, denn die Zeitschrift wird vom Verlagshaus Grasset ediert, wo Bernard-Henri Lévy in eigener Reihe die meisten Neuen Philosophen edierte. 36

Bernard-Henry Lévy:
Salonlöwe und Konjunkturritter?

Gerade Lévy verdiente als Prototyp des "intellectuel médiatique", der sich immer wieder über die Rolle der Intellektuellen ergeht, eine noch kritischere Würdigung. In seinem 1987 veröffentlichten Buch Eloge des intellectuels diagnostizierte er schlicht das Verschwinden der Intellektuellen. 37 1991 zeichnete er in seinem Buch Les aventures de la liberté die Geschichte der Intellektuellen nach. 38 Damit schien er zunächst das Engagement der Intellektuellen zu bejahen. Er verurteilte Gide, weil der die Literatur über die Politik stellte, und verstand das >Schweigen< eines Beckett oder eines Michaux nicht. Andererseits sprach er von "der den Schriftstellern von der Politik gestohlenen Zeit" und stellte als eine Art Gesetz fest:

Je stärker der politische Einsatz, desto geringer die literarische Ausbeute.
Von den "großen Hoffnungen" im ersten bis zum "Ende der Propheten" im letzten Kapitel wird eine Verfallsgeschichte skizziert: Die Intellektuellen, so B.-H. Lévy, waren immer wieder anfällig für linke oder rechte Totalitarismen. Der Totalitarismus-Rundumschlag bleibt jedoch sehr schwammig. Die Heftigkeit der Worte ("Die Kommunisten sind Schweinehunde, Kriminelle, manchmal Monster") vermag eine nüchterne Analyse nicht zu ersetzen. Lévy bemüht sich nicht, zu verstehen oder zu situieren; ihm geht es stets darum, zu beurteilen und zu verurteilen. 39 Immer wieder überrascht man ihn in der Pose des Inquisitors, mit erhobenem Zeigefinger.

Ähnliche Züge eignen dem letzten Buch von Bernard-Henry Lévy Le lys et la cendre (1996). Hier finden sich Ausführungen über sein Bosnien-Engagement neben Pariser Klatschgeschichten. Lévy liefere, so ein Kritiker, eine Karikatur des Intellektuellen als Salonlöwe, die wohl auch seinem schlimmsten Feind kaum besser gelungen wäre. Er mimt den Intellektuellen, eine Rolle, die er durch seine Selbstgefälligkeit und Mediengeilheit selber wieder untergräbt. Er vergißt, daß erst das Ansehen, das ein Intellektueller als Denker, als Wissenschaftler, als Schriftsteller erworben hat, seiner Intervention Gewicht gibt. 40 Bourdieu scheint an Lévy zu denken, wenn er von Interventionen spricht, die bloß der Logik der Mode gehorchten:

Ce sont des Zola qui lanceraient des J'accuse sans avoir écrit L'Assommoir ou Germinal ou des Sartre qui signeraient des pétitions ou mèneraient des manifestations sans avoir écrit l'Être et le Néant ou La Critique de la raison dialectique. 41
Ganz ähnlich äußerte sich Bourdieu in einem Interview:
Es gibt sie ja in Frankreich, diese aufgeregten, ein bißchen lächerlichen Intellektuellen, Bernard-Henri Lévy, solche Leute. Die verschaffen dem französischen Intellektuellen ein so schlechtes Image, daß es für ernsthafte Leute schwierig ist, Respekt zu bekommen. Was wir brauchen, ist ja nicht eine moralische oder philosophische, sondern eine wissenschaftliche Kritik. 42

"Les lieux"

Neben den Persönlichkeiten und den historischen Ereignissen findet sich eine dritte Rubrik "Les lieux". Es geht hier nicht bloß um physische Orte, sondern auch um "lieux de mémoire" im Sinne der berühmten Sammlung von Pierre Nora. 43

Mit >lieux< ist oft ein Milieu gemeint, eine Institution, eine Kategorie, die einen Wiedererkennungseffekt haben und zur Gruppenbildung beitragen. Die Autoren unterscheiden zwischen Orten der Ausbildung, des kulturellen und politischen Engagements (hier werden auch die Institutionen der verschiedenen Konfessionen berücksichtigt), Orte der Produktion und der Diffusion (Verlage und Zeitschriften) und schließlich Begegnungsstätten wie Salons oder Freundeskreise von Schriftstellern. Diese Einträge – über dreihundert an der Zahl – sind sehr wertvoll. Allerdings hätte die Vorstellung einzelner Institutionen wie der Verlage an Profil gewonnen, wenn man sie über eine Feld-Logik beschrieben und auf diese Weise ihre Positionierung innerhalb des intellektuellen Raumes noch klarer herausgearbeitet hätte. 44

Michel Winock:
Le siècle des intellectuels

Michel Winock, der zusammen mit Jacques Juillard die Geschichte der Intellektuellen in Lexikonform vorstellt, schob 1997 gleich noch eine Darstellung in narrativer Form nach: Le siècle des intellectuels. 45 Die umfangreiche Studie versteht sich keineswegs als Ideen- oder Kulturgeschichte; es geht dem Verfasser vor allem darum, die Geschichte der politischen Auseinandersetzungen von Schriftstellern, Philosophen, Künstlern, Wissenschaftlern seit der Dreyfus-Affäre nachzuzeichnen.

Er sieht die Entwicklung im Zeichen von drei großen Intellektuellen: die Vorkriegszeit werde durch Barrès repräsentiert, die Zwischenkriegszeit durch Gide und die Nachkriegszeit durch Sartre. Zweifellos wurden die drei Genannten als >directeurs de conscience< betrachtet. Doch war ihre Hegemonie nie unbestritten. Für die erste Periode müßte man auch an Zola denken, und für die zweite an Malraux. Die intellektuelle Vorherrschaft Sartres wurde nach 1960 durch den Strukturalismus in Frage gestellt. 46

Winock sucht die einzelnen Zeitabschnitte häufig über das Medium einer repräsentativen Persönlichkeit wie in einem Brennglas zu fassen: so Gide für die kommunistische >Versuchung<, Drieu la Rochelle für die faschistische >Versuchung< und so weiter. Der Autor hat eine lebendig geschriebene Darstellung vorgelegt, die sich nicht lange bei theoretischen Vorüberlegungen aufhält und den Forschungsstand nur am Rande erwähnt. Das Buch richtet sich zweifellos an ein breiteres Publikum.

Der Intellektuelle
in komparatistischer Perspektive

Die meisten hier vorgestellten Monographien zu den Intellektuellen beschränken sich auf die spezifisch französische Situation seit der Dreyfus-Affäre. Andreas Gipper hatte indes in seiner Dissertation Der Intellektuelle von 1992 – wie es der Untertitel anzeigt – "Konzeption und Selbstverständnis schriftstellerischer Intelligenz in Frankreich und Italien der Zwischenkriegszeit" verglichen. Christophe Charle untersucht in seiner schon erwähnten Monographie Vordenker der Moderne (1997) die Intellektuellen im 19. Jahrhundert im gesamteuropäischen Rahmen. Seit 1985 existiert am Pariser Institut du Temps présent die Forschungsgruppe zur intellektuellen Geschichte (Groupe de recherche sur l'histoire des intellectuels), die von Nicole Racine und Michel Trebitsch geleitet wird. Die Forschungsgruppe verfolgt einen entschieden komparatistischen Ansatz. Soeben legte sie in einem ersten Sammelband Forschungsergebnisse vor. 47

In der einleitenden Synthese von Marie-Christine Granjon, aber auch im Beitrag von Christophe Charle wird aufgezeigt, daß das spezifisch französische Modell der >intellectuels< vor allem im lateinischen Bereich in Italien und Spanien sich durchsetzte. In anderen Ländern wie der Schweiz, den Benelux-Staaten, in Skandinavien wurde außer bei einigen Ausnahmegestalten den Intellektuellen nie dieselbe Funktion zugeschrieben. In England war das Verhältnis der Intellektuellen zur politischen Macht keineswegs so konfliktuell wie in Frankreich. In Lateinamerika spielten sie indes eine entscheidende Rolle bei der Konstruktion nationaler Identität.

Michel Trebitsch ruft dazu auf, nicht bloß die externe Diffusion des französischen Modells zu untersuchen, sondern die eigenständigen Traditionen der Geschichte der Intellektuellen sowie die entsprechende Historiographie in anderen Ländern zur Kenntnis zu nehmen. Auch Christophe Charle denkt, daß Kulturgeschichte sinnvoll nur in komparatistischer Perspektive betrieben werden kann, da Kulturen immer in Austausch- oder Abgrenzungsprozessen gegenüber anderen Kulturen stehen. Die Intervention von Zola für Dreyfus im Jahre 1898 bekommt ein Profil, wenn man sie in Verbindung setzt mit der Entstehung der >Generación 98< in Spanien und den Stellungnahmen von Croce und d'Annunzio in Italien. Im vorliegenden Band wird diese komparatistische Perspektive auch praktiziert durch Beiträge zur intellektuellen Geschichte in Deutschland (H.-M. Bock), Amerika (T. Lamonde) und Indien (M.-J. Zins).

"La fin des intellectuels?"
Pierre Bourdieu

"La fin des intellectuels?", so fragt Michel Winock im Schlußkapitel seines Buches. In etlichen Darstellungen schimmert immer wieder die Frage durch, ob die Tradition der engagierten Intellektuellen nun gegen die Jahrhundertwende zu ihrem Abschluß gekommen sei.

Beim berühmten Eisenbahnerstreik vom Dezember 1995 tauchte in der Tat eine andere Form der intellektuellen Intervention auf: der Intellektuelle als Experte. In einer aufsehenerregenden Petition in der Zeitschrift Esprit (November 1995) erklärten Intellektuelle, sie wollten ihre Verantwortung wahrnehmen; sie unterstützen darum die Regierung, namentlich den Plan Juppé zur Gesundheitsreform. Darauf folgte eine entschiedene Reaktion anderer Intellektueller zur Unterstützung der Streikenden. Die Namen der Unterzeichner beider Petitionen sind im Dictionnaire des intellectuels français abgedruckt, wodurch auch das Weiterleben der alten Intellektuellen-Tradition belegt wird.

Zu den prominentesten Unterzeichnern des Appel des intellectuels en soutien aux grévistes zählte der Soziologe Pierre Bourdieu. Er spielt heute bei der Neudefinition der Funktion des Intellektuellen eine entscheidende Rolle: Wenn Sartre noch vom Konzept eines >universellen Intellektuellen< ausging, dem dann Foucault dasjenige des >spezifischen Intellektuellen< entgegensetzte, so plädiert Bourdieu heute für den >kollektiven Intellektuellen<. 48 In seinem Umkreis bildete sich eine Gruppe von Intellektuellen unter der Bezeichnung Raison d'agir.

Die Gruppe sucht zu intervenieren über analytische Beiträge, die nicht bloß auf moralischer Ebene Stellung beziehen, sondern durch Aufklärung die realen Machtverhältnisse aufdecken wollen. Als Interventionsform wurden preiswerte kleine Bücher – im Format von Reclam-Heften, allerdings in gefälligerer graphischer Aufmachung – gewählt, die sehr große Auflagen erzielten, meist über 100 000. Die im Selbstverlag herausgegebenen Schriften suchen sich so größtmögliche Unabhängigkeit zu wahren, inhaltlich decken sie vor allem den Verlust der Autonomie der Intellektuellen in den Medien zugunsten einer rein ökonomischen Logik auf. Dies versuchte Pierre Bourdieu aufzuzeigen in bezug auf das Fernsehen (Sur la télévision, 1996). 49 Sehr großes Aufsehen erregte die schonungslose Analyse der Presse von Serge Halimi (Les nouveaux chiens de garde, 1997). Eine eigentliche Feld-Analyse der Positionen der Intellektuellen während des Eisenbahnerstreiks legte die Gruppe unter dem Titel Le >décembre< des intellectuels français (1998) vor. 50

Die Texte der direkten Interventionen von Bourdieu – etwa seine Rede bei den streikenden Eisenbahnern in der Gare de Lyon vom Dezember 1995, der Freiburger Vortrag über das Modell Tietmeyer vom Oktober 1996 oder seine Rede bei der Bewegung der Arbeitslosen im Januar 1998 sind in derselben Reihe unter dem Titel Contre-feux (1998) erschienen. Es fällt bei den Interventionen von Bourdieu auf, daß er sich immer auf die Wissenschaft stützt. Wissenschaft besteht im Enthüllen des Verborgenen – auf diesen Satz von Bachelard kommt Bourdieu oft zurück. Durch das Enthüllen des Verborgenen ist Wissenschaft nach Bourdieu per se kritisch. Die kritische Wirkung ist um so entscheidender, als die Wissenschaft vermag, jene Mechanismen aufzudecken, die ihre Wirksamkeit gerade dem Umstand verdanken, daß sie unerkannt geblieben sind.


Prof. Dr. Joseph Jurt
Universität Freiburg
Romanisches Seminar
Werthmannplatz 3
D-79085 Freiburg i.Br.

Preprint der im Internationalen Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur (IASL) erscheinenden Druckfassung.

Copyright © by the author. All rights reserved.


Anmerkungen

1 Michel Winock: Les générations intellectuelles. In: Vingtième siècle. Revue d'Histoire 22 (April 1989), S. 17-38. Die konkrete Arbeit wurde von den beiden Assistenten der Herausgeber geleistet, die ein zweites Vorwort ("Pour un bon usage") beisteuerten, das weniger allgemein, aber technisch präzise ist. Siehe auch Pascal Balmand: Les intellectuels et le mouvement ouvrier: La fin d'un modèle. In: cfdt-Aujourd'hui 100 (März 1991), S. 91-101. Weitere Mitglieder des Arbeitsteams sind Gisèle Saprio, Danièle Voldman, Gilles Candar, Denis Pelletier und Nicolas Roussellier. zurück

2 Siehe dazu Charles Porset: Figures de l'encyclopédie. In: Christiane Mervaud / Sylvain Menant (Hg.): Le siècle de Voltaire. Hommage à René Pomeau. Oxford: The Voltairian Fondation 1987, S. 719-733. zurück

3 "Si toutefois, les idées ont une histoire et si l'édition est leur chronique, le succès croissant des dictionnaires témoigne sans doute que les sciences humaines, n'en déplaise à leurs détracteurs, ne se conjuguent pas au passé. Dans ce cas, l'ordre des mots et des choses est un signe d'encouragement, c'est-à-dire d'engagement." Michel Prigent: Les dictionnaires. In: La Passion des idées 1966-1996. Magazine littéraire Hors Série. Paris, 1996, S. 76-79, hier S. 79. zurück

4 J. Jolly: Dictionnaire des parlementaires français. Notices biographiques sur les ministres, députés et sénateurs français de 1889 à 1940. Paris: P.U.F. 1960-1977, 10 Bde. zurück

5 E. Bénézit: Dictionnaire des peintres, sculpteures, dessinateurs et graveurs. Paris: Gründ 1948, 8 Bde. zurück

6 G. Six: Dictionnaire biographique des généraux et amiraux français de la Révolution et de l'Empire (1792-1814). Paris: G. Saffroy 1934, 2 Bde. zurück

7 C. Charle / E. Telkès: Les professeurs du Collège de France. Dictionnaire biographique (1901-1939). Paris: CNRS-INRP 1989. zurück

8 C. Charle / E. Telkès: Les professeurs de la faculté des sciences de Paris. Dictionnaire biographique (1901-1939). Paris: CNRS-INRP 1981. zurück

9 Dicomania – la folie des dictionnaires: Critique 608-609 (Januar-Februar 1998). zurück

10 Siehe dazu Andreas Gipper: Der Intellektuelle. Konzeption und Selbstverständnis schriftstellerischer Intelligenz in Frankreich und Italien 1918-1930. Stuttgart: Verlag für Wissenschaft und Fortschritt 1992, S. 155-160. zurück

11 Siehe dazu Jean-Michel Péru: Une crise dans le champ littéraire français. In: Actes de la recherche en sciences sociales 89 (Sept.-Oktober 1991), S. 47-65. zurück

12 Siehe dazu auch Joseph Jurt: Literarische Intelligenz, wissenschaftliche Intelligenz, gesellschaftliches Engagement. In: Eva Kimminich (Hg.): Erfundene Wirklichkeiten. Literarische und wissenschaftliche Weltentwürfe – zwei Wege, ein Ziel. Rheinfelden: Schäuble Verlag 1998, S. 109-121. zurück

13 Siehe dazu Katja Jaeckel: L'engagement philhellène et l'image de la Grèce dans la littérature française de 1770 à 1830. In: Alfred Noe: Philhellenismus in der westeuropäischen Literatur 1780-1830 (Internationale Forschungen zur allgemeinen und vergleichenden Literaturwissenschaft, 6) Amsterdam: Rodopi 1994, S. 87-109. zurück

14 Jean-Yves Mollier: Les intellectuels mis en fiches ou du bon usage des dictionnaires au XXe siècle. In: Critique 608-609 (Januar-Februar 1998), S. 1009-1019, hier S. 1017. zurück

15 Christophe Charle: Naissance des "intellectuels". 1880-1900. Paris: Éditions de Minuit 1990. zurück

16 Christophe Charle: Les Intellectuels en Europe au XIXe siècle. Essai d'histoire comparée. Paris: Seuil 1996; deutsche Übersetzung: Die Vordenker der Moderne. Die Intellektuellen im 19. Jahrhundert. Aus dem Französischen von Michael Bischoff. Frankfurt/M.: Fischer 1997. zurück

17 Christoph Charle: Vordenker der Moderne, S. 11. zurück

18 In den Augen von Maurice Blanchot kann die Intervention des Intellektuellen immer nur momentan sein und kein Dauerzustand: "Il n'y a probablement pas de remède à cette difficulté. Mais celle-ci peut s'atténuer si l'intellectuel réussit à faire comprendre qu'il ne l'est que momentanément, et pour une cause déterminée, et que, pour soutenir cette cause, il n'est qu'un parmi d'autres, ayant l'espoir (celui-ci fût-il vain) de se perdre dans l'obscurité de tous et de rejoindre un anonymat qui est même, en tant qu'écrivain ou artiste, son aspiration profonde et toujours démentie. Maurice Blanchot: Les intellectuels en question. Ebauche d'une réflexion. Paris: Fourbis 1996, S. 58-59). zurück

19 Edward W. Said: Des intellectuels et du Pouvoir. Paris: Seuil 1996, S. 22-23. Auch Wolf Lepenies beruft sich in seinen Aussagen zu den Intellektuellen immer wieder auf Bendas Trahison des clercs; so etwa in: Aufstieg und Fall der Intellektuellen in Europa. Frankfurt/M. / New York: Campus 1992, S. 55. zurück

20 Jacques Derrida: Il courait mort: Salut. In: Les Temps Modernes 587 (März-April-Mai 1996), S. 7-54. Siehe etwa S. 18: "Bien qu'on en ait si souvent parlé, parfois à satiété, comme d'une modalité passée de la responsabilité des intellectuels, je trouve que >engagement< reste un mot très beau, juste et encore neuf, si l'on veut bien l'entendre, pour dire l'assignation à laquelle et dont répondent ce qu'on appelle encore des écrivains ou des intellectuels." Derrida äußert sich in seinem Text auch kritisch über die feldtheoretische Analyse von Anna Boschetti (Sartre et Les Temps Modernes. Une entreprise intellectuelle, 1985). Er scheint aber den konstruktivistischen Charakter der Kategorien >Prophet< und >Priester< zu verkennen, die Bourdieu der Religionssoziologie von Max Weber entlehnte. zurück

21 Jacques Derrida. In: Lignes 32 (Oktober 1997), S. 57. zurück

22 "Que ce droit à la parole ou à l'écriture au nom de la justice soit d'abord et ainsi revendiqué, assigné, réservé, spécialisé, voilà qui peut paraître inquiétant, quelle que soit la noblesse des justes causes au nom desquelles on s'élève ainsi." Ebenda, S. 63. zurück

23 Ebenda, S. 64. zurück

24 Zum selben Autor siehe auch die sehr gut informierte Monographie von Nicolas Baverez: Raymond Aron. Un moraliste au temps des idéologies. Paris: Flammarion 1993. zurück

25 Siehe dazu Gerhard Poppenberg: Ins Ungebundene. Über Literatur nach Blanchot (Mimesis, 20) Tübingen: Max Niemeyer 1993. zurück

26 Maurice Blanchot: Les intellectuels en question. Ebauche d'une réflexion. Paris: Fourbis 1996. Es handelt sich hier um eine der klarsten und luzidesten Reflexionen über die Tradition des intervenierenden Intellektuellen seit der Dreyfus-Affäre. zurück

27 Siehe dazu Dorothee Schmidt: Schreiben nach dem Krieg. Studien zur Poetik Claude Simons. Heidelberg: Winter 1997. zurück

28 Bei den aufgeführten Namen vermißt man Claude Lanzmann, den Leiter der Zeitschrift Les Temps Modernes und Autor des Films Shoa oder Henri Alleg und Maurice Andin, die eine wichtige Rolle im Algerienkrieg gespielt haben. zurück

29 "Ce long travail préparatoire, accompagné de la lecture systématique de la presse puis de la recension des comités de rédaction de toutes les revues de la période, y compris les plus éphémères, aurait permis de repérer une masse considérable d'hommes et de femmes qui s'expriment périodiquement par la plume en dehors de leur sphère professionnelle. Des coupes ou des sondages auraient pu être effectués afin de proposer un échantillonnage représentatif de la diversité des courants et des sensibilités, en respectant leur importance numérique de l'époque." Jean-Yves Mollier: Les intellectuels mis en fiches, S. 1016. zurück

30 Der Kommunismus wird vor allem in der Rubrik "Guerre froide" behandelt, nicht aber in seiner Bedeutung für die Intellektuellen in der Zwischenkriegszeit. zurück

31 Maurice Blanchot: Les intellectuels en question, S. 55. Der Philosoph Philipe Lacone-Labarthe hat in Antwort auf diese Affirmation auf Voltaires Eintreten für Calas verwiesen und die fundamentale Bedeutung des Protestantismus unterstrichen. In: Lignes 32 (Oktober 1997), S. 82-83. zurück

32 Siehe dazu D. W. Pike: Les Français et le guerre d'Espagne 1936-1939. Paris 1975. zurück

33 Siehe dazu Jospeh Jurt (Hg.): Algérie-France-Islam. Paris: L'Harmattan 1997. zurück

34 Siehe dazu Pierre Nora im Gespräch mit Ulrich Raulff: "Der Tag, an dem die erste Nummer des Débat erschien, war der Todestag Sartres. Das [..] Editorial stellte, wie Nora es selbst sieht, >ein klares Glaubensbekenntnis für ein Nicht-Engagement im Sartreschen Sinne< dar. Die Anhänger des toten Philosophen, die Leser von Les Temps Modernes, empfanden es als Ohrfeige. Sie spürten den Wechsel des Windes und konnten ihn nicht verhindern. Nicht der Intellektuelle war es, der abtrat, sondern der Vertreter einer Geistesmacht, deren moralische Wechsel gedeckt waren durch den Goldschatz von Philosophie und Literatur. Eine neue Figur schob sich in den Vordergrund: Der Historiker wurde zur emblematischen Figur einer politischen Kultur, die ihre Zukunftsmächte Ökonomie und Technologie altern sah und sich, nur scheinbar paradox, vom Eintauchen in die Vergangenheit Erneuerung versprach." Ulrich Raulff: Der Augenblick danach. Wofür engagieren wir uns? – Ein Besuch bei Pierre Nora. In: F.A.Z. 1991. zurück

35 Siehe dazu Max Gallo: Les idées décident de tout. Paris: Galilée 1984. zurück

36 Siehe dazu Jean-Paul Dollé: Les Nouveaux Philosophes und Bernard-Henri Lévy: Le Retour de la Philosophie. In: La Passion des idées 1966-1996. Sondernummer des Magazine littéraire (1996), S. 52-55; S. 132-134. zurück

37 "Les intellectuels ne sont ni haïs, ni vilipendés, ni même réellement fustigés comme à l'époque de l'affaire Dreyfus, des années trente, ou de la guerre d'Algérie. Et force est de constater qu'ils traversent une crise molle, voilée, comme étouffée [...]. Pour la première fois, cette France qui les a inventés, portés aux nues, trainés dans la boue, mais toujours avec passion, ne sait plus qu'en faire ni qu'en penser, les intellectuels ont connue des époques noires. Ils ont mené des batailles autrement plus dramatiques. Jamais cependant, ils n'avaient éprouvé semblable sentiment d'irréalité." Bernard-Henri Lévy: Eloge des intellectuels. Paris: Grasset 1978, S. 9-10). zurück

38 Bernard-Henri Lévy: Les aventures de la liberté. Une histoire subjective des intellectuels. Paris: Grasset 1961; deutsche Version: Die abenteuerlichen Wege der Freiheit. Frankreichs Intellektuelle von der Dreyfus-Affäre bis zur Gegenwart. München-Leipzig: List 1991. zurück

39 Die fragwürdigen Qualitäten Lévys als Historiker waren schon in seinem Buch L'idéologie française (1981) zutage getreten. Siehe dazu Joseph Jurt: Le fascisme aux couleurs de la France? Zu Bernard-Henri Lévys L'idéologie française. In: lendemains 22 (1981), S. 99-108. zurück

40 Siehe die klassische Definition von Sartre: "Originellement, donc, l'ensemble des intellectuels apparaît comme une diversité d'hommes ayant acquis quelque notoriété par des travaux qui relèvent de l'intelligence (science exacte, science appliquée, médecine, littérature etc.). Et qui abusent de cette notoriété pour sortir de leur domaine et critiquent la société et les pouvoirs établis au nom d'une conception globale et dogmatique (vague ou précise, moraliste ou marxiste) de l'homme." Jean-Paul Sartre: Situations VIII, S. 378. zurück

41 Pierre Bourdieu / Hans Haacke: Libre-échange. Paris: Seuil / Les preuves du réel 1994, S. 58. zurück

42 Interview von Thierry Chervel mit Pierre Bourdieu. In: Basler Zeitung 303 (29. Dezember 1995) S. 35. zurück

43 Aleida Assmann definiert treffend die französische Konzeption der "lieux de mémoire":

"Gleichzeitig macht Nora deutlich, daß sein Begriff der Erinnerungsorte weit mehr umfaßt als lokalisierte, begehbare Örtlichkeiten, sondern allgemein zu beziehen ist auf spezifische Einträge im kollektiven Gedächtnis [...] Mit [den] Klassikern der Mnemotechnik verbindet Nora das Interesse an einer räumlichen nicht-narrativen Anordnung von Gedächtnisinhalten. Er zieht ganz im Sinne der mnemotechnischen Tradition räumliche Arrangements einer zeitlichen Ordnungsform vor, sei es als Inventar, Bestandaufnahme oder Topologie."

Alleida Assmann: Im Zwischenraum zwischen Geschichte und Gedächtnis: Bemerkungen zu Pierre Noras Lieux de mémoire. In: Etienne François (Hg.): Lieux de mémoire, Erinnerungsorte: Les Travaux du Centre Marc Bloch. Cahier 6 (September 1996), S. 19-28, hier S. 19. zurück

44 Die ganze Breite der Institutionen, Verlage, Zeitschriften und Netzwerke der Intellektuellen, die sich zur Zeit der V. Republik ausgebildet hatten, ist von Rémy Rieffel, der auch am Dictionnaire des intellectuels mitarbeitete, ausführlich dargestellt worden: La tribu des clercs. Les intellectuels sous la Ve République 1959-1990. Paris: Calman-Lévy / CNRS 1993. Die Zeitschrift Le Débat organisierte 1994 unter dem Titel La Ve République des clercs eine Debatte zu diesem Buch, an der Christophe Charle, François Dosse, Olivier Mongin, Christophe Prochasson, Judith Revel, Rémy Rieffel und Jean-François Sirinelli teilnahmen. zurück

45 Michel Winock: Le siècle des intellectuels. Paris: Seuil 1997. zurück

46 Siehe dazu Joseph Jurt (Hg.): Zeitgenössische französische Denker: Eine Bilanz. Freiburg: Rombach 1998. zurück

47 Michel Trebtisch, Marie-Christine Granjon (Hg.): Pour une histoire comparée des intellectuels. Paris: Éditions Complexes 1998. zurück

48 Siehe: Pierre Bourdieu et l'intellectuel collectif. In: Le Monde (9. Oktober 1998). zurück

49 Pierre Bourdieu: Sur la télévision. Suivi de L'emprise du journalisme. Paris: Liber - Raisons d'agir 1996. zurück

50 Julien Duval, Christophe Gaubert, Frédéric Lebaron, Dominique Marchetti, Fabienne Pavis: Le >décembre< des intellectuels français. Paris: Liber - Raisons d'agir 1998. zurück

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